Auch den Zustand der Union kritisierte die Familienunternehmerin in vierter Generation. „Das schlechte Wahlergebnis bei der Europawahl kommt nicht aus heiterem Himmel, ist Folge der inhaltlichen Entkernung seit über einem Jahrzehnt und der zweite Tiefpunkt nach dem Desaster bei der Bundestagswahl“, sagte Hamker. Das könne man aber nicht nur bei der aktuellen Parteispitze abladen. Die mehrfache Aufsichtsrätin sprach sich dafür aus, dass Annegret Kramp-Karrenbauer auch schnell die Regierungsgeschäfte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übernimmt. „Frau Kramp-Karrenbauer wurde als Parteivorsitzende gewählt. Aber klar ist, dass sich der Übergang nicht zu lange hinziehen sollte“, sagte sie.
Hamker begrüßte, dass die neue CDU-Chefin ihren unterlegenen Konkurrenten im Rennen um den Parteivorsitz, Friedrich Merz, einbinde. Das sei klug vor dem Hintergrund des knappen Wahlergebnisses beim Parteitag, sagte sie. „Ich denke, dass Annegret Kramp-Karrenbauer erkannt hat, dass sie mehr starke Köpfe braucht, um die CDU breiter aufzustellen.“ Merz kandidiert auch als Vizepräsident des Wirtschaftsrats.
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Frau Hamker, glauben Sie, dass die Große Koalition nach den Verlusten bei der Europawahl und dem Rücktritt von SPD-Chefin Andrea Nahles bis zum Ende der Legislaturperiode durchhalten wird?
Ich bin da sehr skeptisch. Die SPD ist in einem katastrophalen Zustand. Offensichtlich hat sich ihr Kurs, immer größere und teurere Geschenke zu verteilen, bei den Wählern nicht ausgezahlt. Der Wirtschaftsrat hat jedenfalls gegen die Große Koalition votiert. Eine Minderheitsregierung wäre besser für die Demokratie gewesen. Es hätte mehr Debatten gegeben und sachorientierte Kompromisse. Ich sehe meine schlimmsten Befürchtungen sogar noch übertroffen, was die Arbeit der Großen Koalition angeht. Auch der Stimmenverfall von CDU und SPD setzt sich fort. Die Landtagswahlen im Herbst müssen uns wirklich Sorgen machen. Da kann man auch mit einer zusätzlichen Klimasteuer nur noch mehr Wähler verlieren.
Die SPD fordert von der Union Zugeständnisse, etwa bei der Grundrente, und droht mit Ausstieg. Sollte die Union die Koalition lieber platzen lassen als sich darauf einlassen?
Wie man an ihren Nachforderungen bei der Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung sieht, hat die SPD nichts dazugelernt. Die Grundrente ist eine Sozialleistung. Es wäre unverantwortlich und zutiefst ungerecht, einer Zahnarztgattin ohne Berücksichtigung ihres Vermögens und der gemeinsamen Einkünfte die gleiche Leistung zu gewähren wie einer Kassiererin im Supermarkt oder einer Reinigungskraft, die nicht genug verdienen und einzahlen konnten. Das ist doch in der SPD-Wählerschaft gar nicht vermittelbar. Ich sehe derzeit auch nicht, dass die SPD überhaupt eine genügend starke Verhandlungsposition besitzt, um das gegenüber der Union durchzusetzen. Die SPD muss doch am allermeisten Neuwahlen fürchten. Die Union muss die Leistungsgerechtigkeit hochhalten und die Generationengerechtigkeit verteidigen.
Vor 36 Jahren hat Sie Ihr Vater erstmals zu einer Bundesversammlung des CDU-Wirtschaftsrats mitgenommen. Sie waren 16 Jahre. Bonn, wo das Treffen stattfand, war noch Bundeshauptstadt …
… und Helmut Kohl Kanzler, er war auch dort. Das war für mich ein Erlebnis: die große Politik und die große Wirtschaft. Diese Menschen hautnah zu erleben, das war schon beeindruckend.
Nun werden Sie selbst in Berlin zur Präsidentin gewählt. Was treibt Sie an, dieses Ehrenamt zu übernehmen?
