Kontakt zu Beschäftigten Gewerkschaft kämpft für Zugangsrecht zur digitalen Arbeitswelt

Gewerkschaften fürchten, den Kontakt zu Beschäftigten außerhalb des Betriebs zu verlieren.
Berlin Ob Flugblätter und Plakate vor dem Werkstor oder Ansprache durch Vertrauensleute im Betrieb: In der analogen Arbeitswelt haben Gewerkschaften viele Möglichkeiten, mit Beschäftigten in Kontakt zu treten und um Mitglieder zu werben.
Was aber ist, wenn Arbeitnehmer zunehmend aus dem Homeoffice arbeiten oder wie Essenskuriere ständig auf Achse und gar nicht im Betrieb anzutreffen sind?
Für den Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, ist klar, dass Arbeitnehmervertretungen bei fortschreitender Digitalisierung auch digitale Zugangsrechte für die virtuelle Arbeitswelt brauchen – beispielsweise die Möglichkeit, über dienstliche E-Mails oder das Intranet Kontakt zu den Beschäftigten aufzunehmen.
Doch nicht alle Unternehmen spielen so mit, wie Vassiliadis sich das wünscht. Deshalb läuft beim Arbeitsgericht Nürnberg ein von der IG BCE angestrengtes Verfahren, mit dem der Sportartikelhersteller Adidas verpflichtet werden soll, der Gewerkschaft die dienstlichen Mailadressen zugänglich zu machen.
Arbeitgeber sind nicht so kooperationsbereit, wie die Gewerkschaft das gerne hätte
„Dass viele Firmen uns den digitalen Zugang versperren, ist nicht akzeptabel“, sagte Vassiliadis am Mittwoch bei der Vorstellung eines Gutachtens des Bremer Rechtswissenschaftlers Wolfgang Däubler, welches seine Position untermauert.
Wirksame Interessenvertretung setze die Kommunikation unter den Beschäftigten und mit ihren Vertretern voraus, argumentiert der Arbeitsrechtler in dem Gutachten, das er für das Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat. Dieser Grundsatz müsse auch im digitalen Betrieb realisiert werden.
Durch die Rechtsprechung sei bereits klargestellt, dass Betriebsräte die Belegschaft per dienstlicher E-Mail anschreiben dürfen und auch Anspruch auf einen eigenen Auftritt im Internet haben. Laut Bundesarbeitsgericht hat auch jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft das Recht, sich per Mail an die Beschäftigten zu wenden.

„Dass viele Firmen uns den digitalen Zugang versperren, ist nicht akzeptabel.“
Die Frage ist nur, wie sie an die Adressen kommt. Unternehmen wie Adidas weigern sich, diese herauszugeben und argumentieren mit dem Datenschutz. Däubler kommt dagegen zu dem Schluss, dass eine Weitergabe der Mailadressen mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar ist. Denn eine Gewerkschaft habe oft keine andere Möglichkeit, mit den Beschäftigten in Kontakt zu treten. Daher bestehe ein berechtigtes Interesse an der Nutzung der Adressen.
Der Jurist sieht auch kein Problem darin, wenn ein Betriebsrat die Adressen an die Gewerkschaft weitergibt. Außerdem sei es durch die Rechtsprechung gedeckt, wenn Betriebsräte einen Link zu einer gewerkschaftlichen Website auf die eigene Homepage setzen oder Gewerkschaftsinformationen im Intranet platzieren.
Damit sich Gewerkschaften aber nicht allein auf das Richterrecht verlassen müssen, empfiehlt Däubler auch eine gesetzliche Klarstellung. In der Debatte über das im Juni in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz hatte auch das digitale Zugangsrecht eine Rolle gespielt, aber letztlich keinen Eingang ins Gesetz gefunden. Grüne und SPD machen sich nun aber in ihren Wahlprogrammen dafür stark.
Beim Bund müssen Arbeitgeber einen Link zur zuständigen Gewerkschaft setzen
Die Gewerkschaften wünschen sich ein digitales Zugangsrecht in der Betriebsverfassung – ähnlich wie es im neuen Personalvertretungsrecht des Bundes bereits Realität ist. Dort sind Arbeitgeber verpflichtet, selbst einen Link zur zuständigen Gewerkschaft einzurichten.
Die Wissenschaftliche Direktorin des HSI, Johanna Wenckebach, wies darauf hin, dass sich die Politik – fast quer durch alle Parteien – eine Stärkung der Tarifbindung auf die Fahnen geschrieben habe. Dafür sei das digitale Zugangsrecht einer der „essenziellen Faktoren“. Vassiliadis betonte, wenn die künftige Regierung eine Regierung des Aufbruchs und des digitalen Zeitalters werden solle, dann sei die IG BCE gerne dabei.
Die Gewerkschaft versucht aber auch, mit ihren eigenen Mitteln Fortschritte zu erzielen. So hat sie sich in der Kautschukbranche mit dem Arbeitgeberverband auf die bundesweit erste Sozialpartnervereinbarung zum digitalen Zugangsrecht geeinigt. Auch auf Unternehmensebene laufen Verhandlungen, beispielsweise bei Evonik.
Karin Erhard, für Mitbestimmung zuständiges IG-BCE-Vorstandsmitglied, will aber auch nicht ausschließen, dass die Gewerkschaft das Zugangsrecht irgendwann zum Thema von Tarifverhandlungen in den von ihr vertretenen Branchen macht.
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