Luftfilter: Schulbeginn versinkt im Chaos - Bund und Länder streiten um Filteranlagen
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Interview mit KMK-Präsidentin ErnstBehördenchaos bei den Luftfiltern: „Stoßlüften wird auch im Winter das A und O bleiben“
Luftfilter sollen den sicheren Unterricht ermöglichen. Doch sie sind kein Allheilmittel sondern eher eine Ergänzung, sagt die Präsidentin der Kulturministerkonferenz.
Berlin Das Schuljahr beginnt. Nächste Woche werden schon in neun Bundesländern wieder Schüler unterrichtet. Für sie soll der Präsenzunterricht der Normalfall sein und bleiben. Möglich machen sollen das auch mobile Luftfilter, die Eltern, Lehrer und Schüler seit Langem fordern – doch hier herrscht das blanke Chaos.
Kommunen mussten Filter also im Zweifel zunächst auf eigene Rechnung bestellen. Das könnten pro Kommune leicht sechs- oder gar siebenstellige Summen sein, heißt es beim Städtetag. Der Lehrerverband hatte die Kosten für eine Komplettausstattung für alle Klassenräume Deutschlands auf rund 1,5 Milliarden geschätzt.
Dazu kommt: Der Bund fördert ohnehin nur Filter für Klassen mit Kindern bis 12 Jahren – und auch nur in solchen Räumen, die nicht oder nur schlecht gelüftet werden können, kritisierte vor allem Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der auch die SPD-Kultusminister koordiniert.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz – die Sozialdemokratin und Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst – ist hingegen „froh über die Förderung für schlecht lüftbare Räume“. Alle Experten hätten gesagt, dass mobile Luftreiniger nur eine Ergänzung zum Stoßlüften sein können. „Das ist auch in Hamburg nicht anders“, sagte Ernst im Interview mit dem Handelsblatt in Richtung ihres Parteifreundes Rabe, und fügt hinzu: „Stoßlüften wird auch im Winter das A und O bleiben - wie es das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt.“
Streit um Sinn mobiler Luftfilter
Das ist auch die Linie des Städtetages: „Dass der Bund und die meisten Länder diese Geräte fördern, ist richtig. Wichtig bleibt für einen sicheren Schulbetrieb aber weiter, alle Klassenzimmer, so gut es geht, regelmäßig durch offene Fenster zu belüften. Denn die mobilen Geräte filtern nur die vorhandene Luft im Raum“, sagte dessen Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy dem Handelsblatt mit Verweis auf „Empfehlung von Virologen und Umweltbundesamt“.
Lesen Sie hier das gesamte Interview mit der Kultusministerkonferenz-Präsidentin Britta Ernst:
Frau Ernst, die vierte Corona-Welle rollt, infiziert werden vor allem Jüngere. Sind die Schulen damit die entscheidende Front gegen Corona? Nein. Im Dezember letzten Jahres wurden Schulen geschlossen, um die Pandemie zu dämpfen. Hierbei ging es vorrangig um den Schutz der Erwachsenen. Das Argument fällt nun weg, weil sich Erwachsene per Impfung selbst schützen können.
Heißt das, Sie können garantieren, dass das ganze Schuljahr in Präsenz stattfindet? Davon gehen wir aus. Vor allem nachdem die Stiko nun auch für 12- bis 17-Jährige die Impfung empfiehlt und Kinder nach wie vor weniger schwer erkranken.
Sind Sie für Impfaktionen in den Schulen? Kinderärzte klagen, das würde Gruppendruck aufbauen ... Es ist gut, wenn mobile Teams in Schulen impfen, denn wir brauchen möglichst viele Impf-Orte. Mir leuchtet auch nicht ein, warum der Gruppendruck hier größer sein sollte als anderswo. Jugendliche mit der entsprechenden Einsichtsfähigkeit können das allein entscheiden. Das ist Bestandteil der UN-Kinderrechte. Im Übrigen können sich 16-jährige Mädchen auch die Antibabypille allein verschreiben lassen. Jüngere benötigen natürlich die Unterschrift ihrer Eltern.
Wie hoch ist die Impfquote bei Lehrkräften? Das dürfen wir wie alle Arbeitgeber nicht abfragen. Laut unserer Stichprobenumfragen sind es 80 bis über 90 Prozent. Die Kultusminister haben sich ja auch dafür eingesetzt, dass Lehrkräfte früh ein Impfangebot bekommen haben.
