Lebensverhältnisse in Deutschland Diese vier Punkte zeigen: So verschärft Corona die Armut in Deutschland

Im Niedriglohnsektor berichtet fast jeder Fünfte von finanziellen Einbußen während der Pandemie.
Berlin Die Coronakrise hat finanziell vor allem die Menschen getroffen, die bereits vorher geringe Gehälter hatten. Besonders Alleinerziehende, Niedriglohnbeschäftigte, Selbstständige und Zuwanderer gerieten öfter in finanzielle Schwierigkeiten als etwa Facharbeiter, Meister und hochqualifizierte Angestellte. Das stellt der diesjährige Datenreport vom Statistischen Bundesamt und von Sozialwissenschaftlern des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) fest.
200 Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen forschen beim WZB-Institut an grundlegenden gesellschaftliche Fragen wie sozialer Ungleichheit, wirtschaftlichen Dynamiken, internationaler Politik und weiteren Schwerpunkten.
1. Rund 14 Prozent der Angestellten in Finanznot
Für die Zeit der ersten Infektionswelle der Corona-Pandemie von März bis Anfang Juli 2020 berichteten 17 Prozent der ungelernten Arbeiternehmer und 14 Prozent der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten. Im Niedriglohnsektor war es sogar fast jeder Fünfte – bei den Höherqualifizierten dagegen nur jeder neunte.
Dabei hatten sich die Armutsrisiken bereits vor der Pandemie verfestigt. Wer in Deutschland einmal unter die Armutsgrenze gerutscht ist, bleibt immer öfter länger arm, stellten die Statistiker fest. Im Jahr 2018 waren unter den als Armen in der Statistik erfassten Menschen dauerhaft 44 Prozent von Langzeitarmut bedroht. Der Wert war damit doppelt so hoch wie 20 Jahre zuvor.
2. Alleinerziehende in größter Gefahr
Das Armutsrisiko ist für Alleinerziehende mit 41 Prozent am höchsten, gefolgt von Menschen ohne Berufsabschluss mit 35 Prozent und Zuwanderern mit 29 Prozent. In Ostdeutschland ist das Armutsrisiko noch immer mit 22 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt.
Die Autoren des Datenreports erheben den Anspruch, die Lebenswirklichkeit in Deutschland umfassend darzustellen. An dem 532 Seiten langen Bericht, der an diesem Mittwoch veröffentlicht wurde, sind auch das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, das Sozio-ökonomische Panel und die Bundeszentrale für politische Bildung beteiligt.
3. Einmal arm, lange arm
Im Jahr 2018 lebte laut Bericht in Deutschland fast jeder sechste (15,8 Prozent) unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Sie liegt für Ein-Personen-Haushalte bei 1155 Euro. Der Anteil ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken, liegt aber deutlich über dem Niveau von 1998 von elf Prozent.
Die zunehmende Schwierigkeit, aus prekären Einkommensverhältnissen aufzusteigen, führt zu einem wachsenden Gefühl von Ungerechtigkeit, stellen die Autoren um WZB-Forscher Philip Wotschack fest. „Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung sieht das eigene Brutto-Einkommen als gerecht an“, sagte Wotschack bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Besonders viele Geringverdiener sehen das nicht so.
Vor allem in Westdeutschland hat dies auch die Einstellungen verändert: 2002 verlangte weniger als die Hälfte der damals Befragten, dass sich der Staat für den Abbau von Einkommensunterschieden engagieren müsse. 2018 waren es drei Viertel der Westdeutschen. In Ostdeutschland meinen dies sogar – relativ gleichbleibend über die Jahre – 80 Prozent.
4. Geringverdiener können sich Homeoffice nicht leisten
Corona hat zudem das Homeoffice zu einer zunehmenden Normalität werden lassen: Arbeiteten vor der Pandemie nur fünf Prozent überwiegend von zu Hause aus, waren es während der ersten Infektionswelle bis zu 30 Prozent der Beschäftigten. „Die sozialen Unterschiede sind dabei enorm“, stellt der Report fest. Bei den Beschäftigten im unteren Einkommensdrittel betrug der Homeoffice-Anteil weniger als sechs Prozent, während fast zwei Drittel der Berufsgruppen im oberen Einkommensdrittel auf einen Homeoffice-Anteil von 20 Prozent und mehr kamen.
Große Ungleichheit stellt der Datenreport auch nach wie vor zwischen den Geschlechtern fest: 90 Prozent der Elternzeit-Monate werden von Müttern genommen, die zudem anschließend meist in Teilzeit arbeiten.
Die Karriere von Müttern mit zwei Kindern stagniert nach der Familiengründung „nahezu gänzlich“, so das Ergebnis des Reports. Die Forscher führen das auch auf gesellschaftliche Normen zurück. Fast 60 Prozent der Personen zwischen 24 und 43 Jahren glauben, dass die Gesellschaft vollzeiterwerbstätigen Müttern mit einem zweijährigen Kind abspreche, eine „gute Mutter“ zu sein. Allerdings stimmen nur 17 Prozent der insgesamt Befragten tatsächlich dieser Aussage zu. Die gefühlte Norm entspreche möglicherweise gar nicht mehr den tatsächlichen Einstellungen, so die Forscher.
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