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25 Jahre Mauerfall Als Kind in der Prager Botschaft

Als Außenminister Genscher 1989 die DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft erlöst, ist auch David Altheide unter ihnen. Für den damals Zehnjährigen ist es ein Abenteuer - mit der Erinnerung an Pfirsich-Maracuja-Joghurt.
08.11.2014 - 12:10 Uhr Kommentieren
Blick auf den Garten auf der Rückseite der Deutschen Botschaft: Im Sommer und Herbst 1989 wurde das Gebäude zum Ziel von tausenden DDR-Flüchtlingen. Quelle: dpa

Blick auf den Garten auf der Rückseite der Deutschen Botschaft: Im Sommer und Herbst 1989 wurde das Gebäude zum Ziel von tausenden DDR-Flüchtlingen.

(Foto: dpa)

Rasdorf Noch heute bekommt David Altheide Gänsehaut, wenn er an den 30. September 1989 in der Prager Botschaft zurückdenkt. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher verkündete den Tausenden wartenden DDR-Flüchtlingen, dass alles gut wird. Vom spärlich beleuchteten Balkon sprach er den berühmten Satz, der in einem Jubelsturm unterging: „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise....“ Für David Altheide, als Kind damals mit seiner Mutter und seiner Halbschwester (8) in der Prager Botschaft, ändert sich nach diesem historischen Tag das Leben grundlegend. Es geht von Osten nach Westen. Doch bis es soweit war, vergingen Tage der Ungewissheit. «Die Erinnerungen daran sind auch 25 Jahre danach noch immer präsent. Die Flucht wirkte auf uns Kinder wie ein großes Abenteuer.»

Zunächst ist aber von Flucht nicht die Rede. Die Familie fährt von Gera in Thüringen mit dem Zug nach Prag. Die Eltern trichtern den Kindern ein: Es geht nur zu Verwandten. „Als Gastgeschenk hatten wir eine Flasche Pfefferminzlikör im Gepäck“, erinnert sich Altheide. Die Fahrt verläuft ängstlich. „Bei der Grenzkontrolle haben Uniformierte dann Leute aus dem Zug gezerrt. Bei uns ging aber alles glatt. Meinen Eltern waren sichtlich erleichtert“, erzählt Altheide. In Prag angekommen weisen Passanten den Weg zur Botschaft. Frauen und Kinder dürfen rein, Altheides Vater muss sich vor der Botschaft allein durchschlagen. „Ich erinnere mich noch an die enorme Hektik, die vor der Botschaft herrschte. Es hieß auch, Stasi-Spitzel hätten sich unters Volk gemischt.“

In der Botschaft angekommen, bekommt Altheides Familie Platz im Matratzenlager im Keller. Und dort merkt er auch erstmals, wie der Westen schmeckt. „Dort stand eine Palette mit Joghurt, Pfirsich-Maracuja, mit Fruchtstücken. So guten Joghurt hatte ich noch nie gegessen. Ich habe es bis zum Abwinken genossen“, erzählt er. Doch er erinnert sich auch an die Enge. „Jeder Winkel des Gebäudes und Gartens wurde ausgenutzt. Die Menschen lagen selbst auf Treppen. Wer zur Toilette musste, musste eine Stunde anstehen.“

Als Denzel Washington die Mauer zertrümmerte
Dragqueens erobern das Fernsehen
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Dragqueen Olivia Jones stand am 9. November 1989 in Berlin auf der Bühne. „Ich habe da in einem Travestie-Kabarett gearbeitet, und da war plötzlich die Mauer auf. Großes Feuerwerk – und wir sind wirklich zur Mauer hingerannt. Und das Gefühl, das da herrschte, diese Partystimmung – das kann man nicht in Worte fassen. Und deshalb bin ich ganz froh, dass ich es erlebt habe. Weil das war echt cool“, erinnert sich die Travestiekünstlerin. „Es gibt nichts besseres als die Freiheit. Und die wurde an dem Tag gefeiert. Deswegen ist das ein Tag, wenn ich an den denke, kriege ich immer noch ein bisschen Gänsehaut.“

