Marktbeherrschende Stellung Gerichtsbeschluss: Amazon muss Verkäuferkonto entsperren

Der Onlinehändler musste ein Verkäuferkonto entsperren.
Berlin Im Frühsommer erreichte eine standardisierte E-Mail das Familienunternehmen mi.to pharm, das Medizintechnikprodukte und Kosmetik entwickelt und verkauft. Der Absender: die luxemburgische „Amazon Services Europe“, die den deutschen Amazon-Marketplace betreibt. Der Inhalt: Der Onlineriese hatte das Verkäuferkonto der Wolfenbütteler Firma gesperrt. Damit versiegte nicht nur ein wichtiger Vertriebskanal für den Händler. Er hatte seine Ware auch bei Amazon für einen direkten Verkauf gelagert. Die noch unverkauften Produkte drohten also vernichtet zu werden.
Rechtsbeistand Simon Spangler von der Kanzlei Oppenhoff berichtet: „Das Konto wurde mit pauschalem Hinweis auf einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen gesperrt.“ Eine weitere Begründung sei nicht erfolgt. Aufforderungen, die Kontosperrung näher zu begründen, seien ebenfalls fruchtlos geblieben.
Nun hat Spangler eine einstweilige Verfügung gegen Amazon erwirkt. Das Besondere: Das Landgericht Hannover wertete das Verhalten des Konzerns als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Es verfügte die Entsperrung des Verkäuferkontos und die Unterlassung der Vernichtung der eingelagerten Ware (Az. 25 O 221/21) .
Zur Begründung führte das Gericht unter anderem an, dass Amazon durch den pauschalen Verweis auf einen angeblichen Verstoß gegen seine Nutzungsbedingungen den Anforderungen der „Plattform-to-Business-Verordnung“ (kurz: P2B-Verordnung) nicht genügt habe.
Die europäische P2B-Verordnung gilt seit gut einem Jahr und regelt das Verhältnis von Onlineplattformen wie Amazon Marketplace, eBay, Google Shopping, Microsoft Store, Apple App Store oder Shops in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram gegenüber Händlern. Festgelegt wird etwa, auf welche Weise die Plattformen eine Geschäftsbeziehung einschränken, aussetzen oder beenden dürfen.
So muss es betroffenen Händlern möglich sein, die Sperrung eines Verkäuferkontos anhand der allgemeinen Geschäftsbedingungen nachvollziehen zu können. Wird ein Konto gesperrt, so muss die Plattform eine Begründung dafür angeben. Ziel ist es, intransparente Geschäftspraktiken einzudämmen.
Anforderungen an die Begründung einer Kontosperrung
Laut Kartell- und Vertriebsrechtler Spangler ist Amazon für viele Händler ein wichtiger „Gatekeeper“ für den Zugang zum Endkunden. Die Plattform sei aufgrund ihrer Markstellung im deutschen E-Commerce für viele Unternehmen ein nicht mehr wegzudenkender Absatzkanal: „Kontosperrungen können da schnell existenzbedrohend sein.“ Die Entscheidung des Landgerichts Hannover zeige, dass das Kartellrecht dem Verhalten von Amazon Grenzen setze.
Rechtsprechung zur P2B-Verordnung gibt es bislang kaum. Rechtsprofessor Christoph Busch von der Universität Osnabrück, der gerade den einschlägigen Kommentar zur P2B-Verordnung herausgegeben hat, verweist auf eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts München zur Sperrung eines Händler-Onlinekontos (Az. 37 O 32/21).

Die europäische P2B-Verordnung gilt seit gut einem Jahr und regelt das Verhältnis von Onlineplattformen wie Amazon Marketplace, eBay, Google Shopping, Microsoft Store, Apple App Store oder Shops in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram gegenüber Händlern. Das soll intransparente Geschäftspraktiken verhindern.
Dort sei es vordergründig um die kartellrechtliche Frage gegangen, ob Amazon durch die – nicht näher begründete – Sperrung des Händlerkontos seine Marktmacht missbraucht habe. Bei Beurteilung der Frage, welche Anforderungen an die Begründung einer Kontosperrung zu stellen seien, habe sich das Gericht an den Wertungen der P2B-Verordnung orientiert.
Der Rechtsexperte meint: „Die Entscheidung ist interessant, da sie zeigt, dass die Maßstäbe der Verordnung auch auf dem Umweg über das Kartellrecht Bedeutung für die Praxis erlangen können.“
So plädiert Busch denn auch für eine Flankierung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht, um unabhängig vom Überschreiten einer Marktmachtschwelle „klare regulatorische Leitplanken“ für die Plattformökonomie zu haben. Die P2B-Verordnung diene diesem Ziel einer Flankierung.
In Brüssel steht die Revision der Verordnung an
Die Schlagkraft habe auch das außereuropäische Ausland erkannt. So habe Japan unlängst eine gesetzliche Regelung für digitale Plattformen erlassen, die sich deutlich an der P2B-Verordnung orientiere. Auch in Korea gebe es Pläne für ein vergleichbares Modell. Bei der EU-Kommission steht bereits die Revision der Verordnung an. Rechtsprofessor Busch wird Brüssel dabei als Mitglied des „EU Platform Observatory“ beraten.
Im Falle der Wolfenbütteler Firma mi.to pharm hat Amazon das Verkäuferkonto inzwischen wieder freigegeben. Die Plattform könnte allerdings noch Widerspruch einlegen, sodass es zu einem Hauptverfahren kommt.
Rechtsexperte Spangler meint: „Dass das Gericht eine marktbeherrschende Stellung von Amazon angenommen hat, dürfte der Plattform missfallen.“ Das Bundeskartellamt habe eine solche Stellung bisher formal nämlich nie ausdrücklich festgestellt. „Die Entscheidung könnte daher erhebliche Auswirkungen für das weitere Auftreten von Amazon gegenüber den Marktplatzhändlern haben“, erklärt der Kartellrechtler.
Aktuell läuft zudem ein Verfahren beim Bundeskartellamt nach den neuen kartellrechtlichen Vorschriften für Digitalkonzerne, das sich auch um diese Frage dreht.
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