Konjunktur Ökonomen: Die Industrie kann auch mit dem längeren Lockdown leben

Die Industrie scheint trotz Corona noch auf einem guten Weg. Den neuen Lockdown sehen Ökonomen gelassen.
Berlin Die deutsche Wirtschaft wird durch die Verlängerung des Lockdowns bis Mitte Februar nur leichte Verluste erleiden. „Der Konjunktureffekt dürfte nicht sehr groß sein“, erwartet etwa der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld. Am stärksten hat die Wirtschaft nach seinen Aussagen die Schließung des Einzelhandels und der Schulen seit Dezember getroffen. Die am Dienstag beschlossene Verlängerung falle nur leicht ins Gewicht.
Vom Handelsblatt befragte Konjunkturexperten erwarten zumeist, dass die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal um ein bis zwei Prozent schrumpfen wird. Das Ifo-Institut allerdings hält selbst diese Erwartung für zu pessimistisch und erwartet Stagnation im ersten und ein Wachstum um drei Prozent im zweiten Quartal 2021.
Bei dieser Schätzung nimmt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser an, dass die beschlossenen Maßnahmen bis März wieder rückgängig gemacht werden. „In der Industrie und den industrienahen Dienstleistungen scheint der Lockdown bislang keine Auswirkungen zu haben“, so Wollmershäuser.
Solange das so bleibt, droht nach Meinung der Ökonomen keine Rezession. „Solche anfänglichen Befürchtungen sind ja auch im vierten Quartal 2020 nicht eingetreten“, sagt Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
„Das verarbeitende Gewerbe ist derzeit der Konjunkturmotor“, sagt Feld. Da dieser Sektor mit einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erheblich größer ist als die geschlossenen Branchen, die vier bis fünf Prozent ausmachen, gleicht der Industrie-Aufschwung den Rückgang aus. „Die Spaltung zwischen betroffenen und nicht betroffenen Branchen wird sich allerdings vertiefen“, sagt wiederum Hüther.
Anders als häufig erwartet, sehen Ökonomen keinen Gegensatz zwischen Gesundheitsschutz und dem Wohl der Wirtschaft. „Die zweite Corona-Welle muss schnellstmöglich gebrochen werden, auch um langfristig enorme wirtschaftliche Schäden abzuwenden“, fordert DIW-Chef Marcel Fratzscher.
Kurzfristig schadeten Lockdowns der Wirtschaft zwar. Aber langfristig seien die Schäden größer, wenn die Infektionszahlen hoch blieben und das Gesundheitssystem zusammenbrechen würde.
„Zu zögerliche Schritte, die womöglich in eine dritte Infektionswelle münden könnten, würden für noch mehr Verunsicherung bei Unternehmen, Selbstständigen und Verbrauchern sorgen“, so Fratzscher. Dies hätte verheerende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung.
Felbermayr: Einschränkungen mit Augenmaß
„Die beschlossenen Einschränkungen zeigen Augenmaß mit Blick auf die Freiheiten für Personen und Eingriffe in die Wirtschaft“, meint Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
Bei den Schulschließungen allerdings komme es darauf an, ob der Fernunterricht gut funktioniere. „Das ist flächendeckend offenbar noch immer nicht der Fall“, kritisiert Felbermayr die Schulbehörden der Länder. Sie müssten alles daransetzen, dass „Eltern nicht noch nebenbei als Ersatzlehrer tätig sein müssen und damit beruflich eingeschränkt sind“, verlangt er.
Aus Sicht von Sebastian Dullien, Chef des Gewerkschafts-Instituts IMK, ist die Schulschließung vor allem ein soziales Problem. „Es erhöht die Bildungsungleichheit und hat damit langfristig ökonomische Folgen“, sagt er.
IW-Chef Hüther widerspricht dem: „Die Beschäftigten gehen natürlich auf dem Zahnfleisch, wenn sie jetzt noch für weitere Wochen zum Homeschooling verdammt sind“, sagt er. Wenn die Schulen wirklich flächendeckend geschlossen blieben, werde es für manche Betriebe schwierig, den Arbeitskräfteeinsatz zu planen.
Auch Feld rechnet mit mehr Arbeitsausfall in den Betrieben wegen des Homeschoolings. „Gleichwohl scheint mir das effektive Ausmaß der Schließungen angesichts der unterschiedlichen Umsetzung durch die Länder geringer als im Frühjahr 2020“, sagt er.
Wenig Verständnis hat Hüther allerdings für jene Unternehmer und Verbände, die sich über den neuen Zwang zum Homeoffice beschweren. „Wer Homeoffice machen kann und es nicht anbietet, ist selbst schuld, wenn Beschäftigte mit Kindern jetzt öfter ausfallen. Im Homeoffice lässt sich das doch besser organisieren“, sagt er. Und in der Produktion gebe es seit dem Sommer die Hygienekonzepte.
Besseres Erwartungsmanagement ist unrealistisch
Entscheidend für die Konjunkturentwicklung in diesem Jahr ist, ob die Impfkampagnen in Deutschland und international Fahrt aufnehmen, so Felbermayr. Sobald die Lockdowns aufgehoben werden können, werde sich ein kräftiger Aufschwung einstellen, ist er überzeugt: Vieles werde dann nachgeholt.
Darüber, ob die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten bei ihrer Strategie, alle zwei bis drei Wochen neu zu entscheiden, bleiben sollen, gehen die Meinungen der Ökonomen allerdings auseinander. „Alles, was jetzt Planungssicherheit gibt, wäre zu begrüßen“, sagt Felbermayr. Er kritisiert, dass es immer noch zu wenig Daten über das Pandemiegeschehen gebe und dass es immer noch nicht gelungen sei, die Altenheime wirksam zu schützen.
Dullien fände eine langfristigere Perspektive zwar auch grundsätzlich gut. „Da allerdings die Infektionszahlen nicht bis Ostern prognostizierbar sind, kann auch nicht versprochen werden, wie schnell wieder gelockert wird“, sagt er. Es würde ja niemandem helfen, wenn jetzt festgelegt wird, dass alles bis Ostern geschlossen bleibt, unabhängig von der dann aktuellen Infektionslage. „Eine Pandemie wie die aktuelle, in der alle unter Unsicherheit handeln, erfordert flexible Reaktionen“, sagt er.
Der Wirtschaftsweise Feld stimmt dem zu. „So satt man die aktuelle Situtation haben mag: Man muss weiter auf Sicht fahren“, sagt er. Die Politik könne genauso wenig wie alle anderen derzeit abschätzen, wie die weitere Infektionsdynamik, auch mit Blick auf die Mutationen des Virus, sein werde.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.