Klimaschutz Rüge vom Expertenrat der Regierung: Im Gebäudesektor werden die Klimaschutzziele verfehlt

Im Gebäudesektor verfehlen Bundesinnenministerium und Bundeswirtschaftsministerium laut den Gutachtern die Ziele.
Berlin Der von der Bundesregierung berufene Expertenrat für Klimafragen rügt das Bundesinnenministerium und das Bundeswirtschaftsministerium wegen unzureichender Maßnahmen im Klimaschutz. Die Programme der beiden Häuser sind nach Überzeugung der Gutachter nicht ausreichend, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Aus den Unterlagen, die die beiden Ministerien vorgelegt haben, könne man den Schluss ziehen, „dass für die Erreichung der Sektorziele im Gebäudesektor vermutlich weitere, darüber hinausgehende Anstrengungen nötig werden“, sagte Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen, am Mittwoch.
Der Expertenrat schafft damit einen Präzedenzfall: Erstmals entfaltet der mit dem 2019 verabschiedeten Klimaschutzgesetz beschlossene Kontrollmechanismus seine Wirkung. Das Gesetz schreibt für jeden der klimaschutzrelevanten Sektoren – Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft – jahresscharfe Emissionsobergrenzen fest. Werden diese Obergrenzen gerissen, müssen die zuständigen Ressorts Sofortprogramme erarbeiten, um die Zielverfehlung auszugleichen.
Im Frühjahr hatte sich herausgestellt, dass der Gebäudesektor die Emissionsobergrenzen des Jahres 2020 überschritten hat. Innen- und Wirtschaftsressort legten daraufhin im Juli ein mit 5,8 Milliarden Euro ausgestattetes Sofortprogramm vor.
Das Bundesumweltministerium kritisierte das Programm kürzlich bereits als unzureichend. Diese Kritik rief den Expertenrat auf den Plan. Er teilt die Bedenken des Umweltressorts.
Effekte des Sofortprogramms erscheinen „tendenziell überschätzt“
„Das Sofortprogramm für den Gebäudesektor trägt sicherlich zu einer zusätzlichen Minderung von Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahren bei, insbesondere wenn die Fördervolumina wie in den vorgelegten Unterlagen angenommen noch über das Jahr 2021 hinaus aufgestockt werden“, sagte Henning. Unterm Strich hält er das Programm aber für unzureichend.
Die beiden Ressorts gehen davon aus, mit ihrem Sofortprogramm eine zusätzliche Reduktion der Treibhausgasemissionen des Gebäudesektors um zwei Millionen Tonnen im Jahr 2025 zu erreichen. „Diese Werte erscheinen im Ergebnis tendenziell überschätzt“, schreibt der Expertenrat. Es sei „keine methodisch konsistente, isolierte Quantifizierung der Wirkung des von den Ministerien übermittelten Sofortprogramms 2020“ möglich.
Damit rückt ein Aspekt des Klimaschutzgesetzes in den Fokus, den Fachleute schon bei dessen Entstehung kritisch bewertet hatten: Die jahresscharfe Betrachtung der Emissionsminderungen stößt an Grenzen.
Das gilt jedenfalls für Bereiche, in denen sich Emissionsminderungen nicht per Federstrich beschließen lassen, also etwa im Gebäudesektor. So argumentiert auch das Bundeswirtschaftsministerium: „Während im Kraftwerksbereich ein Kohlekraftwerk in wenigen Wochen heruntergefahren werden kann, ist die Sanierung von bis zu einer Million Bestandsgebäuden für die Einsparung von zwei Millionen Tonnen CO2 ganz offensichtlich zeitaufwendiger“, heißt es in einem Papier des Wirtschaftsressorts Angefangen von der Planung über die Vergabe bis zur Realisierung einer Eigenheimsanierung vergingen meist mehrere Monate oder gar über ein Jahr.
Energetische Sanierung stößt an Grenzen
Überdies kann man zwar Anreize für Sanierungen schaffen, sie aber nach geltender Rechtslage nicht erzwingen. Außerdem stößt die energetische Sanierung auch an andere Grenzen: Fachbetriebe sind ausgebucht, bei manchen Baumaterialien gibt es Lieferengpässe.
Der Vorsitzende des Expertenrats, Henning, sprach sich am Mittwoch dafür aus, die jahresscharfe Betrachtung der einzelnen Sektoren nochmal unter die Lupe zu nehmen, auch, um mit Verzerrungen etwa durch Witterungseinflüsse oder der Coronapandemie umzugehen.
Wie es konkret weitergeht, ist unklar. Er vermute, dass es nun zu einem Beratungsprozess zwischen den beteiligten Ministerien und dem Expertenrat kommen werde, sagte Henning.
Umweltverbände kritisierten das vorgelegte Sofortprogramm als „ideenlos“. Einer solchen Analyse wollte sich der Expertenrat nicht anschließen. Expertenrat-Vize Brigitte Knopf erklärte jedoch, dass der Instrumentenkasten eine Vielzahl von Möglichkeiten vorsehe, wie die Emissionen im Gebäudesektor beeinflusst werden könnten. Die Anhebung der Fördervolumina der Bundesförderung für effiziente Gebäude sei nur ein Instrument von vielen.
Insgesamt steht die Bundesregierung vor wachsenden Herausforderungen im Klimaschutz. Erst vor wenigen Tagen wurde der „Klimaschutz-Projektionsbericht“ bekannt, den die Bundesregierung gemäß Klimaschutzgesetz ab 2021 alle zwei Jahre vorlegen muss. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland seine Klimaschutzziele für 2030 insgesamt auf der Basis der bis August 2020 beschlossenen Maßnahmen deutlich verfehlt.
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