Krisenhilfen Schuldenrekord nach Rekordrezession: Ökonomen warnen vor zu schneller Tilgung

Olaf Scholz hat sich noch nicht zum Schuldenabbau geäußert.
Berlin Schnell hoch auf den Schuldenberg, schnell wieder runter? Die CDU zeigt sich sportlich und will den Corona-bedingt immer weiter steigenden Schuldenstand innerhalb von maximal zehn Jahren wieder abbauen. „Im Jahr 2030 sollte die Staatsverschuldung wieder auf dem Stand der Vor-Corona-Zeit sein“, verspricht CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak im Handelsblatt-Interview. Man müsse „so schnell wie möglich“ wieder die schwarze Null erreichen, also einen Haushalt ohne Neuverschuldung.
Höhere Steuern zur Finanzierung der Krisenkosten lehnt Ziemiak ab. Durch die Haushaltskonsolidierung in den vergangenen Jahren habe sich Deutschland „Spielräume erarbeitet, um die uns heute andere Staaten beneiden“, sagte er. „Die Politik der schwarzen Null zahlt sich in der Krise aus.“
Ökonomen erwarten, dass der Schuldenstand im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt durch die Hilfs- und Konjunkturpakete der Koalition von 60 auf mindestens 80 Prozent steigen wird. Die SPD sieht darin kein Problem. „Die Schuldentragfähigkeit Deutschlands lässt eine Kreditquote von 80 bis 90 Prozent zweifellos zu. Erst recht bei einer Verzinsung nahe null und einem Konjunkturpaket, das massive Investitionen vorsieht“, so SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.
Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, warnte indes davor, die Konsolidierungsdebatte zu früh zu beginnen. „Am Ende regt man Konsumenten und Investoren nur dazu an, erwartete Steuererhöhungen oder Ausgabensenkungen zu antizipieren und sich heute daher mit Konsum und Investitionen zurückzuhalten“, sagte Feld.
Das wäre „kontraproduktiv“. Noch sei zudem unklar, wie hoch die Corona-bedingte Verschuldung tatsächlich ausfallen werde. Erst wenn dies feststehe, solle die Politik den Konsolidierungspfad festlegen, so Feld.
Scholz geizt mit Infos
Denn die Verschuldung will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) schon am kommenden Mittwoch weiter erhöhen. Das Bundeskabinett soll dann den zweiten Nachtragshaushalt beschließen, um so das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket zu finanzieren. Zur Höhe des Defizits wollte sich der Vizekanzler bisher nicht äußern.
Mit solchen Angaben sei er „berufsbedingt knauserig“, erklärte Scholz am vergangenen Freitag, als er mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das Programm zur Belebung der Wirtschaft präsentierte.
Informationen sind das Einzige, mit dem Scholz geizt. Ansonsten bietet der Kassenwart so alles auf, was aus Sicht der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Rezession notwendig ist. Im März hatte die Koalition mit dem ersten Nachtragshaushalt Schulden in Höhe von 156 Milliarden Euro beschlossen, ein Rekord.
Nun könnten weitere 50 Milliarden Euro folgen. Insgesamt würde der Bund in diesem Jahr mit mehr als 210 Milliarden Euro ins Defizit gehen, hieß es in Regierungskreisen. Die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit hat die größte Neuverschuldung zur Folge.
Während Scholz noch Einnahmeausfälle und Ausgaben addiert, hat die Debatte begonnen, was mit dem riesigen Schuldenberg passieren soll. „Wir brauchen einen ehrgeizigen Plan, wie wir die Schulden zurückführen“, sagte Ziemiak.
Ökonomen schätzen Schuldenstand nach Coronakrise unterschiedlich ein
Im Jahr 2019 war der Schuldenstand laut Bundesbank erstmals seit 2002 erneut unter die Grenze des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesunken.
Wie hoch der Schuldenstand nach der Coronakrise ist, schätzen Ökonomen unterschiedlich ein: Zwischen 75 und 90 Prozent des BIP könnte er liegen. Das würde einem Anstieg der gesamtstaatlichen Verschuldung um 500 Milliarden auf bis zu einer Billion Euro bedeuten. Wie hoch der Konsolidierungsbedarf wird, hängt auch stark vom künftigen Bruttoinlandsprodukt ab.
Scholz hat sich noch nicht zum Schuldenabbau geäußert. Als der Bundestag den ersten Nachtragshaushalt Ende März beschlossen hatte, zog er die Notfallklausel der Schuldenbremse gleich mit, weil die Krisen-Neuverschuldung die erlaubte Grenze um 100 Milliarden Euro überstieg.
Von diesen 100 Milliarden Euro will der Bund ab 2023 jährlich fünf Milliarden Euro tilgen. Ziemiaks Vorschlag liefe einschließlich des zweiten Nachtragshaushalts auf eine dreimal so hohe jährliche Tilgungsrate hinaus – und damit auf ein drastisches Sparprogramm.
