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Klimapolitik in den USA Was Umweltökonomen gegen Ocasio-Cortez' „Green New Deal“ haben

Das Umweltprogramm des linken Flügels der US-Demokraten fordert Investitionen in grüne Wirtschaftszweige – und stößt bei Wissenschaftlern auf Skepsis.
03.05.2019 - 15:46 Uhr Kommentieren
Der Umweltschutz soll auch Arbeitsplätze schaffen. Quelle: Reuters
Ocasio-Cortez and Senator Markey bei einem Pressestatement

Der Umweltschutz soll auch Arbeitsplätze schaffen.

(Foto: Reuters)

Frankfurt In den USA scheint die Energieverschwendung zur nationalen Kultur zu gehören. Pro Kopf der Bevölkerung ist der Energieverbrauch rund doppelt so hoch wie in Deutschland, wo seit den 1970er-Jahren das Energiesparen auf vielfache Weise gefördert und beworben wird.

Linke US-Politiker wollen nun die verheerende Klimabilanz der US-Wirtschaft verbessern. Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez und andere fordern einen „Green New Deal“. „Klimawandel und Umweltgefahren gehören zu den existenziellen Bedrohungen für unsere Lebensweise“, begründete Ocasio-Cortez ihre entsprechende Vorlage im Repräsentantenhaus und versprach in bewährt grandioser Manier: „Wir können uns selbst und den Rest der Welt mit uns retten.“

Der Name soll an den „New Deal“ erinnern, an die Infrastrukturinvestitionen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit denen Franklin Roosevelt die Große Depression bekämpfte. Der „Green New Deal“ soll innerhalb von zehn Jahren die Wirtschaft völlig umorganisieren. Dann sollen 100 Prozent der Energie aus „schadstofffreien, erneuerbaren Quellen“ stammen.

Öffentliche Investitionen, unter anderem in Hochgeschwindigkeitszüge, sollen neue Arbeitsplätze für diejenigen schaffen, die bisher in klimaschädlichen Wirtschaftszweigen arbeiten. Job- und Weiterbildungsprogramme und Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle sollen den Umbau zusätzlich flankieren.

Lob von Paul Krugman

Schon in der Präsidentschaft von Barack Obama ab 2008 gab es einen „Green New Deal“, der sich allerdings in Subventionen für den Ausbau erneuerbarer Energien erschöpfte – unter Fortbestand der Subventionen für fossile Energien. Die europäischen Grünen zogen 2009 mit einem Konjunktur- und Infrastrukturprogramm unter dem Namen „Green New Deal“ in den Europawahlkampf, fanden dafür aber später keine Mehrheiten.

Der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman, der den Demokraten nahesteht, unterstützt die Initiative von Ocasio-Cortez. Die Kombination aus emissionsmindernden Maßnahmen und allen möglichen Infrastrukturvorhaben, die oft nur entfernt mit Klimaschutz zu tun haben, sei ein pragmatischer Ansatz, um politische Mehrheiten für Klimaschutz zu bekommen, urteilte er.

Der „Green New Deal“ gehört zu den umweltpolitischen Konzepten, die auf technologische Umstellungen setzen. Neue Energiequellen und Wärmeisolierung aller Häuser stehen im Vordergrund. Die implizite Botschaft ist, dass eine Änderung des Lebensstils nicht notwendig ist.

Dass es „schadstofffreie“ Energiequellen nur gibt, wenn man die Produktion der nötigen Anlagen und den Bedarf an knappen und oft recht „schmutzigen“ Rohstoffen dafür nicht beachtet, ist einer der Schönheitsfehler des Konzepts. Isolierung aller Häuser mit Schaumstoffen oder anderen Materialien, wie es der Green New Deal fordert, ist nicht emissionsfrei zu haben. Auch haben gerade Studien aus den USA gezeigt, dass dort Investitionen in bessere Isolierung von Häusern und energieeffizientere Klimaanlagen allenfalls geringe Energieeinsparungen bewirkten.

Denn die gesunkenen Energiekosten werden offenbar zum Anlass genommen, die Häuser im Sommer noch weiter herunterzukühlen und im Winter noch stärker zu heizen. Derartige „Rebound“-Effekte, bei denen Verhaltensanpassungen die direkten Effekte umweltpolitischer Maßnahmen teilweise oder ganz konterkarieren, gibt es viele.

