Interview mit Wolfram Ressel „Corona ist die Chance für die Digitalisierung der Hochschulen“

Das Sommersemester wird vorerst fast nur digital stattfinden können.
Berlin In dieser Woche starten nach den Fachhochschulen auch die Universitäten in das Sommersemester, das vorerst fast nur digital stattfinden kann. Insgesamt werden dann fast drei Millionen Studenten online unterrichtet werden.
Noch vor wenigen Wochen waren viele Präsidenten skeptisch ob das klappen kann – denn die Digitalisierung der Hochschulen hinkt seit langem den Unternehmen weit hinterher. In der Vergangenheit fehlte es vielfach an Geld und an Konzepten.
Auch IT-Kräfte waren für viele Hochschulen kaum zu bekommen: nicht nur weil diese allgemein knapp sind, sondern weil Universitäten nicht die Gehälter zahlen können, die die Wirtschaft fen Digital-Experten zahlt.
Jetzt muss es dennoch gehen. Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart und Präsident des Verbandes der führenden Technischen Universitäten (TU9) ist optimistisch, dass es trotz aller Defizite klappt mit der Online-Lehre – wenn die Netze halten.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Herr Ressel, an diesem Montag beginnt auch in Stuttgart das Sommersemester - wieviel digitale Lehre können sie anbieten?
Ja, es geht los, wir starten unser erstes digitales Semester. 100 Prozent digitale Lehre wird nicht gehen – aber fast! Denn wir haben ja auch Praktika in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Dafür müssen wir Räume organisieren, in denen wir die Abstandsregeln einhalten können, und kleinere Gruppen bilden. Die werden wir auf die drei letzten Wochen des Semesters verschieben - und dafür auch die Pfingstferien nutzen.
Alles andere wird online laufen?
Ich gehe mal davon aus, dass wir das schaffen, auch wenn es zwischendurch ruckelt. Wir haben alles dafür getan: Infrastruktur angeschafft und Kurse angeboten. Unsere Lernplattform Ilias steht schon länger, aber da reichen die Server und Speicherkapazitäten nicht. Dann müssen wir die Internetverbindungen ausbauen, noch brechen uns immer mal wieder die Videokonferenzen zusammen.
Wir haben Softwaretools für die Lehre besorgt, inklusive Folien und kleinen Filmen, die auch interaktiv funktionieren – die Studierenden sollen ja auch an der online-Lehre Spass haben. All das muss ja auch nicht alles schon fertig sein, sondern kann Woche für Woche weiter ausgebaut werden.
Ist das so neu für die Universität?
Nein, aber bisher haben es eher wenige Dozenten freiwillig praktiziert – und nun müssen es alle machen.
Wie viel kostet die Nachrüstung?
Das ist allein für die Universität Stuttgart mit unseren rund 25.000 Studenten sicher ein hoher einstelliger Millionenbetrag – und das wird noch einige Jahre nötig sein. Sowohl das Land als auch der Bund haben den Hochschulen aber versprochen, dass wir dafür zusätzliches Geld bekommen.
Unterm Strich: Was ist das größte Problem?
Ich bin selbst sehr überrascht und erfreut, dass es sehr gut anläuft – auch wenn natürlich ab Montag im Praxistest Probleme auftreten werden. Alle wissen: Da müssen wir jetzt durch, wenn wir das Semester nicht verlieren wollen – und das wollen wir ja nicht. Das größte Problem wird sein, das Netz so zu stabilisieren, dass Lehren und Lernen reibungslos läuft. Und das in Deutschland mit fast drei Millionen Studenten, das ist ein riesiges Datenvolumen. Wir werden sehen.
Haben Sie Probleme, das nötige IT-Personal zu bekommen?
Ja, das haben die Hochschulen mit ihren niedrigeren Gehältern grundsätzlich. Aber das könnte sich jetzt ändern: Angesichts der massenhaften Kurzarbeit und der drohenden Rezession müssten die Hochschulen als sichere Arbeitgeber eigentlich wieder interessanter werden.
Prüfungen dürfen traditionell stattfinden, braucht es dennoch Online-Prüfungen?
Sowohl als auch. Hier ist die Politik gefragt, denn videoüberwachte Online-Prüfungen sind wegen des Datenschutzes noch ein ganz heißes Eisen. Da brauchen wir dringend rechtliche Sicherheit. Analog werden wir das vorschriftsgemäß organisieren. Dafür sind aber größere Säle und deutlich mehr Termine und Aufpasser nötig – allein das Verlassen der Räume muss bei Hunderten von Studenten gut geregelt sein.
Wird Corona die bisher mangelhafte Digitalisierung der Hochschulen voran bringen?
Das ist die Chance schlechthin – die wir aber auch nutzen müssen. Die Krise kann uns einen gewaltigen Digitalisierungsschub bringen – der aber gut organisiert und inhaltlich und didaktisch gut aufbereitet werden muss.
Mehr: Trotz Homeoffice und kontaktlosem Bezahlen bewirkt die Pandemie nur eine Pseudo-Digitalisierung. Aber sie bietet auch die Chance, den Kurs zu ändern.
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