Konjunktur Die Wirtschaft ist zweigeteilt: Industrie schiebt Aufschwung an, Dienstleistern geht es immer schlechter

Der Bundeswirtschaftsminister stellte die Frühjahrsprojektion der Bundesregierung 2021 vor.
Berlin Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hält ein Schaubild hoch. Zu sehen ist darauf die Entwicklung der Konjunktur in der Coronakrise: Zuerst bricht die Linie nach dem tiefen Absturz der Wirtschaft im Frühjahr 2020 ein, dann geht es seit dem Sommer wieder steil bergauf, nur unterbrochen von einem kurzen Knick zur Jahreswende.
Für Altmaier unterstreicht das Bild seine Botschaft: „Unsere Wirtschaft ist stark, robust und startklar für den Neustart“, frohlockt der Bundeswirtschaftsminister. Altmaier hat gute Nachrichten zu verkünden. Die Wirtschaft werde in diesem Jahr deutlich kräftiger wachsen als bislang gedacht.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde in diesem Jahr um 3,5 Prozent zulegen. Im Januar waren lediglich 3,0 Prozent veranschlagt worden. Für 2022 wird mit einem Anstieg von 3,6 Prozent gerechnet.
„Wir werden den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern wir werden ihn umkehren. Spätestens 2022 werden wir unsere alte Stärke wieder erreicht haben“, sagt Altmaier.
Seine eigenen Experten glauben sogar, dass die deutsche Wirtschaft bereits zum Ende dieses Jahres wieder so stark sein könnte wie vor der Krise – je nach Pandemieverlauf. Diese Prognose will sich Altmaier allerdings nicht explizit zu eigen machen. Der Wirtschaftsminister ist schon das ein oder andere Mal mit gewagten Aussagen auf die Nase gefallen.
Insbesondere die Industrie hat die Viruskrise inzwischen erstaunlich gut weggesteckt. Das verarbeitende Gewerbe hat sich im Verlauf der Krise an die neue Normalität gewöhnt – und die Produktion beinahe auf Vollauslastung hochfahren können. Einzig knappe Rohstoffe, wie etwa bei Halbleitern, machen den Industrieunternehmen derzeit zu schaffen.
Zudem ist der Bedarf an deutschen Produkten auf der Welt wieder groß. Die rasche Belebung wichtiger Absatzmärkte wie die USA und China lassen die deutschen Exporte dieses Jahr um 9,2 Prozent wachsen.
Besonders schwierige Lage im Dienstleistungssektor
Dadurch rechnet das Ministerium auch mit höheren Investitionen. „Auch Nachholeffekte spielen eine Rolle, da Investitionen wegen der Krise zurückgestellt wurden“, hieß es. Der Bauboom dürfte sich „aufgrund des Niedrigzinsumfelds und der hohen Nachfrage nach Wohnraum“ ebenfalls fortsetzen.
Der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung liegt die Annahme zugrunde, dass die Beschränkungen der sozialen Kontakte und Schließungen, etwa der Gastronomie, im Laufe des zweiten Quartals gelockert werden können. Danach wird eine rasche Erholung der Binnenkonjunktur erwartet – auch weil viele Verbraucher seit Beginn der Coronakrise Geld zurückgelegt haben.
Aber selbst dann gilt: Die deutsche Wirtschaft ist zweigeteilt. Während die Industrie schon wieder gut läuft und die Industrieunternehmen zuversichtlich in die Zukunft blicken, herrscht im Dienstleistungssektor angesichts der anhaltenden Geschäftsschließungen eher Endzeitstimmung, wie eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, die dem Handelsblatt vorliegt.
Das IW hat zwischen Ende März und Mitte April 2800 Unternehmen nach ihrer aktuellen Lage und ihren Erwartungen für dieses Jahr befragt. 36 Prozent der befragten Dienstleister sehen sich demnach in einer noch schlechteren Position als während des ersten Lockdowns. Für 46 Prozent ist die Lage wie vor einem Jahr, nur für 18 Prozent der Befragten ist sie besser.
Vor allem exportorientierte Firmen, zu denen größtenteils die Industrie zählt, sind im Aufwind. Fast die Hälfte der Firmen, die vorwiegend auf dem Weltmarkt verkaufen, will mehr exportieren als vor einem Jahr, zeigt die IW-Umfrage.
Auch wenn sich viele Unternehmen derzeit in einer schwierigen Lage sehen, blicken sie insgesamt optimistisch in die Zukunft. Drei Viertel der befragten Firmen wollen im Vergleich zum Vorjahr mehr oder gleich viel produzieren, nur 24 Prozent weniger. Knapp 30 Prozent wollen mehr Personal einstellen, ein Drittel will laut IW-Umfrage mehr investieren.
Auch deshalb erwartet Altmaier im kommenden Jahr ein Wachstum von 3,6 Prozent. Der Arbeitsmarkt soll sich nach dem schwierigen Jahresauftakt allmählich beleben. Dennoch dürfte es 2021 zu einem Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen um 60.000 kommen. 2022 soll dann ein Beschäftigungsaufbau um 290.000 auf rund 45 Millionen folgen.
Inflation steigt auf 2,2 Prozent
Die Inflation wird laut Wirtschaftsministerium dieses Jahr auf 2,2 Prozent steigen. Dies sei aber vor allem Sonderfaktoren geschuldet, etwa dem Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung oder der neuen C02-Steuer. Im nächsten Jahr werde die Teuerungsrate wieder auf 1,7 Prozent sinken.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erklärte: „Gerade erfordert die dritte Corona-Welle von uns allen noch mal eine große Anstrengung. Trotzdem ist klar: Es geht langsam aufwärts und die Hilfspolitik wirkt.“
Die Wirtschaft werde in diesem Jahr deutlich stärker wachsen als noch im Januar erwartet. „Gleichzeitig bringen wir in diesen Tagen überall in Europa die europäischen Aufbaupläne auf den Weg. Diese Pläne bringen jetzt den Aufschwung nach ganz Europa.“
Dennoch bleibt die Regierung mit ihren Wachstumsprognosen leicht hinter denen der führenden Institute zurück. Diese sagen in ihrer Mitte April veröffentlichten Prognose ein Wachstum von 3,7 Prozent in diesem und 3,9 Prozent im kommenden Jahr voraus.
Altmaier mahnt jedoch zur Vorsicht. Er sei im Januar noch für seine Prognose von damals 3,0 Prozent als Zweckoptimist bezeichnet worden. Dass es nun trotz andauernden Lockdowns aufwärtsginge, hänge entscheidend mit dem Fortschritt der Impfkampagne und der steigenden Zahl an Tests zusammen, so Altmaier. Tests und Impfen seien „das Ticket in die Normalität“.
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