Migration Die Kosten der Flüchtlingskrise

Kanzlerin Angela Merkel und ein Flüchtling beim Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin-Spandau 2015.
Düsseldorf „Wir schaffen das“ ist ein eigenständiger Wikipedia-Eintrag. Damit reiht sich der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Sommer 2015 ein in eine Reihe von Sätzen wie „Yes, we can“ des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama und „Ich bin ein Berliner“ von John F. Kennedy. Sätze, die weniger für ihren Inhalt, als für eine historische Wende stehen.
Der Satz gilt als Beginn der Flüchtlingskrise, als Millionen von Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien nach Europa und insbesondere nach Deutschland fliehen. Bilder von überfüllten Flüchtlingsunterkünften und Chaos bei Asylämtern vermittelten zeitweise den Eindruck, dass die Lage außer Kontrolle geraten sei.
Doch welche Staaten sind eigentlich betroffen und welche Kosten sind durch die Flüchtlingskrise entstanden? Wie viele Menschen sind seit 2015 wirklich nach Deutschland gekommen? Wie steht es um ihre Integration? Die wichtigsten Zahlen und Fakten im Überblick.
Welche Staaten sind am meisten von der Flüchtlingskrise betroffen?
Die Flüchtlingskrise hat vor allem Ängste hervorgerufen. Die größte Angst der Deutschen ist, dass gesellschaftliche Strukturen wie Sozialstaat, Schulen und Ämter unter den Anforderungen zusammenbrechen. Über die Hälfte der Teilnehmer gab bei einer Umfrage des Instituts für politische Wissenschaft im Auftrag der R+V-Versicherung für den „Angstindex“ an, dass sie Konflikte und Spannungen fürchten.
Dabei herrscht die Wahrnehmung vor, dass die meisten geflüchteten Menschen nach Europa gekommen sind. Die Zahlen des Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) zeigen aber, dass das nicht stimmt. Nur etwa jeder zehnte der weltweit Geflüchteten hält sich in Europa auf. Die Flucht aus den Kriegsregionen rund um Syrien belastet am meisten umliegenden Staaten wie die Türkei, Pakistan und den Libanon.
So ist beispielsweise im Libanon jeder sechste Einwohner ein syrischer Flüchtling. Um ein solches Verhältnis zu erreichen, müsste Deutschland etwa 14 Millionen Menschen aufnehmen, rechnet der UNHCR vor.
Unter den Aufnahmeländern belegt Deutschland den fünften Platz. Innerhalb der EU hat das Land mit 1,5 Millionen Flüchtlingen seit 2015 die meisten Menschen aufgenommen. An zweiter Stelle kommt Frankreich mit mehr als 450.000 aufgenommen Flüchtlingen, gefolgt von Italien, wo knapp 300.000 Menschen Zuflucht gefunden haben.
Im Dezember 2018 waren laut UNHCR 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Es ist die höchste Zahl, die die UN-Organisation jemals verzeichnet hat.
Wie viele Menschen sind seit 2015 nach Deutschland gekommen?
Laut Angaben des Statistischen Bundesamts sind seit 2012, also vor der Flüchtlingskrise, jährlich etwa 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Das ist die normale Wanderung in einem so großen Industriestaat wie Deutschland.
Zu Zeiten der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 ist ein deutlicher Anstieg zu erkennen. In diesem Jahr reisten 2,1 Millionen Menschen nach Deutschland ein. Danach hat sich die Anzahl der Einwanderer wieder normalisiert. 2018 zählt die Bundesrepublik 1,5 Millionen Einwanderer.
Zieht man die Zahlen der Abwanderung davon ab, wird deutlich, wie hoch die Zuwanderung eigentlich ist. Das ist das sogenannte Wanderungssaldo. Innerhalb der vergangenen vier Jahre sind 2.455.106 Millionen Menschen mehr nach Deutschland gekommen als ausgewandert. Davon sind laut Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) 1,5 Millionen Geflüchtete aus Kriegs- und Krisengebieten.
Jahr | Zuwanderer | Abwanderer | Wanderungssaldo |
2018 | 1.585.112 | 1.185.432 | 399.680 |
2017 | 1.550.721 | 1.134.641 | 416.080 |
2016 | 1.865.122 | 1.365.178 | 499.944 |
2015 | 2.126.954 | 997.552 | 1.139.402 |
2014 | 1.464.274 | 914.241 | 550.483 |
Die hohe Zuwanderung betraf die ganze EU. Für einen Vergleich innerhalb Europas ist es am einfachsten, die Rate des Wanderungssaldos heranzuziehen. Diese zeigt an, wie viele Ein- oder Auswanderer es pro 1000 Einwohner gibt.
Die aktuellsten Daten von Eurostat sind von 2017. Demnach liegen Malta mit 31 Einwanderern, Island mit 24 und Luxemburg mit 16 Einwanderern auf 1000 Einwohner auf den ersten drei Plätzen. Deutschland belegte 2017 mit knapp 6 Einwanderern pro 1000 Einwohnern den sechsten Platz.
Welche Kosten sind durch die Flüchtlingskrise entstanden?
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat 2018 versucht, die verschiedenen Kosten der Flüchtlingskrise zu erfassen. Eine genauere Erfassung gibt es bisher nicht. Das bestätigt auch Wido Geis-Thöne, Ökonom für die Themen Migration und Familienpolitik am Institut der deutschen Wirtschaft.