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25 Jahre Mauerfall Ingeborg Grässle
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Die Europaabgeordnete Ingeborg Gräßle (CDU) erlebte den Mauerfall in einem Studienseminar im Dominikanerkloster Walberberg bei Köln. „Wir diskutierten im Saal und plötzlich platzte ein Kommilitone herein und rief: „Die Mauer ist offen.“ Wir glaubten es nicht und rannten in den Fernsehraum, und da sahen wir es: Menschen, die über die Grenzübergänge strömten, glückliche Menschen, Umarmungen, Gelächter, Trabis, denen aufs Dach geklopft wurde – und diese unendliche Freude!“, erzählt die 53-Jährige aus Heidenheim. „Als ich am Samstag heimfuhr nach Stuttgart, mit dem Intercity den Rhein entlang – da waren sie auf der Autobahn gen Süden, die hellblauen Trabis und die anderen, unschwer zu erkennenden DDR-Autos. Viele schon mit der Deutschlandfahne. Und im Zug hingen alle am Fenster und winkten.“ Bis heute erinnere sie sich an die große Freude. „Und das überwältigende Gefühl zusammenzugehören.“

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25 Jahre Mauerfall - Heiner Lauterbach
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Schauspieler Heiner Lauterbach lag gerade mit seiner damaligen Frau Katja Flint zu Hause im Bett, als die Mauer fiel. In ihrer Wohnung in München-Schwabing verfolgten sie die Geschehnisse am 9. November am Fernseher. „Wir waren sehr berührt, hatten Tränen in den Augen vor Freude“, erinnert sich der 61-Jährige. Beruflich beschäftigt ihn das Thema bis heute. In dem ZDF-Dreiteiler „Tannbach“, der Anfang 2015 ausgestrahlt wird, spielt Lauterbach einen Gutsbesitzer, der in den Westen geht, während sich seine Tochter für das Bleiben in der DDR entscheidet.

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Tag der Deutschen Einheit 2014
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Stephan Weil hat vom Mauerfall erst mit einem Tag Verspätung erfahren. „Ehrlich gesagt, aus irgendwelchen Gründen habe ich am Abend und in der Nacht des 9. November 1989 zunächst von dem Fall der Mauer überhaupt nichts mitbekommen“, erinnert sich der niedersächsische Ministerpräsident. Erst am nächsten Morgen habe seine Frau ihm unter der Dusche gesagt, sie glaube, die Mauer sei gefallen. „Das Duschen hat dann sofort aufgehört.“ Die Nachricht löste bei Weil „völlige Überraschung und unglaubliche Begeisterung“ aus. Als er kurz darauf einen Trabi aus Magdeburg auf der Straße stehen sah, habe er das darin schlafende Pärchen sofort zum Frühstück eingeladen. „Ich habe einen Zettel hinter den Scheibenwischer geklemmt. Sie kamen dann auch eine Stunde später, und so hatten wir das erste gesamtdeutsche Frühstück.“

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Gunther Emmerlich
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Die Nachricht vom Mauerfall überraschte Sänger und Entertainer Gunther Emmerlich am 9. November 1989 in der Dresdner Semperoper. Dort probte er mit Schauspieler Wolfgang Stumph, Sänger Reinhard May und Jazzkomponist Günther Fischer die vorletzte „Showkolade“-Sendung im DDR-Fernsehen. „Es war ein Glücksmoment, wir haben gelacht und geweint“, erinnert sich der 70-Jährige. Am nächsten Tag konnte die Show vor der Aufzeichnung nur technisch durchgesprochen werden, weil alle in Berlin waren, um den ersten Schritt durch die Mauer zu machen. „Wenn ich die Bilder sehe, bin ich immer noch voller Freude, und wenn dann geweint wird, nur aus Rührung.“ Natürlich seien nichts alle Blütenträume aufgegangen. „Wer das dachte, dachte von vornherein falsch“, sagt Emmerlich. „Wenn ich den Übergang erleben darf von einer Diktatur zur Demokratie, bei aller Luft nach oben, die es auch in dieser Demokratie gibt, dann kann aber nur die Freude überwiegen.“

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Donostia Award - Press conference - 62nd San Sebastian Internatio
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US-Schauspieler Denzel Washington war zwar nicht direkt zum Mauerfall in Berlin, aber ein paar Wochen später. Der Oscar-Preisträger stellte bei der Berlinale 1990 seinen Film „Glory“ vor. „Kurz zuvor war die Mauer gefallen und sie drückten mir einen Presslufthammer in die Hand und ich riss ein Stückchen Mauer ein“, schilderte er vor einiger Zeit seine damaligen Erlebnisse. Noch heute habe er ein Mauerstück zu Hause. Als er zuletzt in Berlin war, sah der 59-Jährige vom Hotelfenster aus die Schülergruppen, die heute über den einstigen Todesstreifen laufen. „Und viele Menschen fahren mit dem Fahrrad durchs Brandenburger Tor. Wenn man die jungen Leute sieht, dann fragt man sich: „Wissen die Bescheid?““ Wer heute 25 sei, habe keinerlei Erinnerung mehr an die Mauer. „Das Leben ist so schnell – mit uns oder ohne uns.“