Ich bin ein Fan der Sozialen Marktwirtschaft. Und der Wirtschaftsrat ist die Vereinigung, die am klarsten für sie eintritt. Ohne die Soziale Marktwirtschaft gäbe es die Erfolgsgeschichte Deutschlands nicht. Zudem bin ich der Überzeugung, dass wir Unternehmer uns in Gesellschaft und Politik aktiver einbringen und einsetzen sollten.
Dem Wirtschaftsrat haftet das Image des Altherrenklubs an, Versammlung der Deutschland AG. Werden Sie das als erste Frau an der Spitze des Verbands ändern?
Die Geschlechterfrage hat für die Findungskommission keine Rolle gespielt. Und als Quotenfrau würde ich dieses Amt auch nicht übernehmen. Im Übrigen teile ich Ihre Zustandsbeschreibung nicht. Als ich im Jahr 2005 in das Präsidium kam, war das eher noch die alte Deutschland AG. Das hat sich aber in den vergangenen Jahren geändert. Bei uns sind jetzt sehr viel mehr Familienunternehmer vertreten, auch jüngere und Frauen.
Dann erklären Sie uns als Fan der Sozialen Marktwirtschaft doch, in welchem Zustand sich unsere Wirtschaftsordnung befindet.
Leider in keinem allzu guten. Bei vielen Bürgern gibt es ein wachsendes Misstrauen gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft. Und das gilt nicht nur für Menschen, die sich selbst vielleicht als abgehängt vom wirtschaftlichen Erfolg sehen. Die Vorbehalte reichen mittlerweile bis ins Bürgertum, weil es sich nur geschröpft fühlt. Letztlich kommt auch bei den Leistungsträgern, unseren Mitarbeitern direkt, viel zu wenig an. Schon längst hätten sie bei Steuern und Abgaben entlastet werden müssen. Ängste und Sorgen müssen wir ernst nehmen, sonst wächst hier letztlich auch eine Gefahr für unsere Demokratie heran.
Und was lässt sich dagegen tun?
Wir müssen mehr Überzeugungsarbeit leisten. Da ist nicht nur die Politik gefordert, sondern auch die Wirtschaft. Wenn ein Unternehmer mit seinen Mitarbeitern spricht, ihnen die wirtschaftlichen Zusammenhänge erklärt, dann ist das doch viel überzeugender als jede Werbung. Deutschland ist mit seiner Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gut gefahren, gerade in den vergangenen Jahren waren wir sehr erfolgreich. Die Arbeitslosigkeit liegt auf Rekordtief. Das ist ein Ergebnis nachhaltiger politischer Entscheidungen wie der Agenda 2010.
Aber auch in Ihrer Partei zweifeln zunehmend Mitglieder an der reinen, ordnungspolitischen Lehre. Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa hat ein Industriekonzept vorgelegt, das eine aktivere Rolle für den Staat vorsieht. Geht das in die richtige Richtung?
Peter Altmaier will einen Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung von 25 Prozent. Das ist ein gutes Ziel. Aber der Wirtschaftsminister sollte nicht irgendwelche Bestandsgarantien für Konzerne abgeben. Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen und ansonsten auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft vertrauen. Und da kamen mir vor allem der Mittelstand und die Familienunternehmer in dem Konzept viel zu kurz.
Unabhängig von Altmaier: Ist die CDU wirtschaftspolitisch gut aufgestellt?
Das schlechte Wahlergebnis bei der Europawahl kommt nicht aus heiterem Himmel, ist Folge der inhaltlichen Entkernung seit über einem Jahrzehnt und der zweite Tiefpunkt nach dem Desaster bei der Bundestagswahl. Das kann man nicht schönreden und, das betone ich ausdrücklich, auch nicht nur bei der aktuellen Parteispitze abladen. Erinnern Sie sich an das grandiose Wahlergebnis von Friedrich Merz beim CDU-Parteitag im Dezember: 48 Prozent! Da kam auch der Wunsch nach einem Kurswechsel zum Ausdruck. Ich denke, dass Annegret Kramp-Karrenbauer erkannt hat, dass sie mehr starke Köpfe braucht, um die CDU breiter aufzustellen. Friedrich Merz, der ja auch als Vizepräsident im Wirtschaftsrat kandidiert, steht für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs. Da muss die CDU noch mehr liefern.
