Klimaschutz Umweltministerium hält Klimadaten weiter unter Verschluss

Der Verkehrssektor wird im kommenden Jahr 20 Millionen Tonnen mehr CO2 ausstoßen als erlaubt.
Berlin Das Bundesumweltministerium hat entgegen gesetzlicher Vorgaben bis heute nicht den Klimaschutzbericht und ebenso wenig den Klima-Projektionsbericht vorgelegt. Dies bestätigte das Ministerium dem Handelsblatt auf Nachfrage. „Der Klimaschutzbericht 2021 befindet sich noch in der Ressortabstimmung und soll in einer der nächsten, nur noch sporadisch stattfindenden Kabinettssitzungen beschlossen werden, voraussichtlich der ersten Kabinettssitzung im November“, hieß es.
Laut Bundes-Klimaschutzgesetz ist die Bundesregierung verpflichtet, „den Klimaschutzbericht für das jeweilige Vorjahr bis zum 30. Juni dem Deutschen Bundestag“ zuzuleiten. Bei einer ersten Nachfrage im Sommer nannte das Ministerium den September als Veröffentlichungstermin Nun ist von November die Rede.
Die nächste Kabinettssitzung indes wird am 20. Oktober stattfinden. Den Projektionsbericht müssen die Abgeordneten sogar „bis zum 31. März des jeweiligen Jahres“ erhalten. Er wird im Gegensatz zum Klimaschutzbericht alle zwei Jahre erstellt und an die EU-Kommission übermittelt.
Es geht um Berichte mit politischer Sprengkraft. Der Klimaschutzbericht enthält „die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in den verschiedenen Sektoren“, wie es im Gesetz heißt, ebenso „den Stand der Umsetzung der Klimaschutzprogramme“ sowie „eine Prognose der zu erwartenden Treibhausgasminderungswirkungen“.
Verfehlt etwa der Verkehrssektor oder der Gebäudesektor, die Industrie, Landwirtschaft oder die Energiebranche ihre jährlichen Ziele, dann muss die Regierung binnen drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um die Klimalücke schnell zu schließen. Notfalls sind auch harte Einschnitte nötig.
Eine enorme Klimalücke im Verkehrssektor
Etwa wie im Verkehrsbereich: Der Sektor wird im kommenden Jahr 20 Millionen Tonnen mehr CO2 ausstoßen als erlaubt. Dies geht unter anderem bereits aus dem Projektionsbericht hervor. Er liegt dem Handelsblatt seit August vor, auch wenn das Umweltministerium ihn der Öffentlichkeit vorenthält. Artikel darüber bezeichnete das Umweltministerium Anfang September noch als „unverantwortlich und auch als unseriös“, wie ein Sprecher von Ministerin Svenja Schulze (SPD) seinerzeit vor der Bundespressekonferenz erklärte.
Die Ministerin beobachte seit geraumer Zeit „Spekulationen über einen leicht ansteigenden CO2-Preis“. Dabei ging es nicht um die Frage, ob der CO2-Preis – wie ohnehin bereits beschlossen – leicht steigt, sondern ob er extrem stark steigen muss: von heute 25 auf womöglich 250 Euro, was einem Anteil am Spritpreis von heute sieben auf dann 70 Cent je Liter Benzin bedeuten würde.

Die Ministerin hält wichtige Klimaschutzberichte unter Verschluss. Die Daten befänden sich noch „in der Ressortabstimmung“.
Hintergrund der Diskussion ist die Feststellung, dass 20 Millionen Tonnen CO2 im Verkehr kurzfristig nicht mit anderen Maßnahmen eingespart werden können als mit weniger Verkehr. Wie wenig Spielraum ein Verkehrsminister ganz gleich welcher Partei haben wird, verrät der Projektionsbericht. Darin listen die Autoren 22 mögliche Maßnahmen und deren Wirksamkeit auf.
Dazu gehört der bereits beschlossene CO2-Preis von heute 25 Euro je Tonne ansteigend auf 55 Euro bis 2025, ökologische Steuern, Förderprogramme, Investitionen in Schiene und Nahverkehr oder ein Auslaufen der EEG-Umlage auf Strom und das Ende von Kanalgebühren für Binnenschiffe. Das alles hilft, gerade 11,3 Millionen Tonnen einzusparen – das aber auch frühestens im Jahr 2025.
1800 Euro höhere Spritkosten für eine Familie mit zwei Autos
Mit einem zusätzlichen Tempolimit, wie es diskutiert wird, lassen sich allenfalls zwei Millionen Tonnen einsparen, Entlastungen über die Pendlerpauschale würden sogar wieder mehr Emissionen bedeuten. Daher steht längst die Frage im Raum, ob nicht der CO2-Preis und damit der Benzinpreis spürbar steigen muss. Allein für eine Familie mit zwei Autos könnten die Kosten um 1800 Euro im Jahr steigen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) überschlagen hat. Dies gilt für einen Preisschub von 40 Cent je Liter bei einem CO2-Preis von 150 Euro. Andere halten indes jene 70 Cent für nötig, um den nötigen Verzicht oder aber Umstieg auf andere Verkehrsmittel zu erzwingen.
Angesichts der schon jetzt steigenden Inflation birgt das Thema viel Sprengkraft in den laufenden Koalitionsgesprächen. Bereits während des Bundestagswahlkampfs hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung indes ermittelt, dass allein die in den Wahlprogrammen vorgeschlagenen Maßnahmen für mehr Klimaschutz nicht ausreichen werden, um die politisch beschlossene Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. So fordern die Grünen etwa, den CO2-Preis auf 60 Euro ab 2023 zu erhöhen.