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FDP-Bundesparteitag
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Höchst emotionale Erinnerungen hat Wolfgang Kubicki an den Fall der Berliner Mauer. „Am 9. November 1989 war ich mit meiner heutigen Frau in Lüneburg, wo ich in einem Fall als Verteidiger zu tun hatte“, sagt der FDP-Vize, der auch als Anwalt arbeitet. „Im Hotel sahen wir dann im Fernsehen, wie der ZDF-Korrespondent die Öffnung des Grenzübergangs verkündete. Mir standen die Tränen in den Augen.“ Seine heutige Frau fragte ihn damals: „Warum weinst du?“ Kubicki antwortete: „Das muss wohl doch etwas Anderes sein als würde die Grenze zwischen Nord- und Südkorea fallen.“ Ihn habe ein Gefühl der Freiheit ergriffen. „Es war klar, jetzt ist der Zaun weg.“ Für ihn sei die DDR weit weg gewesen, nicht mehr Deutschland, eine eigene Nation, erinnert er sich. „Sechs Tage später war ich dann in Rostock, traf den neu gewählten Bezirksvorstand der Liberaldemokratischen Partei.“

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Um Platz zu gewinnen, wurden Kinder quer in die Feldbetten gelegt, wie die damalige Einsatzleiterin des DRK, Waltraud Schröder, berichtet. Für die Kinder sei die Enge besonders schwer gewesen. Schröder: „Diese großen Menschen und dazwischen die kleinen Kinder, die eigentlich gar nicht wussten, was mit ihnen passiert.“ Nirgends sei Platz zum Spielen gewesen, die Eltern hätten teils hilflos gewirkt. „Dann war das Hauptproblem, die Kinder zu beschäftigen“, sagt Schröder. Rotkreuz-Helferinnen machten mit Körbchen voll Spielzeug und Süßigkeiten die Runden.

Am 30. September wird es dann unruhig auf dem Botschaftsgelände. „Alle sind dann raus in den Garten geströmt. Als Genschers bekannter Satz fiel, war es wie bei einem gigantischen Torjubel, die Menschen lagen sich in den Armen“, erinnert sich Altheide. Das Wechselbad der Gefühle geht aber weiter. Angst überkommt die Menschen, als klar ist, dass die Ausreise mit dem Zug durch die DDR führen soll. „Es spielten sich dann noch dramatische Szenen ab. Am Dresdner Hauptbahnhof wollten Leute auf den Zug aufspringen“, berichtet er.

Erleichterung macht sich breit, als der Zug die bundesdeutsche Grenze passiert. „Während der Fahrt klebte meine Nase an der Scheibe. Meine ersten Eindrücke: Im Westen war alles viel bunter.“ Riesenjubel als die Fahrt im bayerischen Hof endet. „Die Leute haben uns Bananen und Schokolade in den Zug gereicht. Die Stimmung war ausgelassen wie in einem Karnevalszug.“ Danach bekommt David Altheide aus einer Kleiderkammer erstmal frische Klamotten. Es geht weiter in ein Auffanglager ins hessische Alsfeld. Am nächsten Morgen macht er dann beim Frühstück Bekanntschaft mit einer unbekannten Frucht. „Wir wurden dann aufgeklärt, wie man eine Kiwi isst - komische Situation.“

Für die Familie führt das Leben im Westen allerdings nicht zum Happy End. Die Eltern trennen sich. Altheide hat mittlerweile selbst zwei Kinder, arbeitet als Großhandelskaufmann in Fulda und wohnt im osthessischen Rasdorf. In einem Ort, an dem früher der Eiserne Vorhang verlief. Die deutsche Teilung und Wiedervereinigung sind für ihn immer noch wichtige Themen. Er arbeitet seit 2007 als Gästeführer an der Grenzgedenkstätte Point Alpha in Rasdorf und Geisa (Thüringen). Er sagt: „Je älter ich werde, desto mehr erinnere ich mich an früher und setze ich mich mit der Vergangenheit auseinander.“

  • dpa
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