Koalitions-Gespräche So steht es um den Bundeshaushalt wirklich – Und so viel Geld kann die nächste Koalition verteilen

Der Bundesfinanzminister arbeitet mit einem Zahlenwerk, das die Lage schöner zeichnet, als sie tatsächlich ist. Einige Ausgaben hat Scholz gar nicht berücksichtigt.
Berlin Egal, ob am Ende eine Ampel- oder Jamaika-Regierung zustande kommt, eines ist sicher: Die Wunschliste der Sondierungsteams ist unabhängig von politischen Farbenspielen lang. Sehr lang. Ob Steuersenkungen, eine Kindergrundsicherung oder eine neue Mütterrente – jede einzelne dieser Forderungen kostet zig Milliarden.
Das steht allerdings in einem krassen Missverhältnis zur real existierenden Haushaltslage. Ging es bei den Koalitionsverhandlungen 2017 noch darum, ob es 30 oder 50 Milliarden Euro zu verteilen gibt, ist die Lage jetzt das exakte Gegenteil: Die neue Regierung übernimmt Rekordschulden.
Zwar zeichnet sich ab: Die Haushaltslage entwickelt sich besser als befürchtet. Die Steuereinnahmen laufen bislang überraschend gut, ein Grund, warum der Bund nicht ansatzweise die Schulden machen muss, die er für dieses und nächstes Jahr ursprünglich eingeplant hat.
Doch die Folgen der Pandemie werden bis zum Ende der Wahlperiode 2025 tiefe Spuren im Etat hinterlassen. Eine neue Bundesregierung wird Geld im Haushalt zusammenkratzen müssen und dennoch nur schwer darum herumkommen, die Schuldenbremse zu umgehen, soll wenigstens ein Teil der Projekte umgesetzt werden.
Vor der Wahl war häufig vom „Kassensturz“ die Rede, der nach der Wahl dringend erfolgen müsste. Gerade die Union versuchte, dadurch den Eindruck zu vermitteln, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hätte im Haushalt getrickst, getarnt und getäuscht, was dieser verärgert zurückgewiesen hat. Scholz hat wie jeder Bundesfinanzminister einen Haushaltsentwurf für 2022 und eine Finanzplanung bis 2025 vorgelegt. Hieraus geht für jeden klar ersichtlich hervor, wie es um die Finanzen des Bundes bis Ende der Wahlperiode steht. Kurzum: nicht gut.
Schuldenbremse soll erst wieder ab 2023 greifen
Dieses Jahr plant Scholz wegen der Pandemiebekämpfung mit Rekordschulden von 240 Milliarden Euro, im nächsten Jahr sollen es immer noch 100 Milliarden sein. Erst ab dem Jahr 2023 sieht Scholz’ Finanzplanung vor, die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Dann will er nur noch fünf Milliarden Euro Schulden machen, in den Jahren darauf jeweils zwölf.
Allerdings sind in dem Zahlenwerk erstens einige Sonderfaktoren enthalten, die die Lage schöner zeichnen, als sie tatsächlich ist. Zweitens enthält es etliche Luftbuchungen und drittens einiges an Blendwerk. Einige absehbare Ausgaben hat Scholz einfach gar nicht berücksichtigt.
Erst einmal erreicht Scholz die Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2023 nur, indem er die Haushaltsrücklage von 48 Milliarden Euro auflöst, die der Bund noch aus Zeiten der Flüchtlingskrise übrig hat und seitdem im Haushalt parkt. Allerdings lässt sich die Reserve nur einmal verwenden, um strukturelle Löcher im Bundeshaushalt zu schließen. In den Jahren danach wird das nicht mehr funktionieren.
