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Interview Qualifizierungsexperte Baron: „Es fehlt Hilfe für jemanden, der mit 40 noch mal studieren will“

Energiewende und Digitalisierung erfordern völlig neue Berufsprofile. Doch noch sind die Weiterbildungsangebote des Staates lückenhaft, warnt Stefan Baron von der AgenturQ.
01.08.2021 - 12:59 Uhr Kommentieren
„Die große Schwierigkeit ist, die zu erreichen, die nicht so bildungsaffin sind – vor allem in Jobs, die künftig etwa wegen des Strukturwandels wegfallen.“ Quelle: High Res-Fotofabrik
Stefan Baron, Chef der AgenturQ

„Die große Schwierigkeit ist, die zu erreichen, die nicht so bildungsaffin sind – vor allem in Jobs, die künftig etwa wegen des Strukturwandels wegfallen.“

(Foto: High Res-Fotofabrik)

Für Menschen mittleren Alters, die sich neu orientieren möchten, fordert der Qualifizierungsexperte Stefan Baron mehr Hilfsangebote vonseiten des Staates. Baron ist Chef der Qualifizierungsagentur der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg (AgenturQ), die im Auftrag von Metallindustrie und IG Metall Betriebe bei der Weiterbildung berät.

Es gebe zwar viele Möglichkeiten für Menschen, die einen Berufsabschluss nachholen oder einen Meister machen wollen. Was jedoch völlig fehle, sei Hilfe für Menschen, die mit 40 noch einmal studieren wollen.

„Ein Dieselingenieur, der bald seine Arbeit verliert und daher ein IT-Studium machen möchte, fällt durchs Raster“, sagt Baron. Gerade in Zeiten eines beschleunigten Strukturwandels, etwa in der Autoindustrie, sei das enorm schädlich.

Daneben wirbt der Qualifizierungsexperte dafür, Zeiten der Kurzarbeit, die in der Pandemie enorm zugenommen haben, effektiver für die Weiterbildung zu nutzen. Dazu müssten vor allem die Regeln flexibilisiert werden, die bei der Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit gelten. Es sei zum Beispiel sinnvoll, „wenn eine Fördermaßnahme in Kurzarbeit auch mal weniger als 121 Stunden dauert, das ist aktuell die Mindestgrenze“.

Die vom Bund geplante Bildungsplattform lehnt Baron ab und verweist auf die große Zahl der existierenden Plattformen mit Weiterbildungsangeboten. „Wichtiger wären konkrete Angebote, um Betriebe und Arbeitnehmer zu sensibilisieren, was überhaupt möglich und sinnvoll wäre. Heute wissen viele nicht, dass die Bundesagentur für Arbeit einen Arbeitgeberservice hat, dass die IHK Weiterbildungsberatung anbietet oder dass es uns gibt.“

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Baron, was ist so schwer an Qualifizierung? An neuen Maschinen schulen die Hersteller, in der Buchhaltung braucht es SAP-Kenntnisse und fürs Sekretariat gibt es Windows- und Excel-Kurse ...
Die große Schwierigkeit ist, die zu erreichen, die nicht so bildungsaffin sind – vor allem in Jobs, die künftig etwa wegen des Strukturwandels wegfallen. Das sind oft Menschen, für die Qualifizierung bedrohlich wirkt, weil sie diese mit schlechten Erinnerungen an die Schule verbinden. Das ist gerade in Baden-Württemberg mit der starken Automobilindustrie eine enorme Herausforderung.

Wie hilft da die AgenturQ?
Wir unterstützen Unternehmen und Betriebsräte mit unserer Analyse: Wo steht ihr in fünf Jahren, welche Kompetenzen braucht ihr dafür – und sind die vielleicht versteckt schon vorhanden?

Zum Beispiel?
Ein Facharbeiter, der nur Teile zusammenschraubt, programmiert privat die Homepage seines Sportvereins – diese Kompetenz kann man nutzen, aber man muss davon wissen. Oft wissen Betriebe auch nicht, welche Fremdsprachen Mitarbeiter sprechen, obwohl sie die in neuen Märkten gut gebrauchen und damit schlicht Dolmetscher-Kosten sparen könnten. Migranten haben oft hierzulande noch nicht anerkannte ausländische Berufsabschlüsse, die die Arbeitgeber nicht kennen. 

Häufig fehlt gerade in guten Zeiten die Zeit für Weiterbildung ... 
Richtig. Wer Sonderschichten fährt, kann niemanden zur Schulung schicken. Da helfen wir mit Konzepten, anhand derer Weiterbildung in die Arbeit integriert werden kann. 

