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Karl-Heinz Streibich Ex-Chef der Software AG: „Wir brauchen die Stärke Europas“

Der IT-Experte sieht eine gefährliche Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Digitalkonzernen und erklärt, was die Bundesregierung jetzt tun muss.
28.10.2019 - 04:06 Uhr Kommentieren
Ex-Software-AG-Chef: Deutschlands Abhängigkeit zu Konzernen im Ausland Quelle: dpa
Karl-Heinz Streibich

Der ehemalige Chef der Software AG begrüßt die Initiative des Bundeswirtschaftsministers.

(Foto: dpa)

Für Karl-Heinz Streibich ist die Sache seit Langem klar: „Ich habe schon zu Beginn der 2000er-Jahre in einem Handelsblatt-Interview gesagt, dass wir Europäer unsere Kräfte im IT-Bereich bündeln müssen“, erzählt der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Acatech.

Mit Gaia-X, dem Datencloud-Projekt von Wirtschaftsminister und CDU-Politiker Peter Altmaier sieht der bestens vernetzte IT-Manager jetzt zumindest langfristig die Chance gekommen, ausländischen Unternehmen die Stirn zu bieten.

Herr Streibich, der Markt für Cloud-Dienste zur Datenanalyse ist fest in der Hand amerikanischer und chinesischer Konzerne. Wie stark ist unsere Abhängigkeit?
Wir haben in Europa kaum vergleichbare digitale Plattformen und sind damit in der Tat abhängig. Microsoft zum Beispiel koppelt die Nutzung seiner Anwendungen an die eigene Cloud-Infrastruktur. Und diese unterliegt dem US-Cloud-Act.

Sie meinen das US-Gesetz, das regelt, wann amerikanische Behörden auf Daten von US-Bürgern zugreifen können, die außerhalb des Landes gespeichert sind.
Genau. Hier besteht somit das Risiko, dass auf Daten zugegriffen wird, denn wir haben keine europäischen vergleichbaren Cloud-Infrastrukturen.

Das ist doch ein Schreckensszenario. Die Bundesregierung kann keinen Fall nennen, bei dem der Cloud-Act für einen solchen Zugriff genutzt worden wäre.
Allein die Möglichkeit des ausländischen Zugriffs ist ein Grund, nach Datensouveränität zu fragen. Nehmen Sie zum Beispiel die Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von Microsoft-Produkten. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Wie sicher sind die Datenbestände vor einem Zugriff amerikanischer Behörden? Dazu benötigen wir eine Antwort, wir müssen uns positionieren.

Was bedeutet das mit Blick auf Cloud-Dienste?
Wenn uns digitale Souveränität wichtig ist, dann müssen wir die Hoheit über unsere Datenbestände behalten. Am besten über eine eigene Cloud-Infrastruktur auf Basis unseres deutschen und europäischen Rechtssystems.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier setzt auf eine europäische Cloud-Lösung, die er diese Woche auf dem Digitalgipfel vorstellen will. Ist Europa technologisch überhaupt in der Lage, eine eigene Datenplattform, der Minister nennt es Gaia-X, aufzubauen?
Der Vorstoß ist absolut richtig. Wenn wir technologisch souverän sein und einseitige Abhängigkeiten vermeiden wollen, dann müssen wir jetzt vorangehen. Der politische Wille ist zunächst entscheidend. Die konkrete Umsetzung ist der zweite Schritt.

Altmaier denkt nicht in erster Linie an eine nationale, sondern an eine europäische Lösung.
Das ist auch richtig so. Wir brauchen die Stärke Europas. In einer zunehmend bipolaren Welt, in der die USA und China die beiden konkurrierenden Blöcke sind, müssen sich die europäischen Staaten in dieser zentralen technologischen Frage zusammenraufen. Wir sollten gemeinsam als größter Wirtschaftsraum der Welt in der Lage sein, souverän und selbstbestimmt über unsere technologische Zukunft zu entscheiden.

Wir haben in Europa lange Zeit eine begrenzte Souveränität gehabt. Noch heute sind wir nicht in der Lage, uns militärisch zu verteidigen. Warum brauchen wir jetzt eine strategische Neupositionierung? Können wir den Amerikanern nicht mehr vertrauen?
Mit der „America first“-Politik der USA beginnt sich etwas Grundlegendes zu verändern. Die unbekümmerten Zeiten von Globalisierung und Multilateralismus, die wir bisher gewohnt waren, gehören offensichtlich immer häufiger der Vergangenheit an. Wir müssen uns auch in Zukunft auf wirtschaftliche Auseinandersetzungen zwischen den USA und China einstellen. Das gab es bisher nicht. Ich rechne deshalb damit, dass wir schon mittelfristig zwei globale technologische Standards haben werden – einen aus den USA und einen aus China. Huawei zum Beispiel sagte, dass sie ohne technologische Autonomie nicht überleben könnten. Wenn das so stimmt, dann ist das ein Signal an uns alle.