Doch schon von Beginn an wird die neue Bundesregierung zu kämpfen haben, den Haushalt wieder ins Lot zu bringen. Denn Scholz’ Finanzplanung enthält bis 2025 trotz Einsetzens der Rücklage große Löcher. So kalkuliert das Finanzministerium damit, dass die anderen Ressorts jedes Jahr sechs Milliarden Euro gar nicht ausgeben können. Im Jahr 2025 kommt eine weitere Lücke von sechs Milliarden Euro hinzu, die noch irgendwie geschlossen werden muss, um die Schuldenbremse einzuhalten. „Handlungsbedarf“ heißt das in der Sprache der Haushälter euphemistisch.
Und es gibt noch weiteren Finanzierungsbedarf. So hat sich Scholz im Wahlkampf selbst permanent dafür auf die Schultern geklopft, den Verteidigungsetat angehoben zu haben. Tatsächlich aber macht er mit Blick auf die nächsten Jahre das genaue Gegenteil.
Um die Lücken im Haushalt nicht zu groß wirken zu lassen, hat Scholz kurzerhand allen Ministerien bis 2025 unrealistische Sparkurse verordnet. Die Ausgaben des Verteidigungsressort sollen zwischen 2022 und 2025 von 50 auf 46,7 Milliarden Euro sinken – und das trotz der Zusage, die Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu schrauben. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste der Bund nicht weniger, sondern 20 Milliarden Euro für Verteidigung mehr pro Jahr ausgeben.
Renten- und Sozialkassen benötigen viel Geld
Das Verkehrsministerium, das dieses Jahr noch 41 Milliarden Euro zur Verfügung hat, soll 2025 nur noch mit 32,8 Milliarden Euro auskommen. Auch beim Entwicklungs-, Wirtschafts- und Gesundheitsressort hat Scholz kräftig den Rotstift angesetzt.
Gleichzeitig hat der Finanzminister die frappierende Haushaltlage der Sozialkassen konsequent ignoriert. Die einst üppigen Reserven der Sozialversicherung sind durch die Coronakrise aufgebraucht, stattdessen ist sie jetzt auf Mittel aus dem Bundeshaushalt angewiesen. Die Bundesagentur für Arbeit erhält etwa 2022 Liquiditätshilfen von 15 Milliarden Euro. Kann sie das Geld nicht zurückzahlen, wird die Hilfe in einen nicht rückzahlbaren Zuschuss des Bundes umgewandelt.
Bei der Rente schlägt weniger Corona als die teuren Sozialreformen der Vergangenheit ins Kontor. So braucht die Rentenkasse auch wegen der Einführung der Grundrente, der Mütterrente oder der Rente mit 63 ab 2023 zehn Milliarden Euro Steuerzuschuss zusätzlich.
Noch dramatischer ist die Lage im Pflege- und Gesundheitsbereich. Bislang hatte der Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung 14,5 Milliarden Euro im Jahr betragen. Nun fordert Gesundheitsminister Spahn (CDU) angesichts der knappen Finanzlage sieben Milliarden Euro mehr pro Jahr. Gleichzeitig steigt der Bund in eine dauerhafte Steuerfinanzierung der Pflegeversicherung ein. 2020 hatte der Bund der Pflegekasse erstmals einen Zuschuss in Höhe von 1,8 Milliarden Euro gewährt. Kurz vor der Wahl wurde eine weitere Milliarde an Steuerzuschuss bewilligt. Und selbst das dürfte nicht reichen, um das aktuelle Fünf-Milliarden-Loch zu schließen.
Zählt man alles zusammen, sei unterm Strich bis 2025 die Finanzierung von 86 Milliarden Euro ungeklärt, konstatierte der Bundesrechnungshof jüngst in einem Gutachten. Schon das ist viel. Nur: Die Wunschlisten der Sondierungsteams sind darin noch nicht einmal enthalten.
Allein eine Mütterrente, die Übernahme der EEG-Umlage in den Bundeshaushalt, die zugesagte Anhebung der Verteidigungsausgaben, die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie die Deckelung der Sozialbeiträge bei 40 Prozent würden im ersten Jahr 37 Milliarden Euro kosten, rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor. Bis 2025 „verdreifachen sich allein die Mehrausgaben und Mindereinnahmen dieser Wahlkampfversprechen auf 105 Milliarden Euro“, so das IW. Und Vorhaben wie eine Kindergrundsicherung sind darin nicht einmal enthalten.