Wie geht das? Und können dabei alle von der Digitalisierung profitieren? 
Sie und ich sitzen in Zoomkonferenzen und machen Kurse am PC. Industriebeschäftigte arbeiten aber oft nicht am Computer, haben häufig nicht einmal eine dienstliche E-Mail-Adresse. Nicht in einem Seminar, sondern im Job muss man diese Leute langsam an das Digitale heranführen. In der Logistik kann man etwa schrittweise von der alten Zettelwirtschaft auf QR-Code-Scannen umstellen. Mit kleinen Lernzielen kann man das so organisieren, dass man alle in die digitale Zukunft mitnimmt.

Und in schlechten Zeiten wird an der Weiterbildung gespart.
Natürlich. Da beraten wir zu den Fördermöglichkeiten, vor allem denen der Bundesagentur für Arbeit in der Kurzarbeit.

Der Weiterbildungsmarkt gilt als undurchsichtiger Dschungel ... 
Ja, viele Betriebe können die Vielzahl der Angebote nicht überblicken und die Qualität eines Anbieters nicht beurteilen. Teilweise gibt es auch Weiterbildungen, etwa zur Fachkraft 4.0, die seit Jahren gut gebucht werden, und genau deshalb als Cashcow vom Anbieter nicht aktualisiert werden. Aber der Dschungel hat auch Vorteile. Der Bedarf ist extrem unterschiedlich und so entstehen ständig neue Angebote – im besten Fall passgenau für einzelne Unternehmen. 

Und die AgenturQ weiß, wer gut ist? 
Auch wir überblicken natürlich nicht den kompletten Markt. Aber wir kennen die schwarzen Schafe – und die weißen. Und wir vermitteln an andere, die sich auskennen, wie die Weiterbildungsberater der Bundesagentur für Arbeit oder das Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft.

Ist Ihr Rat kostenlos? 
Für tarifgebundene Unternehmen in Baden-Württemberg ja. Gegen Honorar beraten wir auch andere Unternehmen im Land. 

Was wünschen Sie sich von der Politik?
Sie müsste den Beratern der Bundesagentur für Arbeit mehr Flexibilität in der Auslegung der Förderrichtlinien geben. Denn sie wissen am besten, was in der Praxis Sinn ergibt. Und dann kann die Fördermaßnahme in Kurzarbeit auch mal weniger als 121 Stunden dauern, das ist aktuell die Mindestgrenze. 

Und die individuelle Förderung?
Es gibt viele Möglichkeiten, wenn man Berufsabschlüsse nachholen, einen Meister machen oder berufsbegleitend studieren will. Was völlig fehlt ist Hilfe für jemanden, der mit 40 noch mal studieren will: Ein Dieselingenieur, der bald seine Arbeit verliert und daher ein IT-Studium machen möchte, fällt durchs Raster. 

Der Bund plant eine Bildungsplattform - die FDP will das auch. Hilft die? 
Klare Antwort: Nein. Es gibt bereits diverse Plattformen. Die muss man füllen und die Angebote auch prüfen. Zudem helfen Plattformen nur denen, die wissen, was sie brauchen und danach suchen. Wichtiger wären konkrete Angebote, um Betriebe und Arbeitnehmer zu sensibilisieren, was überhaupt möglich und sinnvoll wäre. Heute wissen viele nicht, dass die Bundesagentur für Arbeit einen Arbeitgeberservice hat, dass die IHK Weiterbildungsberatung anbietet oder dass es uns gibt. 

Immer wieder wird gefordert, die Hochschulen sollen mehr weiterbilden. 
Ja, finde ich auch. Das akademische System und das berufliche laufen völlig parallel. Die Bürokratie der Hochschulen und Ministerien ist da noch sehr behäbig – aber es gibt Bewegung, gerade an der Dualen Hochschule und an Fachhochschulen. Aber die Unternehmen müssen auch selbst mehr nachfragen: Wenn sie duale Studenten haben oder mit Fachhochschulen zusammen forschen, sollten sie überlegen, ob diese Hochschulen nicht auch Mitarbeiter weiterbilden könnten. 

Die SPD will die Volkshochschulen mehr zur Weiterbildung einsetzen – und dafür auch vom Bund fördern lassen. 
Ich sehe das nicht. Die VHS macht ja schon Sprach- oder Excelkurse. Für mehr berufliche Bildung fehlen ihr Kapazitäten, Werkstätten zum Beispiel. Zudem haben sie oft nur Teilzeitpersonal. Und bei den Kammern gibt es schon gut ausgestattete Bildungszentren. Zudem haben die VHS einen klaren Markenkern in der allgemeinen Bildung.
Herr Baron, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Digitale Berufe: Die drei Umschulungen mit den besten Job-Chancen.

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