Kurzarbeit Teuer, wenig zielgenau und ungerecht: BDA übt massive Kritik am „Sozialschutzpaket II“

Den Pakt würden auch Menschen bezahlen, die gar nicht in Kurzarbeit sind, sondern voll durcharbeiten – beispielsweise Kassierer.
Berlin Das von der Bundesregierung geplante neue „Sozialschutzpaket II“ stößt auf harsche Kritik der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Es würden „unerfüllbare Ansprüche an den Sozialstaat geweckt“, erklärte der BDA mit Blick auf die geplante Aufstockung des Kurzarbeitergelds. Dies gelte selbst wenn besonders gut verdienende Facharbeiter bei 50 Prozent Arbeitsausfall auf Niveaus von mehr als 90 Prozent ihres normalen Nettoeinkommens abgesichert würden, heißt es in der BDA-Stellungnahme zu dem Gesetzesvorhaben.
„Das Ganze bezahlen durch ihren Sozialversicherungsbeitrag auch Menschen, die selbst deutlich weniger verdienen und gar nicht in Kurzarbeit sind, sondern voll durcharbeiten“ – beispielsweise Kassiererinnen und Pflegekräfte, heißt es in dem vierseitigen Papier, das dem Handelsblatt vorliegt.
Der Koalitionsausschuss hatte vergangene Woche beschlossen, dass für Kurzarbeiter, deren Arbeitszeit um mindestens die Hälfte reduziert ist, das Kurzarbeitergeld von derzeit 60 Prozent des Nettoeinkommens ab dem vierten Monat auf 70 Prozent aufgestockt wird. Ab dem siebten Monat sollen es dann sogar 80 Prozent sein. Bei Beschäftigten mit Kindern, die heute 67 Prozent erhalten, steigt die aus Beitragsmitteln finanzierte Leistung entsprechend auf 77 beziehungsweise 87 Prozent.
Außerdem soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds einmalig um drei Monate für all jene Arbeitslosen verlängert werden, die zwischen Mai und Dezember in Hartz IV zu rutschen drohen. Das Bundesarbeitsministerium hatte vergangene Woche eine Formulierungshilfe für das Gesetz vorgelegt.
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In dem Entwurf, der dem Handelsblatt vorliegt, geht das von Hubertus Heil (SPD) geführte Ressort für dieses und nächstes Jahr von einer Mehrbelastung der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Höhe von insgesamt 2,6 Milliarden Euro aus. Bund und Kommunen werden um Kosten für die Grundsicherung in Höhe von 500 Millionen beziehungsweise 140 Millionen Euro entlastet.
Frage nach der Gerechtigkeit
Die BDA kritisiert das „Geldausgeben mit der Gießkanne“, das nicht der gezielten Bekämpfung von Notlagen im Einzelfall diene. In ihrer Stellungnahme rechnen die Arbeitgeber vor, dass ein Beschäftigter in Steuerklasse III mit zwei Kindern und einem monatlichen Bruttoeinkommen von 5000 Euro, bei dem die Arbeitszeit um 50 Prozent reduziert wird, schon nach geltendem Recht in Kurzarbeit über 87 Prozent seines regulären Nettoeinkommens verfügt.
Die Summe setzt sich aus dem verbliebenen Arbeitslohn und dem Kurzarbeitergeld für die Ausfallstunden zusammen. Nach der im Gesetzentwurf geplanten Erhöhung des Kurzarbeitergelds würde der Beschäftigte in der Beispielrechnung ab dem vierten Monat über 91 Prozent und ab dem siebten Monat über 94 Prozent des regulären Nettoeinkommens verfügen, obwohl er nur noch halb so viel arbeitet.
Mitfinanziert werde die Aufstockung aber auch von Menschen, die bei voller Arbeit gerade das halbe Bruttoeinkommen erreichten. „Ganz zu schweigen davon, dass die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung auch von Arbeitgebern mit Kleinbetrieben mitfinanziert wurden, die jetzt möglicherweise überhaupt kein Einkommen erzielen, sondern um ihre Existenz kämpfen müssen“, schreibt die BDA. Das sei „eine Überdehnung des Sozialstaats mit der Gießkanne“.
Auch innerbetrieblich stelle sich aber die Gerechtigkeitsfrage, wenn derjenige, dessen Arbeitszeit um die Hälfte reduziert ist, fast genauso viel Geld bekomme wie der Kollege, der voll weiterarbeite.
In Zeiten der schwersten Krise, die Deutschland seit Jahrzehnten durchlebe, werde zu Lasten aller Beitragszahler nahezu eine Vollabsicherung versprochen, ohne dass eine echte „soziale Härte“ vorliegen würde, kritisiert die BDA: „Die verlorene Balance schürt völlig unrealistische Erwartungshaltungen an den Sozialstaat gerade auch nach der Krise und gefährdet seine finanzielle Tragfähigkeit.“
Aufstockung durch Hartz IV?
