Münchner Sicherheitskonferenz Abschwung des Westens: Das Rückgrat der Weltordnung löst sich auf

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz warnt davor, sich in Einzelkrisen zu verzetteln.
Berlin Immerhin: Einen knackigen englischen Begriff haben die Veranstalter der Münchner Sicherheitskonferenz für ihre alljährliche Großtagung gefunden. „Westlessness“ hat ihr Leiter Wolfgang Ischinger den diesjährigen „Münchner Sicherheitsreport“ (MSR) überschreiben lassen. Die deutsche Übersetzung ist weniger griffig: „West-Losigkeit“. Das lässt das Publikum wohl eher ratlos zurück.
Genau diese Ratlosigkeit allerdings dürfte das wichtigste Treffen internationaler Außen- und Verteidigungspolitiker vom kommenden Freitag bis Sonntag in München prägen. „Wir dürfen uns nicht mit 27 Einzelkrisen verzetteln, sondern müssen auch die grundsätzlichen Fragen nach Weltordnung, nach regionaler Ordnung oder Unordnung, nach der Zukunft des Westens stellen“, appellierte Ischinger am Montag bei der Vorstellung des Berichts in Berlin an die Teilnehmer.
Der Westen, so wie er das Rückgrat der Weltordnung war, ist laut Ischinger unter Druck geraten. Der MSR-Bericht sieht ihn gar, wohl zutreffend, in Auflösung. Die USA und die Länder Europas ziehen spätestens seit Donald Trump US-Präsident geworden ist, nicht mehr an einem Strang.
Und auch die Europäer untereinander sind sich längst nicht mehr so einig, wie es sich Helmut Kohl und Francois Mitterand nach dem Ende des Kalten Krieges erhofften. Rechtspopulistische Regierungen in Ungarn und Polen stehen eindeutig nicht für das Konzept der weltoffenen liberalen Demokratien.
Den Autoren des MSR ist klar, dass die Auflösung des transatlantischen Zusammenhalts – die „Westlessness“ – längst in allen Facetten analysiert worden ist: Wirtschaftlich dominieren USA und Europa die Welt schon lange nicht mehr – Chinas und Asiens Aufstieg haben die Gewichte längst verschoben. Eine weltweite Umfrage des Pew Research Centers im Münchner Report zeigt dies deutlich.
Europa verliert weiter an Bedeutung
Als unangefochten führende Weltwirtschaftsmacht werden die USA demnach lediglich von den Bürgern in Südkorea, Japan und den USA gesehen. In europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien wird inzwischen eher China als die dominante Wirtschaftsmacht wahrgenommen. Ebenso sehen es die Befragten in Mexiko, Brasilien und der Türkei. Auch in Kenia und Südafrika verlieren die USA an Bedeutung, und China gewinnt hinzu.
Allerdings: Die USA und China werden überall von je 30 bis 50 Prozent als wichtigste Wirtschaftsnationen genannt. Die EU muss sich damit begnügen, von maximal 13 Prozent als bedeutendste Wirtschaftsmacht gesehen zu werden. Nur in Deutschland erreicht die EU 14 Prozent – was allerdings ebenfalls ein deutlicher Rückgang ist: Vor zehn Jahren kam das Staatenbündnis noch auf 36 Prozent. In deutscher Wahrnehmung dominiert China die Weltwirtschaft: 53 Prozent der hierzulande Befragten meinen das; die USA kommen auf 24 Prozent.
Wirtschaftskraft und die Macht, Sicherheitsinteressen durchzusetzen, hängen aus Sicht der Münchner eng zusammen. Weil die USA sich – auch schon unter der Regierung von Barack Obama – auf dem Rückzug aus ihrer Rolle als Weltpolizist befinden, müssten die Europäer die Lücke füllen.
Jedenfalls wenn die Welt weiterhin geprägt werden soll von den westlichen Werten Demokratie, Marktwirtschaft und persönliche Freiheit. Die Europäer allerdings schaffen es seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 nicht, sich auch als militärisch schlagkräftiger Block neu aufzustellen.
