Karl Lauterbach Der Mahner hält sich als Minister zurück – und gilt nun als Zauderer

Der Gesundheitsminister hat davor gewarnt, dass die Zahlen über Weihnachten explodieren.
Berlin Als vor rund einem Jahr die Infektionszahlen stark stiegen, war für Karl Lauterbach (SPD) die Sache klar. Der 58-Jährige, damals Gesundheitsexperte seiner Partei, forderte einen „Wellenbrecher-Lockdown“. Der sei nun nötig, gar „die letzte Patrone“ in der Pandemie.
Lauterbach musste sich dafür viel anhören, er sei ein Panik- und Alarmmacher, aber kurze Zeit danach war das Land im Lockdown. Ein Jahr später ist die Lage eine völlig andere. Es gibt Impfstoff, Deutschland boostert im Rekordtempo, befindet sich in einer abflauenden vierten Welle – und erwartet die fünfte durch die neue Omikron-Variante.
Anders ist die Lage aber vor allem, weil Lauterbach mittlerweile Bundesgesundheitsminister ist und für manche nicht mehr wiederzuerkennen. In Talkshows und Interviews konnte er ohne Ministerbürde frei aufspielen. Nun spricht und entscheidet er nicht mehr nur für sich, sondern als Teil der Regierung.
Von „letzten Patronen“ ist keine Rede mehr, auch sonst drückt sich Lauterbach deutlich vorsichtiger aus. Dem Minister Lauterbach gelingt es offenbar, den Mahner Lauterbach im Zaum zu halten. Seine Kritiker hätten ihm das nicht zugetraut, Lauterbach galt als Eigenbrötler, manche hatten große Zweifel, dass er sich im Bundeskabinett unterordnet.
Mit seinem ministeriellen Auftreten beweist er, dass er auch anders kann – enttäuscht damit allerdings jene, die sich von ihm eine klare und zuweilen auch harte Coronapolitik erhofften. Von ihnen wird er nun als Zauderer wahrgenommen. Eine Zuschreibung, die für Lauterbach vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar schien. Zuletzt drängte sich der Eindruck bei der vorweihnachtlichen Ministerpräsidentenkonferenz auf.
Die Beschlüsse gingen auch auf die Vorarbeit von Lauterbachs Ministerium zurück und wurden von vielen als zu lasch kritisiert. Das von dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann regierte Baden-Württemberg und das von dem CDU-Regierungschef Michael Kretschmer regierte Sachsen machten in einer Protokollerklärung ihre Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Konferenz deutlich.
Kritik von Lauterbach an RKI-Chef Lothar Wieler
Kretschmer sprach von einer „verpassten Chance“. Allen voran empfahl allerdings ausgerechnet jenes Lager deutlich schärfere Maßnahmen, auf das Lauterbach die Coronapolitik stärker ausrichten wollte, nämlich die Wissenschaft. Zwar rief die neue Bundesregierung einen Expertenrat ein, dessen Empfehlungen Grundlage für die Beschlüsse waren.
Zufriedenstellend war das Ergebnis für einige dennoch nicht. Man könne der Politik durchaus den Vorwurf machen, mit dem verspäteten Treffen „schon wieder etwas verschlafen“ zu haben, sagte der Frankfurter Virologe Martin Stürmer. Und das Robert Koch-Institut (RKI) empfahl noch vor dem Bund-Länder-Treffen deutlich schärfere Maßnahmen, etwa sofortige Kontaktbeschränkungen und weitreichende Schließungen.
Während der Konferenz kanzelte Lauterbach den Instituts-Chef Lothar Wieler dafür ab und kritisierte, dass der Vorstoß nicht mit ihm abgesprochen gewesen sei. Lauterbach wirkte so, als ignoriere er wissenschaftlichen Rat und würde mit entschiedenen Maßnahmen zaudern. Der Vorwurf wiegt schwer, da Deutschland in fast zwei Jahren Pandemie sehr viele Entscheidungen viel zu spät getroffen hat.
Die desaströse vierte Welle wäre deutlich harmloser verlaufen, wenn Bund und Länder die Booster-Impfungen und 2G-Regel früher forciert hätten. Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) musste sich von Experten regelmäßig anhören, nicht angemessen auf die Pandemiegefahr zu reagieren.
An seinen Nachfolger gerichtet ist dieser Vorwurf neu. Macht die Bundesregierung nun den gleichen Fehler mit der Omikron-Welle – oder reichen die beschlossenen Maßnahmen tatsächlich aus? Zur Logik der Pandemie mit ihren neuen Varianten gehört es, dass sich Entscheidungen erst im Nachhinein als richtig oder falsch erweisen, da es an Erfahrung mangelt.
Man würde in dieser Lage gerne den recht unbefangenen Gesundheitsexperten Lauterbach hören, der allerdings ist jetzt Minister. Ratschläge richtet Lauterbach nur noch an sich selbst, denn in seiner neuen Position muss er nicht fordern, sondern handeln. Es finden sich allerdings Hinweise in seinen früheren Wortmeldungen. Ende November forderte er etwa, angesichts der Omikron-Variante Clubs und Bars sofort zu schließen. Einen Monat später müssen die Clubs tatsächlich schließen, Bars hingegen nicht.
Auf die Frage, warum diese offen bleiben, sagte Lauterbach in der Bundespressekonferenz, man müsse die Lage im Blick behalten. Hier hatte der Minister Lauterbach den Mahner offenbar erneut im Griff.
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In alter Rolle konnte Lauterbach voll und ganz eine Nische der „Fachidiotischen Extremisten-Perspektive“ einnehmen.
Als Minister nun hat er Maßnahmen-Macht über „alle“ 80 Millionen im Land - was ihm vom Grundsatz her eine GESAMTVERANTWORTUNG, den vollen 360°-Blick abverlangt - und eben nicht mehr nur die 1°-Ausschnitts-Perspektive.
Es spricht für ihn, wenn er zumindest versucht, diese Weitung seines Spektrums einzunehmen. In der Kür gar die vollständige 360° Perspektive zu finden.
Dass das den fachidiotischen Scharfmachern, die letztlich eine Extremisten-Position verkörpern, nicht weit genug geht, ist ja klar. Doch bei aller Klientel geneigten Freundlichkeit hat eine Regierung das Wohl ALLER zu ermöglichen - was Extremismus in JEDER Form verbietet, da dieser letztlich die primitiveren Geister verkörpert.
Ich bin mal gespannt und werde beobachten, inwieweit ein Herr L einen Pfad der Vernunft auch nachhaltig erlangen kann…