Krise in der Union CDU-Nachwuchs lauert hinter Merkel

Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union (l), und CDU Präsidiumsmitglied Jens Spahn wollen eine Richtungsänderung in der Partei.
Berlin Als seine Parteifreunde gerade den traditionellen Hering verdrücken, huscht die Anstrengung der vergangenen Wochen kurz über das Gesicht von Jens Spahn. Abwesend pfeift er zur Musik der Blaskapelle, die gerade das Rennsteig-Lied schmettert. Dann bemerkt er die Menschenschlange vor seinem Tisch. Sie stehen an – für ein Selfie mit dem Hauptredner des „größten Stammtisches Ostdeutschlands“, wie der politische Aschermittwoch hier im thüringischen Apolda heißt. Den 37-Jährigen nennen sie eine „junge Galionsfigur der CDU“. Die 1300 Anhänger bejubeln ihn. In Trachtenjacke kommt er gut an.
Am Morgen hatte Spahn bereits auf dem politischen Aschermittwoch im baden-württembergischen Fellbach geredet, der größten Veranstaltung der CDU an diesem Tag. Die allergrößte findet in Passau bei der CSU statt, wo Spahn vergangenes Jahr zu Besuch war. Dieses Mal war dort Carsten Linnemann (40), ein guter Parteifreund Spahns.
Spahn und Linnemann sind gefragt in diesen Tagen. Beide gehören gemeinsam mit dem Chef der Jungen Union (JU), Paul Ziemiak (32), zur „Troika“ der Jungen Wilden bei der Union, die vehement nach vorn preschen. Spahn übt offen Kritik an Kanzlerin Angela Merkel, Linnemann versteht sich als konstruktiver Veränderer, während Ziemiak als Libero die jugendlichen Freiheiten nutzt, ohne in die Fundmentalopposition zu fallen wie etwa ein Kevin Kühnert von den Jungsozialisten der SPD.
Alle drei stammen aus dem größten Landesverband, Nordrhein-Westfalen. Seit 2013 helfen sie sich aktiv beim Aufstieg in der Partei. Damals wäre Spahn bereits gerne Minister geworden. Es klappte zwar nicht, aber Linnemann wurde immerhin Chef der Mittelstandsvereinigung, Ziemiak ein Jahr später JU-Chef. So etwas schafft Macht. Seither setzen sie gegen den Willen der Führung Projekte auf Parteitagen durch – etwa 2015 die Wahl Spahns zum Präsidiumsmitglied. Zum Netzwerk gehört auch Günter Krings, inzwischen Chef der NRW-Abgeordneten im Bundestag. Der 48-Jährige ist derzeit Innen-Staatssekretär, Spahn im Finanzressort. Sie sind das Warten leid – und das genau zur rechten Zeit.
Den Jungen hilft in diesen Tagen, dass Merkel das Finanzministerium den Sozialdemokraten überlassen hat, um eine neue Koalition zustande zu bekommen. Das für sich ist kein Problem, wird aber dazu erklärt, um auf Veränderungen zu drängen. Wenn sich dann noch Verlierer der Merkel-Ära wie Friedrich Merz, Norbert Röttgen, Roland Koch und sogar Volker Rühe zu Wort melden und inhaltliche Leere und Überalterung des Personals beklagen – so als sei dies zu ihren Zeiten anders gewesen –, wächst der mediale Druck auch auf eine Kanzlerin.
Also hat die Führung um Merkel die Kabinettsliste, die nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen kursierte, längst zur Makulatur erklärt. Merkel selbst hatte am Sonntag angekündigt, dass sie noch vor dem Parteitag am 26. Februar bekanntgeben wird, wer Minister in ihrem vierten Kabinett sein soll. Es gehe darum, „Personen Chancen zu geben, die ihre politische Zukunft noch vor sich haben oder mitten drin sind“, sagte sie.
Dazu gehört etwa Annette Widmann-Mauz (51), Chefin der Frauen Union und Gesundheitsstaatssekretärin, die das Ressort als Ministerin führen könnte. Schließlich will Merkel drei der sechs Ministerposten der CDU mit Frauen besetzen. Zu ihnen könnte weiter Ursula von der Leyen (59) gehören, aber auch Annegret Kramp-Karrenbauer (55). Die Ministerpräsidentin des Saarlands zieht es zwar nicht nach Berlin, aber sie gilt als Vertraute Merkels und könnte im Zweifel ihren Landsmann und Kanzleramtschef Peter Altmaier (59) ersetzen, der auf der Liste als Wirtschaftsminister vorgesehen war. Als Alternative gilt Julia Klöckner (45), einst Staatssekretärin im Bundesverbraucherministerium, die zweimal vergeblich versucht hat, Ministerpräsidentin in Mainz zu werden.

Auch Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, will einen Generationenwechsel.
Von „mindestens zwei unangenehmen Entscheidungen“ ist die Rede, mit denen Merkel Getreuen „auf die Füße treten“ müsse. Schließlich gelte es, Platz für neue Gesichter zu schaffen. Für die Fans von Spahn aber ist entscheidend, dass er Minister wird, ganz gleich, ob für Gesundheit, Bildung oder Wirtschaft. Auch für das Amt des Generalsekretärs der Partei halten sie ihn geeignet.
In der Tat geht es ebenfalls um die Frage, wie die geforderte inhaltliche Erneuerung der Partei gelingt. Der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (42) wirbt für ein neues Grundsatzprogramm. Den Prozess müsste der Generalsekretär steuern. Der heißt Peter Tauber (43), ist aber als Koordinator für die Digitalpolitik im Kanzleramt im Gespräch. Seit November ist er jedoch krank. Sollte er nach seiner Rückkehr Staatsminister werden, könnte jemand anders die inhaltliche Erneuerung angehen.
Zu möglichen Impulsgebern zählen Aufsteiger wie Daniel Günther (44), der seit Sommer 2017 Schleswig-Holstein regiert oder David McAllister (47), Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament und Vizepräsident der Europäischen Volkspartei. Auch von Mike Mohring (46) ist die Rede, dem Chef der thüringischen CDU – und Gastgeber von Apolda. Er gibt die Losung Richtung Parteitag aus: „Wir werden dieses Land zuverlässig regieren, und wir haben als Partei verstanden, dass wir das mittel- und langfristig nur weiter können, wenn wir uns erneuern, personell und inhaltlich.“
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