Koalitionsverhandlungen Digitalministerium: Wie ein Kompromiss aussehen könnte, um ein Personalchaos zu vermeiden

Unter einer neuen Bundesregierung dürfte die Digitalisierung hier nicht mehr angesiedelt sein.
Berlin Gerade sieht es so aus, als könnte eine der pointiertesten Forderungen der FDP im Wahlkampf an auf den ersten Blick simplen Fragen scheitern. Ein Digitalministerium sollte nach dem Willen der Liberalen helfen, die großen Rückstände in der Digitalisierung aufzuholen – ein eigenes Ressort für eines der Kernprobleme des 21. Jahrhunderts.
Doch das neue Ministerium könnte vor allem an organisatorischen Hürden scheitern: Wo gäbe es überhaupt ein freies Gebäude für eine neue Behörde? Woher kommt das Personal? Und welche Abteilungen müssten die anderen Ministerien abgeben, um ein neues Digitalministerium mit Leben füllen zu können?
Eigentlich hätte es schon 2017 so weit sein sollen, dass die Digitalisierung ihr eigenes Ressort bekommt, doch am Ende wurde daraus nur die sperrige Position einer Staatsministerin für Digitales im Bundeskanzleramt in der Person von Dorothee Bär (CSU). Bär war stets bemüht, doch fehlten ihr ein Stimmrecht im Regierungskabinett und die notwendige Finanzierung, um die überfälligen Digitalvorhaben wirklich voranzubringen.
„Es fehlte erkennbar an einer Instanz, die komplexe Digitalprojekte ressortübergreifend koordiniert und aktiv gestaltet“, sagt der technologiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Mario Brandenburg, dem Handelsblatt. Auch die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) fordert ein Digitalministerium, das mit genug Geld ausgestattet sein müsste und „proaktiv und schnell auf Veränderungen reagieren und relevante Akteure zügig einbinden“ sollte, so die EFI.
Deshalb, so der Plan der FDP, sollte in der nächsten Legislaturperiode ein eigenes Digitalministerium entstehen. Doch die Umstrukturierungen wären gewaltig und würden viel Energie benötigen, die dann in der Umsetzung großer Vorhaben fehlen würde. Abschreckendes Beispiel ist der Wechsel des Bereichs Breitbandausbau in das Bundesverkehrsministerium 2013. Damals habe es 18 Monate gedauert, bis die neue Abteilung überhaupt einsatzfähig gewesen sei, heißt es aus Berliner Politikkreisen.
Ein komplett neues Ministerium würde einen noch weitaus größeren Aufwand mit sich ziehen. Denn in den letzten vier Jahren waren insgesamt 504 Personen in den Bundesministerien mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt, das geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervor. Viele von ihnen müssten das Ministerium wechseln, ganze Abteilungen, die teilweise gerade erst neu geschaffen wurden, müssten umziehen.
Chaos in den Ministerien
Im Justizministerium würden dazu etwa die Unterabteilungen Grundsatzfragen und Verbraucherpolitik der Informationsgesellschaft, aber auch das Telekommunikations- und Medienrecht gehören. Auch das Bundesarbeitsministerium hatte erst im Mai 2018 eine neue Abteilung „Digitalisierung und Arbeitswelt“ geschaffen, dazu zählt auch die „Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft“, die ähnlich wie ein Thinktank funktioniert.
Beim Bundesfamilienministerium dürfte das Großprojekt „Digitalisierung von Familienleistungen“ in den Fokus geraten, wenn es darum geht, Kompetenzen abzuziehen. Über sämtliche digitalen Aktivitäten des Familienministeriums wacht die Arbeitsgruppe „Digitale Gesellschaft“.
Denn ob Digitalpakt Alter, geschlechtergerechte Digitalisierung oder Kinder- und Jugendmedienschutz – überall im Ministerium spielt das Thema Digitalisierung eine Rolle. Auch in der Arbeitsgruppe sind also kluge Köpfe zu finden, die bei einem Digitalministerium Begehrlichkeiten wecken könnten.
Auch im Bildungs- und Forschungsministerium gäbe es diverse Referate, die für einen Transfer infrage kommen würden: So etwa die Unterabteilung zur „Technologieorientierten Forschung für Innovationen“.
Kaum ein Ministerium halste sich in der vergangenen Legislatur indes so viele Digitalprojekte auf wie das Haus von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Um die verschleppte Digitalisierung seiner Vorgänger aufzuholen, berief Spahn 2018 seinen Vertrauten Gottfried Ludewig (CDU) als Chef der Abteilung für Digitalisierung.
Ludewig setzt seither den digitalen Reformeifer des Ministers in die Tat um: Mit der elektronischen Patientenakte, dem elektronischen Rezept, der App auf Rezept und dem milliardenschweren Krankenhauszukunftsgesetz musste Ludewig teils über Jahrzehnte verschleppte Projekte vorantreiben.
Auch die gematik GmbH, an der das Bundesgesundheitsministerium Mehrheitseigner ist, könnte als Digitalprojekt die Seiten in ein neues Digitalministerium wechseln.
Zur Frage, ob ein neues Digitalministerium eine sinnvolle Lösung wäre, hat Staatssekretärs Christian Kastrop, der im Bundesjustizministerium für das Thema Digitalisierung zuständig ist, daher eine klare Meinung. Er zweifelt an der Sinnhaftigkeit eines solchen Ministeriums, das sich „nach preußischer Tradition den digitalen Sachverstand anderer Ministerien ins Haus holen“ würde. „Was dort herausgetrennt würde, würden die Häuser dann wohl wieder nachbauen“, sagte Kastrop dem Handelsblatt. „Dann hätten wir eine wenig sinnvolle Doppelung von Strukturen.“
Kompromiss Mehrfachkompetenz
Dass die Umstrukturierung der Ministerien eine Mammutaufgabe mit Chaospotenzial wäre, ist wohl auch der FDP klar. Deswegen heißt es jetzt aus Parteikreisen, dass auch die Angliederung an ein schon bestehendes Ministerium, wie etwa in Rheinland-Pfalz oder NRW möglich wäre. In Mainz ist das Thema Digitalisierung an das Arbeitsministerium angegliedert, in NRW an das Wirtschaftsministerium.
Eine gangbare Lösung vor dem Hintergrund, dass auch die potenziellen Koalitionspartner SPD und Grüne einem ganz eigenen Digitalministerium skeptisch gegenüberstehen. „Die digitalpolitischen Defizite der letzten Jahre wird man nicht automatisch dadurch los, dass man ein Digitalministerium einrichtet“, sagt der Sprecher der Grünen für digitale Wirtschaft, Dieter Janecek, dem Handelsblatt.
Für Kompromisse zeigen sie sich allerdings durchaus offen: „Natürlich werden wir darüber reden, welche Strukturen eine neue Bundesregierung braucht, damit die Digitalpolitik endlich den notwendigen Schwung und die notwendige stringente Steuerung bekommt“, sagte Janecek.
Auch für die SPD könnte ein Mehrfachministerium mit Digitalkompetenz ein guter Kompromiss sein. In Rheinland-Pfalz etwa, wo eine Ampelkoalition regiert, ist der SPD-Politiker Alexander Schweitzer Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung. Mit der Führung eines solchen Superministeriums kennen sich die Sozialdemokraten also aus.
Mitarbeit: Dietmar Neuerer, Frank Specht, Heike Anger, Barbara Gillmann, Jürgen Klöckner
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