Klimapolitik Unternehmen fürchten CO2-Steuer – und hoffen auf Ausgleich

Gerade energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb würden durch eine deutsche CO2-Steuer stark belastet.
Berlin Es ist nicht so, als würde der Sachverständigenrat vor lauter Begeisterung über die segensreiche Wirkung eines CO2-Preises die Fallstricke übersehen. Auf Seite 78 des Sondergutachtens „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ heißt es unmissverständlich, dass höhere CO2-Preise für die Industrie zu einem Problem werden und „die betroffenen Beschäftigten und Regionen vor erhebliche Herausforderungen stellen“ könnten.
„Zugleich besteht das Risiko, dass bestimmte energieintensive Wertschöpfungsbereiche ihre Produktion in Deutschland reduzieren und diese in andere Länder auslagern“, heißt es in dem am Freitag vorgestellten Gutachten.
Damit spricht der Sachverständigenrat eine in weiten Teilen der Wirtschaft verbreitete Befürchtung an: Eine CO2-Bepreisung könnte die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen schwächen. Im Gutachten widmen die fünf Ökonomen dem Thema ein eigenes Kapitel.
„Unternehmen, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, werden die Kosten an ihre Kunden durchreichen. Aber natürlich haben nicht alle Unternehmen diese Überwälzungsmöglichkeiten“, sagte Christoph M. Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats, dem Handelsblatt. „Gerade die Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb mit Unternehmen aus Ländern ohne CO2-Preis stehen, brauchen einen Ausgleich“, sagte Schmidt.
Wie dieser Ausgleich verlässlich organisiert werden kann, ist bislang allerdings unklar.
Die Wirtschaftsweisen empfehlen der Bundesregierung, übergangsweise einen nationalen CO2-Preis einzuführen, um die Klimaziele Deutschlands zu erreichen. Diese sehen eine Minderung der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen um 55 Prozent bis 2030 und um mindestens 80 Prozent bis 2050 vor.
Konkret raten die Ökonomen dazu, vor allem für die bislang vom europäischen Emissionshandel nicht erfassten Sektoren Verkehr und Gebäude einen CO2-Preis zu etablieren. Zwar vermieden sie es, sich auf einen Vorschlag festzulegen; denkbar sind aber zwei Wege: ein separates Emissionshandelssystem oder eine CO2-Steuer, die sich zunächst am Preis des europäischen Emissionshandelssystems orientiert und kontinuierlich erhöht wird.
Mittelfristig halten die Ökonomen ein global koordiniertes Vorgehen für unverzichtbar. „Spätestens bis 2030 sollte der vorhandene europäische Emissionshandel (EU-ETS) in allen Mitgliedstaaten auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ausgeweitet und somit ein über alle Sektoren einheitlicher CO2-Preis etabliert werden“, heißt es in dem Gutachten.
Idee einer CO2-Bepreisung ist, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. Sie soll aber möglichst nicht die Belastungen für Gesellschaft und Wirtschaft erhöhen. Infolgedessen raten die Ökonomen der Bundesregierung, die staatlichen Einnahmen aus einem CO2-Preis sozial verträglich zurückzuverteilen, etwa über eine direkte, pauschale Rückgabe je Einwohner oder eine Senkung der Stromsteuer.
Härtefälle müssten gesondert berücksichtigt werden.
Auch für die Unternehmen schlagen die Autoren verschiedene Rückgabeoptionen vor. Im Fall eines eigenen Emissionshandels für die Bereiche Verkehr und Gebäude könnte über eine kostenlose Zuteilung an bestimmte energie- und handelsintensive Industrien nachgedacht werden. Ebenso könnten die Einnahmen für eine Senkung der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) genutzt werden.
Unsicherheit für Unternehmen steigt
Die Autoren verweisen allerdings darauf, dass beide Vorschläge der beihilferechtlichen Genehmigung durch die Europäische Kommission bedürfen. Mit der Besonderen Ausgleichsregelung des EEG gibt es entsprechende Entlastungen für energieintensive Unternehmen schon seit Jahren; allerdings stehen sie ständig im Kreuzfeuer der Kritik.
Für viele Unternehmen bedeutet das schon heute große Unsicherheit. Eine Ausweitung des Instruments könnte die Unsicherheit noch vergrößern.
Die Wirtschaft teilt diese Bedenken. Es sei keineswegs so, dass die deutsche Politik die entsprechenden Entlastungen einfach beschließen könne, sagte Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Chemischen Industrie (VCI), dem Handelsblatt. „Wenn man über Entlastungen bei den Abgaben redet, muss man immer im Blick haben, dass die EU-Kommission ein Wort mitredet“, sagte Tillmann.
Als Alternative schlagen die Verfasser einen Grenzausgleich (Border Tax Adjustment) vor. Dabei würden Importgüter entsprechend den mit ihrer Produktion verbundenen Emissionen belastet, während Exporteure die bei der Produktion entstandenen CO2-Kosten an der Grenze zurückerhielten.
Allerdings, so geben die Autoren zu bedenken, sei der Grenzausgleich „theoretisch attraktiv“, in der Praxis jedoch nur schwer umsetzbar. Allein die eindeutige Bestimmung der produkt- und länderspezifischen CO2-Emissionen dürfte sich schwierig gestalten, geben sie zu bedenken. Außerdem, so warnt VCI-Hauptgeschäftsführer Tillmann, sei fraglich, ob Grenzausgleichsregelungen den WTO-Regeln entsprächen. Auf dieses Problem weisen auch die Autoren des Gutachtens hin.
Aus Sicht der Unternehmen sind die Unsicherheiten unter dem Strich immens. Es wäre ein großer Fehler, wenn nun handstreichartig ein CO2- Preis eingeführt würde, ohne die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Industriebranchen zu berücksichtigen, hieß es in Wirtschaftskreisen. Alle bekannten Kompensationsmaßnahmen seien problembehaftet. Die daraus erwachsenden Unsicherheiten seien Gift für die Unternehmen.
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