Die Steuereinnahmen laufen immerhin gut
Wird die künftige Regierung also kräftig sparen müssen? Ganz so finster sieht es wiederum auch nicht aus. Obwohl die Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsprognosen für dieses Jahr deutlich heruntergeschraubt haben, laufen die Steuereinnahmen überraschend gut, insbesondere die Körperschaftsteuer. „Es sieht deutlich besser aus als vor einem halben Jahr“, sagt Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. „Unterm Strich könnten die Steuereinnahmen in diesem Jahr leicht steigen.“
Gleichzeitig erwarten Ökonomen für nächstes Jahr ein kräftiges Wachstum von über fünf Prozent, was die Steuereinnahmen sprudeln lassen und erste Lücken im Haushalt schließen, aber auch die Sozialkassen entlasten würde. Zugleich wird der Bund absehbar deutlich weniger Schulden machen als geplant. Bis August betrug die Nettokreditaufnahme erst 117 Milliarden Euro, und damit nicht einmal die Hälfte der geplanten 240 Milliarden.
Solche Zwischenstände sind zwar immer mit Vorsicht zu genießen, aber klar ist: Viele der aufgelegten Coronahilfen werden auch in diesem Jahr nicht in vollem Umfang abgerufen. „Das Defizit des Bundes dürfte dieses und nächstes Jahr geringer ausfallen als geplant“, so Boysen-Hogrefe. Entsprechend muss der Bund auch weniger Coronaschulden zurückzahlen.
Der dritte Entlastung: Zwar fordern alle Parteien höhere Investitionen. Doch so viel Geld ist zumindest zu Beginn der Wahlperiode vielleicht gar nicht notwendig. In den diversen Töpfen des Bundes für die Digitalisierung von Schulen, der Unterstützung klammer Kommunen, den Kita-Ausbau oder grüne Investitionen lagern Milliarden, die noch nicht ausgegeben wurden, und von denen eine neue Regierung zehren kann.
Auch Scholz zeigte sich deshalb im Wahlkampf überzeugt: Die Investitionen lassen sich im Rahmen der Schuldenbremse finanzieren.
Das gilt aber nicht für die anderen Vorhaben. Diese Kosten würden schnell den Rahmen der Schuldenbremse sprengen. Eine Reform der Regel ist aufgrund der dafür notwendigen Verfassungsänderung allerdings unrealistisch.
Alle Parteien haben deshalb längst Konzepte entwickelt, wie sich dennoch Mittel mobilisieren lassen. Den Ausweg suchen sie in sogenannten Investitionsfonds, die sich selbstständig Geld leihen und neben der Schuldenbremse laufen. Für die Erfüllung aller Wünsche wird es nicht reichen, aber zumindest einige Projekte von den langen Listen könnten eine Jamaika- oder Ampelkoalition so umsetzen.
Mehr: Sondierungs-Fahrplan steht: Wer wann mit wem über die Ampel oder Jamaika spricht
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Es wird künftig nichts anderes übrig bleiben, als alle Infrastruktur, Bildung und Forschung durch monetäre Staatsfinanzierung zu decken. Japan macht das schon seit 30 Jahren. Japan steht in Bezug auf Digitalisierung etc.. bestens da. Nur die Hayek-Indianer reden Japan schlecht, aus purem Neid. Die EZB muss neue gesetzliche Regeln erhalten, die bisherigen sind zu starr. Fed ist schon viel freier, im Agieren an den Märkten. Der gewöhnliche, teils ordinäre, der normale Kapitalismus muss jedoch über das Privat-Banken-System weiterhin finanziert werden und Zins und Tilgung erarbeiten müssen. Durch Börsengänge kann viel Kapital bewegt werden. Viele Firmen verschwinden jedoch wieder durch Kapitalentwertung. Der Hamster muss im Laufrad bleiben und es kräftig drehen, sonst bricht das System zusammen. Ein besseres System wurde noch nie erfunden. Kapitalismus kann sogar sexy sein, reich UND sexy, nicht arm, aber sexy.