Welche Punkte meinen Sie konkret?
Das Allerwichtigste ist, dass wir die Leistungsträger entlasten. Da gehört für mich auch das Thema Soli-Abbau dazu. Der muss für alle Steuerzahler entfallen, so wie es die Politik versprochen hat. Dann brauchen wir auch eine Reform der Unternehmensteuern. Auf diesem Feld ist seit Jahren nichts passiert, obwohl viele Länder um uns herum die Belastung für Firmen gesenkt haben. Wir müssen reagieren, damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Da müssen CDU-Spitze und auch die Bundestagsfraktion dranbleiben.
Braucht es auch personelle Aufbruchssignale, etwa mit Friedrich Merz im Bundeskabinett?
Man kann sich vieles wünschen, aber letztlich ist klar: Der Wirtschaftsrat ist nicht zuständig für die Besetzung des Kabinetts. Unser Anspruch ist es, inhaltliche Impulse zu geben. Wenn diese mit einem personellen Aufbruch verbunden sind, umso besser für unser Land.
Aber die Sehnsucht scheint groß: Mit Wolfgang Schäuble, Günther Oettinger und Roland Koch treten beim Wirtschaftstag die prominenten Unterstützer von Merz auf.
Annegret Kramp-Karrenbauer kommt auch zum Wirtschaftstag. Wir haben sehr gute Gespräche mit ihr geführt, und sie war sehr konstruktiv. Und ich freue mich auch ganz besonders darüber, dass sie Friedrich Merz in der CDU einbindet. Das ist sicherlich auch klug vor dem Hintergrund des knappen Wahlergebnisses beim Parteitag.
Eine Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer und eine Kanzlerin Angela Merkel – kann diese Machtteilung noch zwei Jahre gut gehen?
Frau Kramp-Karrenbauer wurde als Parteivorsitzende gewählt. Aber klar ist, dass sich der Übergang nicht zu lange hinziehen sollte.
Sie beraten Familienunternehmen, damit der Generationenübergang konfliktfrei gelingt. Was würden Sie der CDU raten?
Frau Kramp-Karrenbauer kennt die CDU bestens, und sie hat Führungserfahrung als Ministerpräsidentin. Das sind gute Voraussetzungen. Dann braucht es noch eine klare Strategie für den Übergang. Ich würde aber keinem Unternehmen zu einem zu langen Übergabeprozess raten. Vor allem dürfen die Verantwortungsbereiche nicht so verwischen.
Nach den großen Erfolgen der Grünen gibt es in der Union Forderungen, dass die Partei energischer beim Klimaschutz werden müsse. Geht eine grünere CDU zulasten der Wirtschaftspolitik?
Die Union muss hier seriöser als die Grünen bleiben. Die berechtigten Ziele des Klimaschutzes sind mit wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Sicherheit zu verbinden. Niemandem, zu allerletzt dem Klima, ist geholfen, wenn in Deutschland mit seinem Anteil von unter drei Prozent am Kohlendioxinausstoß die Wirtschaft in die Knie geht und Arbeitsplätze verloren gehen.
Dann ahmt uns auch keiner in Europa und weltweit nach. Ich kann die CDU nur davor warnen, wie beim Ausstieg aus der Kernenergie wieder eine Kurzschlussreaktion zu vollziehen. Da ist auch niemand unserem Vorbild gefolgt. Und Länder wie Frankreich erreichen ihre Klimaziele leicht, weil sie keine solche verstolperte Energiewende hingelegt haben. Wir haben als Ergebnis die höchsten Strompreise, aber klimapolitisch eine schlechtere Bilanz.
Angesichts Ihrer Kritik am Wirtschaftskurs der CDU und der Regierung stellt sich die Frage: Warum hat Ihr Verband so wenig Einfluss?