Was passiert mit Lehrern, die sich nicht impfen lassen? In Brandenburg gilt: Wer nicht geimpft oder genesen ist, muss zweimal die Woche einen Negativtest vorweisen. Wer sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen kann oder will, und daher keinen Präsenzunterricht geben will, muss das von der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt bestätigen lassen.
Britta Ernst
Brandenburgs Bildungsministerin ist zurzeit auch Vorsitzende der Kultusministerkonferenz.
Der Verband Bildung und Erziehung kritisiert die Schutzmaßnahmen in den Schulen nach den Ferien als zu lax ... Das sehe ich anders. Die Länder, in denen das Schuljahr begonnen hat, haben wegen der Reiserückkehrer alle eine zweiwöchige Phase mit Tests und Masken. Danach entfällt - etwa bei uns in Brandenburg – die Maskenpflicht in der Grundschule. Denn die sind für kleinere Kinder sehr belastend. Das ist ein schwierige Abwägung. Wichtig ist doch, dass die Lehrkräfte geimpft sind.
Experten erwarten bald einen Impfstoff auch für Unter-12-Jährige – was bedeutet das für Ihre Planung? Erst einmal nichts, denn wir planen ja ohnehin mit Präsenzunterricht. Zudem ist auch hier wieder eine Empfehlung der Stiko nötig – und bei den 12- bis 17-Jährigen hat das ja etwas gedauert.
Warum läuft das Förderprogramm des Bundes für mobile Luftfilter noch nicht? Und ist es okay, dass der Bund Filter nur für solche Räume kofinanziert, die nicht gut gelüftet werden können? Ihr Parteifreund in Hamburg fordert das für alle Räume … Wir sind froh über die Förderung für schlecht lüftbare Räume. Alle Experten haben uns gesagt, dass mobile Luftreiniger nur eine Ergänzung zum Stoßlüften sein können. Das ist auch in Hamburg nicht anders. Stoßlüften wird auch im Winter das A und O bleiben – wie es das Umweltbundesamt empfiehlt.
Bildungsforscher sagen, die Schüler haben wegen Corona bis zu einem halben Schuljahr oder mehr verloren … ist das übertrieben? Es ist sehr unterschiedlich. Von Kind zu Kind und von Schule zu Schule. Schüler, die sich schon vorher schwergetan haben - das sind nach früheren Untersuchungen vermutlich 20 bis 30 Prozent – werden deutlich größere Lücken haben und Zusatzförderung brauchen. Wir in Brandenburg testen im August das Wissen aller Schülerinnen und Schüler in den Kernfächern, dann kennen wir den Nachholbedarf. Und die Schülerinnen und Schüler können individuell gefördert werden.
Gibt es für die Zusatzförderung genug Personal und Geld? Der Bund gibt dafür zwei Milliarden Euro, das ist sehr viel Geld, das wir zudem über zwei Jahre hinweg ausgeben können. Dazu kommen Mittel der Länder. In der Umsetzung brauchen wir aber die Hilfe von privaten Trägern und Vereinen. Da melden sich täglich neue Anbieter, die wir sammeln und an die Schulen vermitteln.
Wie viel Zeit braucht es, um die Lücken zu füllen? Das ist schwer zu schätzen, hier ziehen wir nach einem halben Jahr eine Zwischenbilanz. Aber ich denke, für die große Masse der Schüler dürften die zwei Jahre reichen. Einzelne werden mehr Zeit brauchen - aber das gehört zum Alltagsgeschäft von Schule, die es immer mit sehr heterogenen Gruppen zu tun hat.
Vita
Britta Ernst ist seit September 2017 brandenburgische Ministerin für Bildung, Jugend und Sport unter Ministerpräsident Dietmar Woidke. Zuvor war die Sozialdemokratin von 2014 bis 2017 Ministerin für Schule und berufliche Bildung in Schleswig-Holstein.
Ernst absolvierte zunächst eine Berufsausbildung zur Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, dann ein Studium der Sozialökonomie. Elf Jahre saß sie als Schulpolitikerin und Vize-Fraktionschefin der SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft. Als ihr Mann Olaf Scholz 2011 Erster Bürgermeister wurde, wechselte sie als Vize-Geschäftsführerin in die SPD-Bundestagsfraktion.
Also ist damit zu rechnen, dass wir bei den nächsten Pisa- und Iglu-Tests für die Jüngeren einbrechen? Natürlich. Das wird weltweit so sein.