Die SPD allerdings stellt sich dagegen. Zwar werde es, wie es die Schuldenbremse vorsieht, einen Tilgungsplan geben, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. „Dabei steht für die SPD fest, dass es weder zu Sozialabbau noch zum Verzicht auf die schon vor Corona vereinbarten Investitionen in Schulen, Verkehrswege, Digitalisierung und bezahlbares Wohnen kommen darf“, sagt er, und: „Mit jedem Prozent Wachstum, das wir jetzt sichern, wird diese Aufgabe leichter lösbar.“
Auch SPD-Fraktionsvize Achim Post widerspricht Ziemiak. „Wir brauchen im Moment sicher keine Theoriedebatten über eine Rückkehr zur Politik der ‚schwarzen Null‘“. Derzeit könne niemand absehen, „welche weiteren Anstrengungen diese Krise womöglich noch von uns verlangen wird“. Die Regierung dürfe sich keinesfalls „selbst durch willkürlich gesteckte Sparziele notwendige Handlungsspielräume für die Zukunft verbauen“, sagte er.
Am Ziel einer Schuldenquote von 60 Prozent grundsätzlich festzuhalten finden viele Ökonomen durchaus „richtig, um das Vertrauen in die deutschen Staatsfinanzen zu schützen und für die nächste Krise gerüstet zu sein“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Wann und wie aber dieses Ziel erreicht werden sollte, will er jedoch nicht schon jetzt festlegen. Erst müsse die Wirtschaft wieder zu stetigem Wachstum kommen.
Wachstum hilft beim Schuldenabbau
Während der Finanzkrise war Deutschlands Verschuldung auf etwas mehr als 80 Prozent gestiegen. Der Abbau gelang relativ geräuschlos. „Dazu haben die guten konjunkturellen Jahre beigetragen, insbesondere die starke Exportnachfrage aus China und in den USA, aber auch die Haushaltsdisziplin“, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer dem Handelsblatt: Wenn das Konjunkturpaket schnell seine Wachstumswirkung entfalte, „sollte es möglich sein, auch nach dieser Krise die Staatsverschuldung wieder zügig zurückzufahren“.
Der Wettbewerbsökonom Jens Südekum sieht ebenfalls im Wachstum den Schlüssel zur Konsolidierung der Staatsfinanzen: „Dieses Wachstum würde abgewürgt, wenn man vorschnell mit Sparrunden und Austerität anfängt.“ Wenn der Staat zu schnell zu viel spare, dann erreiche man die 60-Prozent-Schuldenquote nicht schneller, sondern langsamer.
Und der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte: „Ein Schuldenabbau darf nicht zulasten von Investitionen in Bildung, Innovation und Nachhaltigkeit gehen, denn künftigen Generationen ist nicht damit gedient, wenn sie zwar niedrige Staatsschulden bedienen müssen, aber keine gute Arbeit oder soziale Absicherung haben.“
Rücklagen für den Notfall
Die Absicherung der Investitionen ist durchaus auch ein Anliegen von Scholz. Im Konjunkturpaket sind gleichfalls langfristige Ausgaben für die kommenden Jahre vorgesehen, etwa zwei Milliarden Euro für den digitalen Ausbau der Schulen, weitere zwei Milliarden Euro für Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) oder sieben Milliarden Euro für die Wasserstofftechnologie.
Ein neuer Investitionsfonds sei zwar nicht geplant, die Mittel könnten aber in bestehenden Fonds vorgehalten werden, heißt es in Regierungskreisen. So gibt es schon Sondervermögen für die Digitalisierung der Schulen oder für den Breitbandausbau.
Zudem verfügt Scholz noch über eine Reserve von 48 Milliarden Euro. Die war ursprünglich für Kosten der Flüchtlingskrise vorgesehen, wird aber mittlerweile als allgemeine Rücklage genutzt.
Ökonomen sind sich aber einig, dass mittelfristig ein Schuldenabbau sinnvoll ist. Schließlich soll der nächste Finanzminister bei der Krisenbekämpfung so wenig knausern müssen wie jetzt Scholz.
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Die Frage ist eher: Kann man diese Schulden überhaupt noch abbauen? Wird es überhaupt noch zu Steuereinnahmen in der Größenordnung wie vor der Corona Krise kommen? Alles ist im Wandel, viele gut bezahlte Jobs in der Automobil-, Energieerzeugung-, Banken- und der Versicherungssparte werden, teils politisch gewollt, abgebaut. Das Einkaufsverhalten, der Tourismus und damit die Art zu Leben wird sich verändern. Robotisierung und Industrie 4.0 werden ebenfalls einen negativen Beschäftigungsbeitrag leisten. Woher sollen die Steuereinnahmen zum Schuldenabbau eigentlich kommen?
Wenn, wie ich schon gelesen habe, die Schulden bis 2030 abgebaut werden sollen, schnürt sich der Staat so ein, daß er nicht mehr atmen kann. Ich würde die Schulden sehr langfristig finanzieren (100 Jahre) oder an die EZB in einen EU Schuldentopf auslagern. Die Inflation bezahlt das in ersten Fall von selbst. Im zweiten Fall wäre es Staatsfinanzierung, die andernorts auf der Welt gang und gäbe ist.