Zielgenauer würde die Hilfe nach Ansicht der Arbeitgeber über die steuerfinanzierte Grundsicherung, umgangssprachlich Hartz IV, erfolgen. Sie springt ein, wenn das Kurzarbeitergeld nicht zum Leben reicht oder Selbstständige derzeit keine Aufträge haben.
Das Arbeitsministerium schreibt aber in seiner Formulierungshilfe, dass eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds durch Grundsicherung vorübergehend vermieden werden solle. „So bringt das federführende Bundesministerium eines seiner wichtigsten und im internationalen Vergleich leistungsfähigsten Grundsicherungssysteme selbst in Misskredit“, kritisiert die BDA.
Geringverdiener zahlen kaum Steuern, wohl aber Sozialabgaben. Deshalb sei es „Sozialpolitik paradox“, echte Notlagen nicht mehr über die Grundsicherung, sondern über die Arbeitslosenversicherung zu lösen. Die Stärkeren würden zu Lasten der Schwächeren geschont.
Die BDA warnt aber auch vor dem Mehraufwand bei der BA, der die Erstattung des Kurzarbeitergeldes gravierend verzögern und die Liquidität der Unternehmen in doppelter Weise gefährden könnte. Denn zum einen müssten die Betriebe das höhere Kurzarbeitergeld an ihre Beschäftigten vorfinanzieren, zum anderen könnte sich die Erstattung des Kurzarbeitergeldes durch die BA weiter verzögern.
Die Verlängerung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld werde zu weiteren finanziellen Belastungen der Arbeitslosenversicherung führen, die BA aber auch administrativ etwas entlasten, schreiben die Arbeitgeber. „Auch wenn die Regelung befristet ist, bleibt die Gefahr, damit weitere Anspruchshaltungen auch nach der Coronakrise zu nähren.“
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Es gibt zum Glück viele gute Arbeitgeber in diesem Land, ich bin bei einem davon seit langem beschäftigt. Über ihre Lobbyisten kann man leider wenig Gutes sagen, die sind an Schäbigkeit oft nicht zu übertreffen. Wenn die BDA meint, für von Kurzarbeit Betroffene reiche die Grundsicherung (= Hartz IV), dann lässt sie die Maske fallen. Wenn ihr nicht verhungert, muss das reichen; wir betreiben derweil asset protection, damit wir auch im Fall der Fälle unser Schäfchen im Trockenen haben. DAS befördert allerdings Forderungen nach Umverteilung. Es wäre an der Zeit für einen Aufstand der vielen anständigen Arbeitgeber gegen ihre eigenen Lobbyisten.
Familien, die hohe Mieten zahlen müssen, kommen schnell an ihre finanziellen Grenzen. Sie benötigen meist 100% ihres monatlichen Einkommens. Sparen nicht möglich. Jetzt rächt sich das Totalversagen der regionalen Politiker, die vorsätzlich Baulandpreise in die Höhe getrieben haben durch Verknappung und nur Hänsel/Gretel/Knusperhäuschen planerisch vorgeschrieben haben, statt mindestens 4 Vollgeschosse. Im Gefolge wurde der öffentliche Nahverkehr stetig teurer. Beobachtung: An Vormittag zieht ein großen Gelenkbus mit nur einer Oma als Fahrgast durch den städtischen Vorort, rentabel, oder? Das war Irrsinn und nun sitzen viele Familien in der finanziellen Falle, auch noch lange nach der Krise.
Der BDA will, dass seinen Firmen der Staat, und das sind wir alle, üppige Unterstützungen zugutekommen lassen soll.
Den Arbeitnehmern gönnt man noch nicht einmal das Schwarze unter den Fingernägeln.
Es ist richtig das Kurzarbeitergeld zu erhöhen und das ALG-I zu verlängern. Dies ist nicht nur in der Corona Krise richtig das wäre generell richtig.
Es muss die zentrale Forderung sein Kurzarbeitergeld ab dem ersten Monat auf 80/87% zu erhöhen für 18 Monate und das Arbeitslosengeld auf 24 bis 36 Monate bei ebenfalls 80/87% vom Nettolohn zu verlängern.
Es kann nicht sein, dass in jeder Kriese die Arbeitnehmer exorbitante Verluste hinnehmen müssen und die teuren Rettungspakete der Industrie/Banken usw. ebenfalls zu finanzieren haben.
Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren und prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen. Das hat auch nichts mit Kapitalismus/Marktwirtschaft zu tun.
So geht’s nicht liebe Raupe Nimmersatt.