Der Corona-Ausbruch hatte ein Schlaglicht auf die oft miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen von osteuropäischen Arbeitern in der Fleischindustrie geworfen. Der Schutz der Beschäftigten müsse nun absolute Priorität haben, versprach der CDU-Politiker – „insbesondere vor wirtschaftlichen Interessen“.
Heute sieht Brinkhaus’ Hammer eher wie ein „Hämmerchen“ aus. Seine Fraktion hat ein Gesetz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), das die Zustände in der Branche verbessern soll, auf den letzten Metern ausgebremst. Die zweite Lesung flog auf ihr Drängen Ende Oktober kurzfristig von der Tagesordnung. Der Grund: Es gebe noch Redebedarf.
Nun kommt es zum Showdown. Wenn der Bundestag dem Gesetz diese Woche nicht zustimmt, werde es „sehr, sehr knapp“, sagte Heil in einer Plenardebatte. Und das sei noch „freundlich formuliert“. Tatsächlich kann das Gesetz ohne Votum in dieser Woche nicht mehr auf regulärem Weg vom Bundesrat verabschiedet werden – und wie geplant im Januar in Kraft treten.
Das verhindern grundgesetzliche Fristen im Gesetzgebungsverfahren. Die können zwar in Ausnahmefällen verkürzt werden. Doch dafür bräuchte es zunächst einmal einen inhaltlichen Kompromiss. In der SPD heißt es nun, dass Minister Heil nicht nachgeben will. Die Union hingegen scheint inzwischen der Fleischlobby einen Gefallen tun zu wollen.
Ähnliche Argumente von Union und Fleischindustrie
Die Argumente der Fleisch- und Agrarindustrie sowie die der CDU- und CSU-Politiker klangen zuletzt auffällig ähnlich. So fordert die Branche vor allem eine Aufweichung von Heils Vorhaben, nicht nur die umstrittenen Werkverträge zu verbieten, sondern auch die Leiharbeit abzuschaffen.
Heil will, dass Arbeiter künftig bei dem jeweiligen Schlachtkonzern angestellt werden. Werkverträge mit Subunternehmern sollen ab Januar verboten werden, Leiharbeit ab April 2021. Davon ausgenommen sollen Firmen des Fleischerhandwerks mit bis zu 49 Arbeitern sein.
Gerade bei Auftragsspitzen müssten die Firmen aber schnell aufstocken können, tönt es dagegen unisono aus Fleischbranche und Union. „Das Verbot von Zeitarbeit verhindert saisonale Produktion wie beispielsweise zur Grillsaison“, in der vorübergehend mehr Personal benötigt werde, sagt Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Fleischwirtschaft.
Bei CDU-Arbeitsmarktexperte Peter Weiß klingt das ähnlich: „Aus Sicht vieler Abgeordneter, die die Situation vor Ort gut kennen, muss ein flexibler Umgang mit Arbeitsspitzen weiter möglich sein.“ Sonst drohten Engpässe. Sein Wahlkreis liegt in Emmendingen, dem Sitz der Großfleischerei Färber. Fraktionschef Brinkhaus umwirbt die Wähler in Gütersloh, dem Firmensitz von Großschlachter Tönnies.
Auch CSU-Mann Max Straubinger hält Zeitarbeit in der Fleischindustrie für unverzichtbar und kündigte an, das Gesetz so nicht durchlassen zu wollen. In Politikerkreisen heißt es, Druck komme vor allem von der Interessengemeinschaft der bayerischen, familiengeführten Ernährungsindustrie. Deren Chef Robert Houdek hält das Verbot von Zeitarbeit in der Fleischwirtschaft „ohne Härtefall- oder Ausnahmeregelungen“ für unverhältnismäßig.
Selbst NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann ruderte überraschend zurück. Der CDU-Politiker hatte lange Zeit eine „konsequente Umsetzung“ von Heils Plänen angemahnt. „Es darf keine Weichwascherei geben“, sagte der Minister und richtete diesen Appell ausdrücklich an seine eigene Partei. Doch angesichts der aktuellen Blockade sieht Laumann in Ausnahmen bei der Leiharbeit etwa für die Fleischveredelung „eine Lösung“ für den Streit.
Bei der Verbraucherorganisation Foodwatch spricht man von einer Scheindebatte. Nicht wegen der Grillwurst im Inland fordere die Fleischbranche, weiterhin Leiharbeiter einsetzen zu dürfen. Vielmehr gehe es darum, den Status als Exportmacht zu sichern. „Und Exportweltmeister bleibt die Branche nur, wenn sie die Produktionskosten niedrig hält“, sagte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.
Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hält das Grillwurst-Argument für vorgeschoben. „Ein zusätzlicher Bedarf lässt sich auch durch andere Instrumente stemmen, zum Beispiel durch Arbeitszeitkonten“, sagte NGG-Chef Guido Zeitler.
Rückendeckung auch beim Schlachtstau
Die Fleischlobby scheint die Union aber auch beim sogenannten Schlachtstau in Stellung gebracht zu haben. Weil Corona-bedingt zurzeit nicht im bisherigen Umfang geschlachtet werden kann, „stauen“ sich die Tiere in den Mastbetrieben. Auch hier fordert die Industrie flexible Arbeitszeiten – und weiß CDU-Politiker auf ihrer Seite.
Wie gehören Politik und Bauernschaft zusammen?
Nach dem zweiten Treffen des „Branchengesprächs Fleisch“, das Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ins Leben gerufen hat, forderte die CDU-Ministerin in einem Brief an Heil mehr Flexibilität. Die einzige Möglichkeit, dem Problem zu begegnen, sei „die Schlacht- und Zerlegekapazitäten so weit wie nötig und so schnell wie möglich heraufzufahren“, schrieb Klöckner. Die Erweiterung des aktuellen Arbeitsumfangs in den Schlachthöfen sei dafür von „entscheidender Bedeutung“.
Zu den 67 Teilnehmern des Branchengesprächs gehörten Konzernchef Clemens Tönnies und Niedersachsens CDU-Agrarministerin Barbara Otte-Kinast, selbst Landwirtin. In ihrem Bundesland liegen einige Schlachthöfe. Als das Tönnies-Werk Weidemark in Sögel kürzlich wegen eines Corona-Ausbruchs schließen musste, reagierte Otte-Kinast prompt mit Kritik: „Die Schließung ist unverhältnismäßig. Die Zahl der Corona-Fälle ist schon wieder am Sinken.“
Die Grünen beobachten derlei Schulterschlüsse mit Unbehagen. Sie hoffen, dass Heil sich nicht auf den letzten Metern einschüchtern lässt, sondern an seinem Gesetzesvorhaben unverändert festhält. „Wir brauchen ein klares Gesetz, das Maßstäbe setzt“, sagt die Arbeits- und Sozialpolitikerin Beate Müller-Gemmeke.
NRW-Minister Laumann hingegen hofft auf einen Kompromiss. „Jeder, der in den Parteien ein bisschen Einfluss hat, sollte einen Beitrag dazu leisten“, dass sich der Streit nicht weiter hochschaukelt, so der Minister. Denn wenn am Ende überhaupt kein Gesetz verabschiedet werde, hätten „Tönnies und Co. gewonnen.“
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