Katja Suding & Lencke Steiner: Wer taugt denn schon als Vorbild?
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Katja Suding & Lencke SteinerWer taugt denn schon als Vorbild?
Wer Spielchen macht, kann auch verlieren: Im Handelsblatt-Interview erläutern die FDP-Politikerinnen aus Hamburg und Bremen ihren Blick auf Merkels Griechenlandpolitik und auf eine moderne Familienpolitik.
Katja Suding (Hamburg) und Lencke Steiner (Bremen): „Die Wahrnehmung nach der verlorenen Bundestagswahl war deutlich schlechter als die Substanz.“
(Foto: Dominik Butzmann für Handelsblatt)
BerlinTreffpunkt FDP-Zentrale in Berlin, direkt neben einem alten Bunker, zu dem es nach dem Gespräch zum Fototermin geht: Lencke Steiner und Katja Suding, die beiden FDP-Gewinnerinnen aus Bremen und Hamburg, verkörpern die junge FDP. Wäre mit mit ihnen eine Krise wie die um Griechenland zu meistern oder vielleicht gar eine Bundestagswahl zu gewinnen?
Alle reden über Griechenland. Fangen wir auch so an: Wer trägt die Schuld am Desaster? Suding: Auf den letzten Metern hat sich Tsipras verzockt. Er hat darauf gebaut, dass die Euro-Gruppe alles tun würde, um einen Grexit zu verhindern. Es ist gut, dass sie jetzt Härte zeigt. Aber natürlich muss sich die Bundesregierung fragen, ob in den letzten Monaten klug verhandelt worden ist. Mein Eindruck: Die Einzige, die wirklich auf Regeln gepocht hat, war Frau Lagarde.
Nicht die Kanzlerin? Suding: Das Problem ist doch, dass man Tsipras und Varoufakis zu lange entgegengekommen ist. Diesen Schuh muss sich auch die Kanzlerin anziehen. Wer auf Spielchen einsteigt, darf sich hinterher nicht wundern, wenn die griechische Regierung blufft.
Steiner: Wenn die europäische Idee nicht irreparabel beschädigt werden soll, ist ein Grexit besser als weitere teure Kompromissangebote. Am Ende sind es doch die jungen Menschen in Europa, die für diese falsche Politik aufkommen müssen.
Die FDP hat die Politik lange mitgetragen – ein Fehler? Suding: Europa war 2010 überhaupt nicht auf eine Staatspleite Griechenlands vorbereitet. Brandmauern gab es nicht. Deshalb stehen wir zu unseren Entscheidungen. Sie haben verhindert, dass die Krise auf weitere Euro-Länder übergreift und Europa daran zerbricht. Alles andere wäre unverantwortlich gewesen. Es war kein Fehler diesen Kurs einzuschlagen, sondern dass die Große Koalition ihn wieder verlassen hat.
Echte Politiker-Antwort: Bei uns läuft es richtig, ohne uns falsch. Wir dachten, sie sind anders drauf. Ist es schon so weit, dass sie sich als Berufspolitikerinnen sehen? Suding: Ich mache sehr gerne Politik, kann mir aber auch vorstellen, irgendwann wieder in meinen alten Beruf als Kommunikationsberaterin zurückzukehren.
Steiner: Mir ist es wichtig, meine persönliche Unabhängigkeit zu wahren und deshalb bleibe ich auch weiter in unserem Familienunternehmen tätig.
Chronologie der FDP im Bundestag
Die FDP erzielt bei der Bundestagswahl 11,9 Prozent und verhilft Konrad Adenauer (CDU) zur ersten Kanzlerschaft.
Die Partei rutscht auf 9,5 Prozent ab und regiert weiterhin als stärkster Partner der Union unter Adenauer.
Die Liberalen gehen mit 7,7 Prozent in die Opposition.