Können Sie das erklären?
China will global eine technologische Spitzenposition einnehmen. Was das bedeutet, ist uns allen und insbesondere dem heutigen Technologieführer in der digitalen Welt, den USA, voll bewusst. Wer die technologische Führerschaft in der Welt hat, ist auch wirtschaftlich die Nummer eins in der Welt, und das gilt insbesondere und uneingeschränkt im vor uns liegenden digitalen Zeitalter.

Sind somit Technologieunternehmen Machtinstrumente geworden?
Jedenfalls ist technologische Souveränität ein Zeichen der Stärke und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Digitale Technologie wird eine Relevanz bekommen wie die Energieversorgung. Dass Staaten auch Technologiekonzerne als Machtfaktoren betrachten, sehen Sie beispielsweise daran, dass die US-Regierung Huawei auf eine schwarze Liste gesetzt und etwa die Nutzung des amerikanischen Google-Betriebssystems Android und anderer US-Technologie untersagt hat.

Da Sie Huawei ansprechen: Die digitale Souveränität spielt derzeit auch in der Debatte um den Aufbau des neuen Mobilnetzes 5G eine Rolle. Wenn wir sagen, wir dürfen uns nicht von amerikanischen Cloud-Anbietern abhängig machen, muss das auch für chinesische Netzausrüster wie Huawei gelten?
Souverän sein heißt, selbstbestimmt sein. Es geht mir nicht um Abschottung. Wir müssen genau differenzieren. Ein hartes, umfassendes Nein zu Huawei käme einem partiellen Wirtschaftsboykott gleich und würde deshalb unweigerlich auf Unverständnis auf der Seite Chinas stoßen, das ein großer Handelspartner Deutschlands ist. Ein uneingeschränktes Ja würde hingegen auf Unverständnis in den USA stoßen. Wichtig ist, dass wir uns technologisch strategisch positionieren und Sicherheitszertifizierungen fordern sowie Alternativen aufbauen.

Das ist eine Zukunftsvision, die Huawei-Frage stellt sich aber jetzt.
Deswegen ist eine politische Reaktion gefragt, die dem Exportchampion Deutschland die Zukunft nicht verbaut. Eine Extremposition hilft nicht weiter. Die Entscheidung muss Teil unserer Strategie für die digitale Souveränität Europas sein.

Welchen Stellenwert hat die Cloud-Initiative Gaia-X von Wirtschaftsminister Altmaier für die digitale Souveränität?
Gaia-X ist ein wichtiger erster Schritt, um ein Gesamtkonzept zur digitalen Souveränität zu entwickeln.

Altmaier geht nun voran. Sollte sich auch die Wirtschaft klarer positionieren?
Souveränität ist ein gesellschaftspolitisches Gemeinschaftsgut. Für ein einzelnes Unternehmen, das sich täglich im Wettbewerb behaupten muss, rangiert diese von der geopolitischen Architektur abzuleitende Antwort nicht an erster Stelle. Digitale Souveränität ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Der Staat spielt daher die tragende Rolle, um im Sinne des Gesamtinteresses von Wirtschaft und Gesellschaft zu handeln. Die Wirtschaft wird bei der Umsetzung mitziehen. Gaia-X wird ja auch im Schulterschluss mit Unternehmen entwickelt werden.

Wir haben also zwei Pole – China und die USA. Wir liegen irgendwo in der Mitte, sagen Sie. Das klingt nach Äquidistanz. Aber eigentlich sind wir den Amerikanern doch sehr viel näher als den Chinesen. Uns verbindet der westliche Wertekanon, die liberale Demokratie.
Ja, das stimmt. Zusätzlich kommt es jedoch darauf an, inwieweit die USA sich entscheiden, die „America first“-Politik weiter voranzutreiben. Wir sollten natürlich immer ein offener Innovationsstandort bleiben und auf internationale Kooperation setzen – transatlantisch und weltweit.