Denn zum einen habe sich die Aufnahme von Geflüchteten auf viele Bereiche ausgewirkt, wie etwa Wohnungsmarkt, Verwaltung und Schulen, die völlig unterschiedlich abgerechnet werden. Zum anderen wurde sie zum Teil auch von privaten Spenden und Organisationen finanziert und ist schwer nachvollziehbar.
Eine Annäherung auf die Frage, wie viel die Flüchtlingskrise gekostet hat, gibt es in Berichten des Bundes für die Jahre 2017 und 2018 mit dem sperrigen Namen „Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen des Bundes zur Unterstützung von Ländern und Kommunen im Bereich der Flüchtlings- und Integrationskosten und die Mittelverwendung durch die Länder im Jahr 2018“.
Demnach hat der Bund 2018 die Kommunen mit 7,5 Milliarden Euro für die Kosten der Flüchtlings- und Integrationsarbeit unterstützt. Darüber hinaus kamen Ausgaben in Höhe von 15,5 Milliarden Euro hinzu, an denen sich die Länder nicht beteiligten. Dazu zählen Ausgaben für Grenzkontrollen und Justiz. Davon entfielen laut dem Bericht 7,9 Milliarden Euro auf die Bekämpfung der Fluchtursachen. Insgesamt ergibt das eine Summe von 23 Milliarden Euro für das Jahr 2018.
Ein Jahr zuvor lag die Summe noch bei 20,8 Milliarden Euro. Da hatte der Bund Länder und Kommunen mit 6,6 Milliarden Euro unterstützt. Darüber hinaus hat der Bund im Jahr 2017 weitere Ausgaben in Höhe von 14,2 Milliarden Euro finanziert. Davon waren 6,8 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Fluchtursachen.
Einen weiteren Ansatz bietet eine Studie des BAMF. Demzufolge war ab 2015 der „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“ in Höhe von sieben Milliarden Euro ein zentraler Schritt. Aus diesem Topf konnten sich seit 2015 finanzschwache Länder und Kommunen bedienen, die in ihre Infrastruktur oder Schulen investieren wollten und wenig eigene Mittel hatten.
Die meisten Flüchtlinge reisten zwischen Juni 2015 bis März 2016 ein, die Regierung musste schnell reagieren. Speziell für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden, stellte der Bund für die Jahre 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro bereit. 2017 wurde die Hilfe auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt.
Hinzu kamen erhöhte Personalkosten in den Verwaltungen, Ausgaben für Mieten und Pachten, Zuschüsse zu Programmen für Sprachschulen und Investitionen, wie eine Steuerbegünstigung für Spenden im Rahmen der Flüchtlingshilfe.
Das spiegelt sich in den Haushaltsmitteln des BAMF von 2014 bis 2017 wider. Lag der Haushalt 2014 noch bei 1,6 Millionen, stiegen die Gesamtausgaben 2015 um knapp eine Million auf 2,5 Millionen. 2016 waren es bereits 6,5 Millionen und 2017 7,8 Millionen Euro.
Wie steht es um die Integration der Flüchtlinge?
Ein entscheidender Faktor für die Integration ist, wie schnell Asylbewerber in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit von Juli 2019 liegt die Beschäftigungsquote bei Geflüchteten bei 28,3 Prozent und ist im Vergleich zum Vorjahr um 5,7 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Die Beschäftigungsquote bei Deutschen liegt bei 62,2 Prozent, bei EU-Ausländern bei 56 Prozent.
Laut Bericht der Agentur für Arbeit ist ein Grund für die niedrige Quote der erwerbstätigen Flüchtlinge, dass sich viele in Integrationskursen oder in Ausbildungen befinden. Sie werden in der Statistik nicht erfasst. Außerdem müssen sich Asylbewerber erst den „Flüchtlingsschutz“ anerkennen lassen, bevor sie einen Job antreten können. Diese bürokratischen Abläufe können mehrere Monate dauern. Viele Flüchtlinge sind währenddessen dazu gezwungen nicht zu arbeiten, heißt es in einem Bericht des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.
Auf der einen Seite entgeht der deutschen Wirtschaft Arbeitskraft, während das auf der anderen Seite bei den Einwanderern für Frust sorgt, heißt es weiter. Dabei werde deutlich, dass trotz aller Anstrengungen der Regierung der sozialstaatliche Arbeitsmarkt auf die Verhältnisse der heimischen Bevölkerung ausgerichtet ist.
Einen essentiellen Faktor für die gelungene Integration spielt aber auch die Sprache. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass sich die Sprachkenntnisse seit 2015 deutlich verbessert haben. Demnach haben bei einer Befragung im Jahr 2017 mehr als ein Drittel (39 Prozent) der Befragten angegeben, gute oder sehr gute Deutschkenntnisse zu haben. Dabei schnitten die Männer mit 44 Prozent besser ab als die Frauen, von denen nur 26 Prozent angaben, gut Deutsch zu sprechen. Bei der Ankunft konnten 90 Prozent gar kein Deutsch.
Die Studienautoren fassen zusammen: Obwohl sich die Sprachkenntnisse der Flüchtlinge deutlich verbessert haben und mehr an den Kursen teilnehmen, „zeigt die Erhebung auch, dass noch ein erheblicher Bedarf in der Sprachförderung insgesamt und für spezifische Gruppen, insbesondere für Frauen mit Kindern, besteht.“ Ein zentraler Punkt der Integration sei, die Sprachkurse weiter auszubauen und auch Kurse anzubieten, die spezielle Vokabeln für den Arbeitsmarkt vermitteln.
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