Postwachstumsökonomen sind skeptisch

Niko Paech von der Universität Siegen, ist der bekannteste deutsche Vertreter des Gegenentwurfs zur Green-New-Deal-Ökonomik. Auf Deutsch heißt der Ansatz Postwachstumsökonomik, auf Englisch „Degrowth“.

Deren Vertreter sind äußerst skeptisch gegenüber der Erwartung, man könne den Bedarf an nicht-erneuerbaren Energieträgern und Rohstoffen vom Wirtschaftswachstum so weit abkoppeln, wie nötig wäre, um die ambitionierten Reduktionsziele zu erreichen, mit denen eine baldige Überhitzung des Planeten abgewendet werden soll.

Deshalb hat Paech schon 2014 Verheißungen von „qualitativem“ oder „dekarbonisiertem“ Wachstum eine Absage erteilt. „Die Hoffnung, dass ökonomisches Wachstum bei hinreichend innovativen Technikentwicklungen vom Ressourcenverbrauch und Umweltschäden entkoppelt werden kann, ist eine Schimäre“, schrieb er.

Nötig sind aus seiner Sicht der Postwachstumsökonomik Konzepte, wie eine Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum gut leben kann.

Allerdings zeigt der Umstand, dass Europäer nach den Zahlen der Weltbank pro Einheit Energieverbrauch knapp 50 Prozent mehr Wirtschaftsleistung hervorbringen als die USA, dass geänderte Preisrelationen und soziale Normen viel bewirken können, ohne dass die Lebensqualität leidet.

Jedoch ist nach den gängigen Berechnungen auch der Ressourcenverbrauch der Europäer viel höher, als für die gesamte Weltbevölkerung nachhaltig erreichbar wäre. Afrikaner verbrauchen bisher pro Kopf nur einen Bruchteil der Energie und Rohstoffe, die Europäer in Anspruch nehmen.

Fortschritt ohne Wachstum

Herman Daly, der bekannteste Vertreter von Degrowth, betont, dass eine Gesellschaft mit stabiler Bevölkerung und ohne materielles Wirtschaftswachstum unvermindertes Potenzial für kulturellen und sozialen Fortschritt hätte. Wachstum sei unser Ersatz für das Teilen, schreibt er und folgert daraus im Umkehrschluss: „Durch bessere Verteilung können wir Wachstum unnötig machen.“

Er tritt für sozialdemokratische Umverteilungsmaßnahmen und für marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente ein. Das sind insbesondere handelbare Emissionsrechte. Sogar für das Recht Kinder zu bekommen hat er handelbare Zertifikate vorgeschlagen.

Radikaler, und damit noch weiter weg vom Green New Deal ist eine Strömung, die die kapitalistische Wirtschaft für das scheinbar unlösbare Umweltdilemma verantwortlich macht. Dieses Wirtschaftssystem erlaube keinen Unterschied zwischen elementaren menschlichen Bedarfen wie Nahrung, Unterkunft und sanitäre Anlagen und eher nachrangigen Bedürfnissen, die zum Teil erst zum Zwecke der gewinnträchtigen Befriedigung geschaffen werden.

Wenn die Diagnose stimme, dass die verfügbaren Ressourcen der Erde beim heutigen Bevölkerungsstand auf Dauer nicht für viel mehr als eine Befriedigung der elementaren Bedürfnisse aller reichen, so könne man Emissionsrechte nicht nach Zahlungsfähigkeit zuteilen, argumentieren Ökosozialisten wie Clive Splash von der Wirtschaftsuniversität Wien.

Die Ökosozialisten bezweifeln, dass man die Nutzung der „Umweltdienste“ so teuer machen kann, dass der Wirtschaft das Wachstum ausgetrieben wird. Aus ihrer Sicht ist Wirtschaftswachstum elementarer Bestandteil der kapitalistischen Wirtschaftsform. Dessen Vereitelung führe darin unweigerlich zu schweren Wirtschaftskrisen.

Bei aller sozialistischen Radikalität, die Ocasio-Cortez und Sanders zugeschrieben werden, harmoniert ihr Green New Deal deutlich besser mit marktwirtschaftlichen, kapitalistischen Wachstumszwängen als Vertretern linker und wachstumskritischer Umweltökonomie lieb ist.

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