„Ich bin tief aufgewühlt über das Versagen der europäischen Gemeinschaft. Dass die EU mit ihren fast 500 Millionen Einwohnern in vielen Krisen nicht die Handlungsfähigkeit zeigen kann, die sie zeigen müsste, ist zutiefst beschämend. Wieso sind wir eigentlich so total unfähig, irgendeinen Beitrag zu leisten, den Krieg in Syrien zu beenden?“, sagte Ischinger.
„Es herrscht kein Mangel an Analyse“, seufzte denn auch im Vorfeld der Konferenz ein Mitarbeiter aus dem Vorbereitungsteam. Die Münchner würden daher alles daran setzen, die Europäer während der Konferenz zu Handlungszielen zu bewegen. Die Hoffnung gründet darauf, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erstmals teilnehmen wird.
Macron lädt zur Zusammenarbeit ein
Als Hoffnungsschimmer gilt auch, dass in Deutschland Macrons verteidigungspolitische Rede vom vergangenen Freitag in Deutschland Zustimmung von Außenminister Heiko Maas (SPD) und dem CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul fand.
Macron will über eine gemeinsame Nuklearstrategie reden: Einerseits will er die nukleare Abschreckung für Europa stärken. Die französischen Nuklearstreitkräfte, bisher nicht einmal mit der Nato koordiniert, sollen künftig auch dem Schutz Europas dienen. Gleichzeitig will Macron eine Initiative für nukleare Abrüstung starten – abgestimmt mit den Europäern und mit der Nato.
Seine Aussage, die Nato sei „hirntot“, die in Berlin auf Entsetzen gestoßen war, wiederholte er nicht mehr. Allerdings: Alle Fragen, wie er seine Ziele umsetzen will, ließ Macron offen.
Der Münchner Bericht enthält auch einmal mehr die Analyse des britischen Thinktanks IISS, nach der Europa aktuell nicht einmal in der Lage wäre, ohne die USA einen Angriff Russlands auf das Baltikum zurückzudrängen. Auch für die Krisenherde und Kriege an den EU-Außengrenzen, dem Nahen Osten und Nordafrika, bieten die Europäer keine wirksamen Lösungen. „Mir wird schlecht, wenn ich auf die Zustände in Syrien, im Irak in Libyen schaue“, sagte Ischinger.
Ohne die USA, das zeigt auch dieser Bericht der Münchner einmal mehr, ist die Verteidigung Europas aktuell nicht möglich.
Besonders wichtig ist Ischinger daher, dass trotz Trumps chaotischer Außenpolitik die USA in München wieder stark vertreten sein werden. Außenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister Mark Esper haben sich angesagt, ebenso Trumps härteste Widersacherin, die Demokratin Nancy Pelosi. „Trotz der Spannungen zwischen der Bundesregierung und der US-Regierung macht die Trump-Administration das Richtige: Sie kommt in Scharen, weil sie weiß, dass es eine wichtige Veranstaltung ist.“
Zu erwarten ist wohl, dass auch in diesem Jahr eher jede der 27 Einzelkrisen besprochen wird, als die großen Linien und Lösungen für „Westlessness“. Erstmals hatte Ischinger sogar die Nordkoreanische Regierung eingeladen. Zunächst hatte der stellvertretende Außenminister zugesagt, am Montag doch wieder abgesagt.
Als Treffpunkt der Weltenlenker funktioniert die Sicherheitskonferenz jedenfalls trotzdem: 18 Staatschefs, 12 Regierungschefs und 70 Außen- und Verteidigungsminister haben sich angemeldet. Aus China wird Außenminister Wang Yi erwartet.
Aus Deutschland sollen laut Plan Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nach München reisen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll laut Plan dieses Jahr nicht kommen, weil sie nur alle zwei Jahre teilnimmt.
Mehr: Macron bietet Europa die Teilnahme an Übungen der Nuklearstreitkräfte an.
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Europa hatte nach WK2 nie Dominanz. Und es gut, dass die USA dabei sind, ihre Dominanz
zu verlieren. Die Rolle der Weltpolizei darf nur bei der UNO liegen - dazu muss das
Vetorecht abgeschafft werden und sie muss ueber eine Ordnungsmacht verfuegen. Das
werden die USA nie zulassen, und deshalb muss eine neue UNO ohne die USA gegruendet
werden.