Die FDP legt auf 12,8 Prozent zu und bildet mit der Union die erste rein schwarz-gelbe Koalition, zunächst unter Adenauer, ab 1963 unter Ludwig Erhard.
9,5 Prozent reichen zur Fortsetzung des Bündnisses unter Erhard. Ein Jahr später scheidet die FDP aus der Regierung aus, als Union und SPD die erste große Koalition eingehen.
Mit schwachen 5,8 Prozent ermöglicht die FDP die erste sozial-liberale Koalition unter SPD-Kanzler Willy Brandt. Walter Scheel (FDP) wird Vizekanzler.
8,4 Prozent; das rot-gelbe Bündnis regiert weiter.
7,9 Prozent trägt die FDP zur sozial-liberalen Regierung unter Helmut Schmidt bei. Starker Mann der FDP ist Hans-Dietrich Genscher.
10,6 Prozent für Genschers Partei; Rot-Gelb bleibt – noch.
Bruch der Koalition mit der SPD und Wechsel in ein Regierungsbündnis mit der Union unter Kanzler Helmut Kohl (CDU).
Bei der vorgezogenen Wahl fällt die FDP auf 7,0 Prozent. Doch es reicht für die Fortsetzung des gerade erst gebildeten christlich-liberalen Bündnisses. Es hält 16 Jahre.
Die FDP steigert sich auf 9,1 Prozent, das Bündnis bleibt.
FDP-Außenminister Genscher gilt als einer der Väter der Wiedervereinigung. Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl stimmen 11,0 Prozent für die Liberalen.
Die FDP sinkt auf 6,9 Prozent – die letzte Phase von Schwarz-Gelb beginnt.
6,2 Prozent – die FDP muss wie die Union für elf Jahre in die Opposition. Das erste rot-grüne Bündnis startet unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder.
7,4 Prozent reichen nicht für den erhofften Machtwechsel.
9,8 Prozent sind wieder zu wenig: Die Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) koaliert mit der SPD.
Ein 14,6-Prozent-Rekord sichert den Liberalen fünf Ministerämter in einer schwarz-gelben Regierung unter Merkel.
Die FDP stürzt unter Parteichef Philipp Rösler auf 4,8 Prozent und gehört erstmals dem Bundestag nicht mehr an.
Sie leiten ein Verpackungsunternehmen. Haben Sie überhaupt noch die Zeit für ihre Firma, Frau Steiner? Steiner: Ja, in Bremen ist das möglich. Die Bürgerschaft ist ein Teilzeitparlament, das erst am Nachmittag und nicht an jedem Tag zusammentritt.
Klingt entspannt. Warum machen Sie Politik? Steiner: Ich habe als Vorsitzende der Jungen Unternehmer viele Gespräche mit Politikern geführt. Dort habe ich immer viel Verständnis für unsere Anliegen erfahren, aber in der Politik fanden wir dann überhaupt nicht statt. Das gilt für uns als junge Generation: Das Rentenpaket der Koalition zum Beispiel ist einfach viel zu teuer und belastet die Jungen einseitig. das gilt aber auch für uns Unternehmer: Denn von der GroKo wird immer mehr reguliert. Deshalb habe ich mir gedacht: Mach doch selbst Politik!
Reizt Sie die Macht oder das Netzwerk, das die Politik mit sich bringt? Steiner: Ich bin kein machtgesteuerter Mensch und habe bereits mein Netzwerk. Ich brauche auch keine Ämter. Ich will etwas verändern.
Und die Popularität? Reizt es Sie, auf jedem Wahlplakat zu stehen? Steiner: Wer politisch etwas bewegen will, darf sich nicht verstecken. Wenn Aufmerksamkeit für eine Person auch zu mehr Aufmerksamkeit für ihre Themen und Anliegen führt, dann finde ich das positiv.