@Josef Nallin: Wie pleite Deutschland ist würde durch eine doppelte Buchführung mit Bilanzierung aufgedeckt, wie sie jedes Unternehmen durhführen muss.
Nun raten Sie mal, warum die keine der Parteien das Thema Bilanzierung anfasst....das Volk würde merken dass es NICHTS zu verteilen gibt!
Ich möchte den Vor-Kommentatoren in Sachen Entwicklungshilfe entschieden widersprechen :
Deutschland geht es gut, wir leben wie die Maden im Speck. Ich lebe gerne hier und weiß kein besseres Land für mich. Wir leben zu Lasten vieler auf der Welt und können von unserem Wohlstand bestimmt mehr abgeben - bedingungslos.
@Michael Müller
Volle Zustimmung. Entwicklungshilfe gehört auf Investitions-Politik umgestellt. Beispiel: Die Verschmutzung der Ozeane mit Müll, vor allem Plastik, erfolgt in Afrika und Asien, in durch die sog. Entwicklungsländer. Mega-Städte entsorgen ihren Abfall auf gigantischen Müllkippen (Landverbrauch, Grundwasservergiftung), teils in die Meere. Die Deutsche Entwicklungshilfe sollte die Finanzierung und den Betrieb, (Aufsicht) von Müllverbrennungsanlagen übernehmen. Technische Kernelemente kommen aus Deutschland, garantiert Arbeitsplätze. Sortieranlagen sichern Rohstoffe, der Rest wird verbrannt. Krankenhau-Müll muss zwingend verbrannt werden, um die Entwicklung von multiresistenten Keimen zu vermeiden. Prozesswärme und Strom können verkauft werden. Arme Menschen können durch Sammeln von Plastik Einkommen erzielen. Alles auf Kreditbasis, keine Geschenke. Lange Laufzeiten, Zinsen Null, Schöpfgeld von der EZB. Entwicklungsländer sollten nicht in die Zinseszinsfalle gelockt werden. Zur Zeit fördern wir eher Missions-Stationen als Industrieprojekte. In China lacht man über unsere Dummheiten.
Müssen Deutsche Politker Deutsche Steuergelder in alle Welt VERSCHENKEN und gleichzeitig Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen für das Deutsche Volk fordern? Deutschland hat als Land mit einer der weltweit höchsten Steuern- und Abgabenquote mehr als genug Steuereinnahmen. Deutschland hat so viel Steuereinnahmen, dass unsere Politiker jedes Jahr sehr viele Milliarden Euro an fremde und sogar feindliche Staaten und Völker VERSCHENKEN! Blieben die Deutschen Steuergelder in Deutschland, dann wären die Renten sicher und wir könnten sogar die Steuern senken, damit nicht noch mehr Unternehmen (Arbeitsplätze und Sozialabgaben!), Fachkräfte und Kapital in das steuerfreundlichere Ausland abwandern. 99% der Industrinationen haben geringere Steuern und Abgabenquoten als Deutschland!
Österreich erkannte die Zeichen der Zeit frühzeitig und schuf die volkswirtschaftlich kontraproduktive Erbschaftsteuer für Ehepartner und Kinder ab, um damit den Motor des Wohlstandes, den Mittelstand zu schützen. Auch aktuell senkt Österreich die Unternehmenssteuern, um die Unternehmen, und somit Arbeitsplätze und Sozialabgaben, im Land zu halten oder auch um neue Unternehmen aus Höchststeuerländern anzulocken!
Die ständigen Forderungen nach Erhöhungen der Steuern und Abgaben sind im Land mit einer der weltweit höchsten Steuern- und Abgabenquoten falsch. Sinnvoller ist es, ALLE Ausgaben auf der Prüfstand zu stellen und keine Steuergelder an fremde und sogar feindliche Staaten und Völker zu VERSCHENKEN!