Die USA bleiben ein Rechtsstaat, die Chinesen eine Diktatur.
Die Frage ist nicht: Wem vertrauen wir mehr? Sondern: Wie können wir unsere Zukunft selbst bestimmen? Am Ende könnte es zwei voneinander abgegrenzte Technologiesphären geben, zwei rivalisierende Machtblöcke, die von beiden Seiten an uns herantreten. Dann benötigen wir genug Eigenständigkeit, um eine Entscheidung im Sinne Europas treffen zu können, um unseren Handlungsspielraum zu erhalten.

Warum fällt es uns so schwer, mehr für unsere Selbstbehauptung zu leisten?
Ich habe schon zu Beginn der 2000er-Jahre in einem Handelsblatt-Interview gesagt, dass wir Europäer unsere Kräfte im IT-Bereich bündeln müssen. Doch erst konkrete Probleme erzeugen den erforderlichen Veränderungsdruck – und sind somit auch immer eine Chance voranzukommen.

Hat die Bundesregierung den Ernst der Lage erkannt?
Ja, auf jeden Fall. Deshalb reden wir ja über digitale Souveränität und Gaia-X, auch auf dem Digitalgipfel.

Vieles an dem Konzept bleibt unklar. Etwa die Rolle, die der Staat beim Aufbau der Cloud spielen soll.
Die Politik muss das Projekt erstens wirklich wollen, zweitens die Rahmenbedingungen setzen und drittens, das ist entscheidend: Der Staat muss selbst Nutzer sein. Auf dieser Basis kann ein neuer Standard für ein neues digitales Ökosystem entstehen.

Muss der Staat direkte Finanzhilfen leisten?
Zunächst brauchen wir eine Strategie. Hier ist die Politik gefordert. Dann können wir uns mit der Umsetzung beschäftigen. Der Staat muss für dieses für das Gemeinwohl so relevante Thema Anschub leisten, keine Frage. Am Ende müssen aber vor allem auch private Unternehmen in die neue Dateninfrastruktur investieren, sie vorantreiben und wettbewerbsfähig halten

Altmaier geht es vor allem darum, den Mittelstand beim digitalen Wandel zu unterstützen. Der Siemens-Vorstand Roland Busch berichtete jüngst von Kunden, die aus Sicherheitsgründen ihre Daten noch immer lieber bei sich speichern, statt auf eine Cloud-Lösung zu setzen.
Das ist verständlich. Das Geisteskapital der Unternehmen, ihre Entwicklungspläne und Patente sind überlebenswichtig. Deshalb denken Unternehmer natürlich darüber nach, ob sie ihre Daten, ihr gesammeltes Wissen außerhalb des Unternehmens speichern. Andererseits suchen die Unternehmen nach Lösungen, wie sie Daten sicher und vertrauensvoll mit anderen teilen können. In der Industrie 4.0 geht es schließlich um unternehmensübergreifende Vernetzung und datenbasierte Mehrwertdienste.

Aus europäischer Perspektive ist bei technologischen Debatten vor allem der Datenschutz wichtig. Könnte sich das nicht als Wettbewerbsnachteil erweisen?
Es kann auch eine Stärke werden. Wir haben es ja mit drei unterschiedlichen Systemen zu tun. Das System China – mit Staatskapitalismus und autoritärem Regime. Das System USA – ein auf freien Markt ausgerichtetes Modell mit laxerer Datenregulierung als bei uns. Und wir Europäer mit unserer Sozialen Marktwirtschaft. Unsere Strategie muss unseren Werten und unserer Kultur entsprechen. Das Ergebnis könnte eine verteilte Cloud-Infrastruktur sein auf unserem föderal gegliederten Kontinent, die sicher, vertrauenswürdig und auch international attraktiv, also wettbewerbsfähig ist.

Was wäre die Konsequenz, wenn es nicht gelingen sollte, eine europäische Cloud zu errichten?
Ich würde das gern allgemeiner beantworten: Angenommen, es gelänge uns nicht, in der digitalen Welt souverän zu sein – egal ob wir über Mobilnetze, Softwareplattformen oder die Cloud-Infrastruktur sprechen –, dann könnten wir unsere selbstbestimmte und führende wirtschaftliche Rolle in der Welt nicht halten. Langfristig würde das unseren Wohlstand gefährden. Ich bin mir aber sicher, dass wir im engen Schulterschluss von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft einen Weg finden werden, wie wir die digitale Souveränität in Europa erreichen können. Wir bei Acatech werden die Bundesregierung in ihrem Bestreben aktiv und mit Leidenschaft hierbei unterstützen.

Herr Streibich, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Cloud-Dienste sind in der Hand ausländischer Konzerne. Der Bundeswirtschaftsminister will die Dominanz mit einer europäischen Cloud aufbrechen.

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