Suding: Als ich 2006 angefangen habe, mich zu engagieren, war es nicht mein Ziel, in der ersten Reihe zu stehen. Ich bin dann von Parteifreunden vorgeschlagen worden. Ich mache das aber nicht wegen der Aufmerksamkeit, sondern eher, obwohl es so viel Öffentlichkeit mit sich bringt.
Noch vor einigen Monaten interessierte sich kaum jemand für die FDP, die Partei war unten durch. Jetzt gewinnen Sie sogar Wahlen. Alles richtig gemacht? Suding: Die FDP hat in der Vergangenheit Fehler gemacht, keine Frage. Aber die Wahrnehmung nach der verlorenen Bundestagswahl war deutlich schlechter als die Substanz. Nach unserer Neuaufstellung hatten es die Leute irgendwann satt, Spott und Häme über der Partei auszuschütten.
Wann begann die Wende? Suding: Nach gut einem Jahr Große Koalition, also am Ende des letzten Jahres, haben wir gespürt, dass sich die Stimmung dreht. Die Menschen merken, dass Union und SPD mehr verwalten als gestalten; dass sie Wahlgeschenke verteilen, die Wirtschaft überregulieren und die Bürgerrechte einschränken. Dieses Klima haben wir für uns genutzt.
Reichen zwei flotte Kandidatinnen und grellbunte Wahlplakate schon aus, um wieder in zu sein? Suding: Weder war die FDP jemals tot, wie manche uns weismachen wollten, noch sitzt sie heute schon wieder im Bundestag. Ich wundere mich manchmal, was über uns geschrieben wird.
Die FDP ist gerade in Mode, aber Moden sind häufig kurzlebig. Steiner: Aber Politik oder Parteien sind doch keine Mode, sondern eine Lebenseinstellung. Das ist keine Saisonware, die abhängig von Modezyklen ist. Dann fragen Sie mal die Piratenpartei. Oder gerade die AfD.
Suding: Bei neuen Parteien läuft es so: Sie werden gegründet, habe einen Höhenflug und stürzen dann wieder ab oder zerlegen sich. Das kann man nicht mit der FDP vergleichen. Die Partei hat eine jahrzehntelange, verdienstvolle Geschichte und war lange in Regierungsverantwortung.
Steiner: Die FDP ist eine gestandene Partei!
Unsere Gesellschaft wird aber immer kurzatmiger. Wem steht da der Sinn nach gestandenen Parteien? Suding: Wir wissen ja, dass die langfristige Bindung an Parteien abnimmt, ebenso wie an Kirchen oder Verbände. Dafür entstehen immer mehr Bürgerbewegungen, in denen sich die Menschen für ein punktuelles gemeinsames Interesse zusammenschließen. Daraus ergibt sich eine höhere Volatilität, die Zustimmung zu den Parteien hängt stärker von kurzfristigen Entwicklungen oder handelnden Personen ab. Das birgt Chancen: Wir sind in Hamburg mit zwei Prozent in den Wahlkampf gestartet und mit 7,4 Prozent herausgekommen.
Die FDP spricht inzwischen nicht mehr am liebsten über Steuern, sondern über Bildungs- und Gesellschaftspolitik. Wirkt das moderner? Suding: Wir haben eine lange Tradition in der Bildungspolitik, auch wenn diese zwischenzeitlich durch das Steuerthema überdeckt wurde. Für mich ist Bildung die größte soziale Frage, der wir uns in Deutschland stellen müssen. Und da spielen allerhand familienpolitische Themen hinein.
Grüne und SPD fordern gerade die Homo-Ehe, die Union sträubt sich. Hängt sie an einem überholten Familienbild? Suding: Das traditionelle Familienmodell existiert natürlich weiter, aber daneben gibt es eben viele andere Formen des Zusammenlebens. Es gibt Paare mit und ohne Kinder, die nicht heiraten wollen, es gibt die Regenbogenfamilie, die Patchwork-Familie, viele Alleinerziehende. Die Vielfalt hat stark zugenommen. Darauf muss die Familienpolitik reagieren.