Doch geht es längst nicht nur um die stattlichen 20 Millionen Tonnen im nächsten Jahr. Bis 2030 muss der Verkehrssektor nicht nur seine derzeitige Lücke, sondern regulär die enorme Menge von 65 Millionen Tonnen einsparen. Dabei wächst der Verkehr stetig.
Es werde so getan, als gebe es eine „CO2-Preisspirale“, gab der Sprecher von Umweltministerin Schulze im September noch vor. Es handle sich dabei um ein sensibles Thema, „dass alle Menschen betrifft“. Es gebe den Konsens von Bund und Ländern, eine „sachte CO2-Preiserhöhung in kleinen Schritten“ zu wollen.
CO2-Preis als „verlässliche Staffelmiete“
Das Ziel sei, dass sich Menschen und Unternehmen über eine bestimmte Zeit auf einen höheren CO2-Preis einstellen können. „Aber wenn eben keine Alternativen da sind oder nicht ausreichend da sind, wie es zum Beispiel bei der Ladeinfrastruktur für Elektroautos der Fall ist, kann die Politik nicht ohne Weiteres den CO2-Preis und damit auch den Benzinpreis erhöhen“, sagte er. Dies wäre unverantwortlich. „Darauf hat die Ministerin in den vergangenen Wochen auch mehrfach hingewiesen.“ Verlässlichkeit sei wichtig, ansonsten werde das Instrument des CO2-Preises beschädigt. „Er ist eher eine verlässliche Staffelmiete, die zwar stetig steigt, aber eben in einem sehr überschaubaren und berechenbaren Rahmen.“
Der zitierte Projektionsbericht sei als „Sachgrundlage heute eigentlich völlig veraltet“, wie der Sprecher im Wahlkampf erklärte. Vielmehr habe die Regierung längst die Ziele verschärft, auch sei der Emissionshandelspreis gestiegen. „Berechnungen, die benutzt werden, um einen extrem hohen Benzinpreis vorhersehen zu wollen, sind deswegen unseriös.“
Die heftige Reaktion erklärt sich damit, dass der Bericht eine wichtige Grundlage für die Klimaschutzpolitik ist. Im Gesetz heißt es dazu: „Der Klimaschutz-Projektionsbericht ist maßgeblich für die integrierten nationalen Fortschrittsberichte“, also für den ausstehenden Klimaschutzbericht.
Die ausstehende Veröffentlichung stehe „in keinem Zusammenhang mit den laufenden Sondierungsverhandlungen“, erklärte der Sprecher nun. Interessant ist aber, dass sich Ministerin Schulze angesichts der laufenden Sondierungsgespräche bereits als neue Verkehrsministerin ins Gespräch bringt, wie es in Verhandlungskreisen hieß. Das Ressort wollen eigentlich unbedingt die Grünen beanspruchen.
Ministerium: Berichte bringen „keinen Mehrgewinn“
Schulzes Sprecher jedenfalls tut den Bericht ab, dass er für die Koalitionsverhandlungen „keinen Mehrgewinn“ darstellt. Wesentliche Informationen seien bereits an anderer Stelle veröffentlicht, „die Menge der Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2020 bereits am 15. März 2021 durch das Umweltbundesamt“. Und die „Abschätzung der zukünftigen Emissionen ist im Projektionsbericht 2021 enthalten.“
Doch genau diesen Bericht hatte das Ministerium bislang infrage gestellt. Nun hieß es, die Ressortabstimmung sei abgeschlossen. Da keine Kabinettsbefassung nötig sei, werde der Bericht „jetzt ins Druck-Layout gebracht und dann dem Bundestag und der EU-Kommission zugeleitet“.
Und der Klimaschutzbericht? Wie das Handelsblatt aus Regierungskreisen erfuhr, wurde er erst am 20. September in die Ressortabstimmung gegeben. Nun gebe es noch Änderungsbedarf, etwa des Bundeswirtschaftsministeriums, wie das Umweltressort erklärte. Die Coronapandemie sei für die Verzögerung verantwortlich. Davon war im Sommer noch nicht die Rede, als das Handelsblatt erstmals angefragt hatte.
Mehr: 70 Cent mehr pro Liter Benzin drohen – doch Laschet und Scholz schweigen.
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@Herr peterchen Mondfahrt
Ihr Name ist wohl Programm:
Wenn China in einem Jahr mehr Kohlekraftwerke und CO2 Emissionen aufbaut, als Deutschland bis 2038 abbauen mag, dann kann auch Bärbock das Klima nicht retten.
Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten massiv CO2 eingespart, ist quasi Weltmeister bei den erneuerbaren Energien - für ein Industrieland, das auch massiv exportiert und davon lebt.
Also keine allzu ideologischen Argumente vorbringen.
Das Wahlvolk wurde also mal wieder belogen und betrogen! Wesentliche Informationen, die die Budgets ganzer Industriezweige und die jedes einzelnen Bürgers fundamental betreffen, werden so lange unter Verschluss gehalten, bis das Wahlvolk keine Möglichkeit mehr hat, darauf zu reagieren. Nach den blumigen Versprechen im Wahlkampf kommen jetzt die harten Fakten, i.e. die Quittung für die verfehlte Klimapolitik der letzten 30-40 Jahre, die meiste Zeit mit CDU-Beteiligung. Schluss jetzt mit dem ewigen "Weiter so". Wir und die Welt sind am Anschlag. Höchste Zeit für eine faktenorientierte Diskussion. Es geht nicht um Laschet oder Nicht-Laschet. Es geht um unseren Hals. Wird höchste Zeit, die notwendige Reaktion auf die Fakten auch personell zu untermauern. Eine Kanzlerin Bearbock wäre die Antwort gewesen, aber die wurde ja medial demontiert. Also bleibt alles beim Alten. Zum Ko....Und das schreibt kein Grünenfan.