IPCEI Altmaiers Industriestrategie steht auf der Kippe – auch im Pharmasektor

Hohe staatliche Zuschüsse, Kredite und Garantien möglich.
Das Bundeswirtschaftsministerium plant gemeinsam mit Frankreich, einen neuen Sektor in die Reihe der „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) einzustufen. Dabei wird es sich voraussichtlich um die Pharmaindustrie im Bereich der Gen- und Zelltherapie handeln, erfuhr das Handelsblatt aus Regierungs- und Industriekreisen. Die finale Entscheidung sei noch nicht gefallen, doch die Gen- und Zelltherapie insbesondere mit Blick auf die mRNA-Forschung gelte als klarer Favorit, hieß es.
IPCEI stellen wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse dar, die mehrere Mitgliedstaaten gemeinsam initiieren können. Sie sollen „signifikanten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit oder Wertschöpfung in der EU nehmen“, wo bisher ein Marktversagen vorzuliegen schien, um so die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Unternehmen können sich auf die Teilhabe bewerben, was ihnen hohe staatliche Zuschüsse, Kredite und Garantien ermöglicht. Bislang gibt es IPCEI für Wasserstoff, die Batteriezellfertigung und die Chipindustrie. Die Batteriefabrik von Tesla in Grünheide wird beispielsweise mit 1,4 Milliarden Euro gefördert.
Im Mai hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Gesundheitsminister Jens Spahn (alle CDU) mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Gespräche geführt. Ergebnis war der Plan, die Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit als Reaktion auf die Erfahrungen der Coronapandemie stärker zu vernetzen.
Dass sich IPCEI nicht auf den gesamten Gesundheitssektor fokussieren können, war zu erwarten. Die Masse an Anträgen wäre nicht zu bewältigen gewesen. Im Gespräch sei auch das Thema Cloud-Computing gewesen, berichten Beteiligte. Vom Bundeswirtschaftsministerium hieß es auf Anfrage, über den Inhalt des IPCEI werde noch geredet.

Die IPCEI sind zentrales Instrument in der Industriestrategie des Wirtschaftsministers.
Beteiligte berichten aber, dass die Wahl aller Voraussicht nach auf den Bereich Gen- und Zelltherapie fallen werde, insbesondere wegen der steigenden Relevanz. Das hätten gerade die Corona-Impfstoffe auf mRNA-Basis gezeigt. Zudem liegt die Hoffnung auf Behandlungsmethoden für Krebs- und Alzheimererkrankungen in der Gen- und Zelltherapie.
Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass Deutschland bei diesen Ansätzen gegenüber Ländern wie China ins Hintertreffen gerate. „Wir werden da immer mehr abgehängt“, heißt es. Der Bereich sei sinnvoll in einer Industriestrategie untergebracht, weil es vor allem Bedarf an der Förderung der Kommerzialisierung und am Aufbau größerer Produktionskapazitäten gebe.
Die Vorarbeiten koordinieren nun die Franzosen. Neben Deutschland können sich weitere Mitgliedstaaten anschließen. Österreich, Irland und Ungarn sollen bereits Interesse signalisiert haben. Deutschlands Beteiligung steht allerdings unter dem Vorbehalt der Regierungsbildung.
Die IPCEI sind zentrales Instrument in der Industriestrategie von Wirtschaftsminister Altmaier. Bei der FDP hatte er sich damit erheblichen Unmut eingehandelt. Mit staatlich gelenkter Wirtschaftspolitik konnten die Liberalen noch nie etwas anfangen. Genau diese sehen sie in der Industriestrategie – und insbesondere in den IPCEI.
Daher dürfte die deutsche Rolle bei den geplanten Gesundheitsprojekten erheblich von den aktuellen Gesprächen zwischen SPD, Grünen und FDP abhängen. Aus Kreisen der Koalitionsverhandler ist bereits zu hören, dass die FDP nicht viel von einer Weiterführung der IPCEI hält. Das Thema könnte bereits im Koalitionsvertrag eine Rolle spielen. Selbst wenn nicht: Es ist gut möglich, dass der Bundeswirtschaftsminister aus den Reihen der FDP kommt. Dass dieser den Ansatz weiter unterstützen würde, ist mindestens fragwürdig.
Langwieriger Prozess
Klar ist, dass Altmaier das Projekt nicht mehr unwiderruflich wird auf den Weg bringen können. Zuerst müssen die Mitgliedstaaten die Konzepte ausarbeiten. In Frankreich stehen im April 2022 Präsidentschaftswahlen an, was den Prozess verzögern dürfte. Dann muss die EU-Kommission noch grünes Licht geben. Im Anschluss brauchen die Staaten Klarheit über die finanziellen Mittel, die sie einsetzen können. Das wird gerade in Deutschland länger dauern. Aufgrund des Regierungswechsels wird der Bundeshaushalt erst Mitte des Jahres beschlossen.
Wann das erste Geld fließen kann, dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Die meisten rechnen aber mit einem Zeitraum von drei bis vier Jahren. „Das hat nichts mit der Dynamik zu tun, die es bräuchte. Bis dahin spielen wir bei dem Thema längst keine Rolle mehr“, sagt ein ranghoher Verbandsvertreter. Immerhin rechnen manche mit einem schnelleren Prozess.
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