Hat die Politik heute noch die Kraft, wie vor 30 Jahren Familien- oder Lebensmodelle vorzugeben? Steiner: Die Politiker spiegeln doch letztlich auch die Gesellschaft wider, und diese ist eben nicht mehr so traditionell. Das müsste der Union langsam auch mal auffallen.
Suding: Welcher Politiker taugt denn noch als Vorbild für ein klassisches Familienbild? Frau Merkel ja schon mal nicht. Im Übrigen fragen Sie die Falschen: Wir sind doch die Partei, die möchte, dass jeder Mensch so glücklich werden kann, wie er oder sie will. Die AfD mag versuchen ein Familienbild vorzugeben. Aber doch nicht wir.
Einmal weg von der Familienpolitik: Man könnte ja auch sagen, die FDP stehe für die Menschen, die sich selber helfen können. Die SPD zum Beispiel stehe für jene, die auch mal Hilfe brauchen. Suding: Da haben Sie unser Menschenbild falsch verstanden: Uns geht es nicht um diejenigen, die sich allein durchschlagen können, weil sie stark genug sind. Uns geht es darum, allen Menschen möglichst viel Freiraum zu verschaffen. Deshalb legen wir so viel Wert darauf, ihnen durch bessere Bildung Chancen zu eröffnen
Mit Themen wie Homoehe oder auch Vorratsdatenspeicherung und Legalisierung von Cannabis wird die FDP eher in Hamburg und Bremen punkten als auf der Schwäbischen Alb oder in der Eifel, wo die nächsten Wahlen anstehen. Sind die Liberalen eine Großstadtpartei? Steiner: Bremen besteht auch aus viel plattem Land. Hinzu kommt, dass wir eine geringe Erwerbstätigenquote von Frauen haben – Bremen ist also eher traditionell. Und trotzdem konnten wir die Menschen mit unseren Themen Bildung und Wirtschaft abholen. Beides betrifft jeden.
Sie sind jung, auch Parteichef Christian Lindner ist erst 36. Braucht die FDP gestandene ältere Herren in ihrer Führung? Suding: Zum Glück haben wir Wolfgang Kubicki! Und wir haben eine gute Durchmischung. Das war früher anders.
Hmm, vor der Bundestagswahl 2017 spielen wir natürlich alle möglichen Machtoptionen durch. Und dann fragen wir uns und vielleicht ja auch die Wähler: Traue ich diesen Kandidaten zu, Minister zu sein? Bringt die FDP dafür genug Gravitas mit? Suding: Uns geht es jetzt erstmal darum, dass die Freien Demokraten 2017 wieder in den Bundestag einziehen. Deshalb arbeiten wir an unserem Programm und denken nicht in Pöstchen. Ich mache mir keine Sorgen, was unser Personal angeht. Lencke hat in Bremen eine Wahl gewonnen, ich bin seit fünf Jahren Fraktionsvorsitzende. Wir haben Christian Lindner, Nicola Beer, Hermann Otto Solms und viele andere: Die machen alle nicht erst seit gestern Politik.
Steiner: Für mich stellt sich eher die Frage: Wie kann eine frühere Familienministerin auf einmal für die Bundeswehr verantwortlich sein? Geht es eigentlich nur noch um Posten oder darum, dass man einschlägige Erfahrung mitbringt?
Frau Suding, Sie sind länger dabei. Geben Sie Frau Steiner gelegentlich Tipps? Suding: Ich halte mich mit Ratschlägen zurück. Wir sprechen natürlich viel und beide Stadtstaaten haben auch ähnlich gelagerte Herausforderungen, denken Sie etwa an die Häfen. Aber Lencke braucht keine Tipps von mir.
Steiner: Und wenn doch, rufe ich Katja einfach an.
Frau Suding, Frau Steiner, vielen Dank für das Interview.
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