Das sehe ich nicht so. Hätten Sie bei einem Bundesparteitag der CDU ein so starkes Ergebnis für Friedrich Merz erwartet, der immerhin dem Wirtschaftsflügel zugerechnet wird? Und selbst in der GroKo werden viele unserer Forderungen umgesetzt wie das Halten der „schwarzen Null“, vorher die Einführung der Schuldenbremse, wieder keine Steuererhöhungen oder die aktuelle Gründung der Bundesverkehrsinfrastrukturgesellschaft oder die säulenübergreifende Renten-Information im Koalitionsvertrag. Wir sind der Stachel im Fleisch, wenn es um Ordnungspolitik und Soziale Marktwirtschaft geht. Nicht ohne Grund steigt die Zahl unserer Mitglieder.
Wie viele sind es aktuell?
Wir haben über 12 .000 Mitglieder und mehr als 5.000 ehrenamtlich Engagierte, die sich in den Gremien einsetzen und Inhalte an die Politik herantragen.
Sie sind bisher Schatzmeisterin des Wirtschaftsrats gewesen und sagen, die Zahl der Mitglieder sei gestiegen. Werden die Finanzzahlen des Wirtschaftsrats denn auch mal veröffentlicht?
Klar, als Schatzmeisterin gebe ich der Bundesversammlung einen Rechenschaftsbericht. Die Mitgliederzahlen veröffentlichen wir breit, mehr nicht. Wir sind nicht publizitätspflichtig.
Andere Verbände veröffentlichen nach den Regeln des Handelsgesetzbuchs oder legen wie der BDI eine Bilanz vor. Schließlich wird Transparenz doch auch von Organisationen wie der Umwelthilfe erwartet.
Die Zahl der Mitglieder ist im vergangenen Jahr um rund 400 gestiegen. Entsprechend steigen auch die Einnahmen.
Wirbt noch immer die Firma WR Marketing für Sie die Mitglieder?
Nein, unsere Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen werben selbst.
Und gibt es Unternehmen, die besonderen Einfluss bei Ihnen haben?
Es gibt kein Unternehmen, das einen höheren Beitrag als im Promillebereich der Einnahmen bezahlt.
25.000 Euro nach unserem Kenntnisstand.
Der Beitrag orientiert sich am Umsatz. Wir haben keine Clusterbildung oder Überrepräsentanz eines Unternehmens oder Sektors.
Wie erklären Sie sich Ihr Wachstum angesichts der Vielzahl der Verbände und dem allgemeinen Trend zu sinkenden Mitgliedschaften?
Wir sind die stärkste Stimme der Sozialen Marktwirtschaft, branchenübergreifend und nicht eine einseitige Lobbyorganisation. Wir erarbeiten Inhalte eng mit unseren Mitgliedern, die so ihre unternehmerischen Vorstellungen einbringen können. Wir repräsentieren fünf Millionen Arbeitsplätze.
Vor allem aber öffnen Sie Türen in die CDU.
Wir sind ein politischer Unternehmerverband, keine Parteiorganisation und legen Wert auf unsere Freiheit, unabhängig wirtschaftspolitisch vernünftige Positionen zu beziehen.
Sie haben einen Sitz im Bundesvorstand der CDU – in keiner anderen Partei sonst. Das ist doch eindeutig.
Natürlich können wir die Kanäle in die uns nahestehende Partei einfacher bedienen. Aber wir stehen in gutem, regelmäßigem Kontakt mit Vertretern anderer Parteien.
Zumindest auf dem Wirtschaftstag erwarten Sie auch Vertreter der SPD sowie von FDP und Grünen. Wer dieses Jahr nicht mehr kommt: die Bundeskanzlerin. Warum?
Wir sind von der Teilnahme der Bundeskanzlerin ausgegangen. Sie hatte auch zugesagt, dann aber vor einigen Wochen abgesagt. Sie hat wohl Termine. Ich will aber klarstellen: Es ist in der Tat das erste Mal, dass die Bundeskanzlerin in all den Jahren nicht kommt. Aber es hat der Nachfrage nach dem Wirtschaftstag keinen Abbruch getan. Wir sind mit rund 4.000 Gästen schon seit drei Wochen ausgebucht.
Vielleicht weil das neue Gesicht, Annegret Kramp-Karrenbauer, sprechen wird?
Wir sind an der Zukunft interessiert, das ist auch schließlich das Motto unseres Wirtschaftstages.
Frau Hamker, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Wie geht es weiter mit der Großen Koalition? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
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