Viele Lehrer haben sich sehr für den Distanzunterricht engagiert – andere haben sich gedrückt. Wird das Konsequenzen haben? Da gab es in der Tat Unterschiede. Brandenburg plant ein Monitoring, um zu prüfen, was wo wie läuft. Schulleitungen müssen sicherstellen, dass Distanzunterricht künftig überall gut funktioniert – zumindest sobald die Technik überall da ist. Nicht nur für den Fall neuer Pandemien, die uns womöglich drohen, sondern auch für Videokonferenzen mit älteren Schülern, die künftig häufiger eingesetzt werden.
Braucht es ein anderes Dienstrecht, um krass unterschiedliches Engagement zu honorieren oder zu „bestrafen“? Nein, es ist Aufgabe der Schulleitung, Unterschiede anzusprechen. Das Bildungsministerium Brandenburg hat als Rahmenbedingung im vergangenen Schuljahr vorgegeben, dass jedes Kind im Distanzunterricht mindestens zweimal die Woche kontaktiert werden muss. Künftig werden wir noch stärker darauf achten. Schulen müssen noch konkretere Konzepte vorlegen, wie sie Distanzunterricht gestalten. Wenn er technisch nicht funktioniert oder einzelne Schüler nicht erreicht werden, muss die Schule nachweisen, wie sie Kontakt herstellen. Dann müssten Lehrer zum Beispiel eine Liste führen, wen sie wann angerufen haben.
Was sind die wichtigsten Lehren für Schule aus Corona? Oder sind Sie schon froh, wenn wir zum Status quo ante zurückkehren … Wir dürfen mit unseren Anstrengungen bei der Digitalisierung an Schulen nicht nachlassen. Es hat sich deutlich gezeigt, dass Schulen nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch ein wichtiger Lebensort für die meisten Schülerinnen und Schüler ist und dass eine Lehrkraft bei der Vermittlung von Wissen nicht so einfach zu ersetzen ist.
In der Pandemie haben sich die Schulen auf die Kernfächer konzentriert – ist es Zeit für eine Entrümpelung der Lehrpläne? Auf die Vermittlung der Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen müssen wir immer Wert legen. Sie sind die Voraussetzung für das Lernen auch in anderen Fächern. Trotzdem gehören die musischen, künstlerischen und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer auch in den Stundenplan.
Enorm wichtig waren für den Distanzunterricht Fortbildungen – wie sehen Sie hier das Engagement der Lehrer? Wir haben gute Erfahrungen mit sehr kurzen Fortbildungen an den Schulen selbst, meist auch per Video, gemacht – Lehrkräfte müssen also nicht mehrere Tage wegfahren. Aber wir müssen das Angebot ausweiten.
Bisher haben Lehrkräfte nur vage Fortbildungspflichten und können Themen frei wählen. Kann das so bleiben? Darüber müssen wir nach der Pandemie in der Tat noch mal reden. Es gibt aber eine hohe Bereitschaft zur Fortbildung.
1 Kommentar zu "Interview mit KMK-Präsidentin Ernst: Behördenchaos bei den Luftfiltern: „Stoßlüften wird auch im Winter das A und O bleiben“"
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Herr_EN Joachim Zuckschwerdt
... der erste Lockdown sollte vorrangig Erwachsene schützen, die aber jetzt dank Impfmöglichkeit eigenverantwortlich sind (ergo jetzt ist alles gut) ... diese Jahr brauchen wir keinen Lockdown, weil die StIKo die Impfung für 12-17-jährige empfiehlt (also nur alle gut, wenn auch Kinder sich einfach dem Massenexperiment hingeben) ... ... und das ist nur der erste Widerspruch, den die Frau innerhalb eines Interviews von sich gibt. So etwas passiert eben, wenn ein Virus zu einem mit Wirtschaftsinteressen gepaarten Politikum wird.
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... der erste Lockdown sollte vorrangig Erwachsene schützen, die aber jetzt dank Impfmöglichkeit eigenverantwortlich sind (ergo jetzt ist alles gut) ... diese Jahr brauchen wir keinen Lockdown, weil die StIKo die Impfung für 12-17-jährige empfiehlt (also nur alle gut, wenn auch Kinder sich einfach dem Massenexperiment hingeben) ...
... und das ist nur der erste Widerspruch, den die Frau innerhalb eines Interviews von sich gibt.
So etwas passiert eben, wenn ein Virus zu einem mit Wirtschaftsinteressen gepaarten Politikum wird.