Nach Astra-Zeneca Einschränkungen Wie geht es in Deutschland weiter mit dem Impfen?

Es ist unklar, wie sich die neuen Einschränkungen für Astra-Zeneca auf die Impfkampagne auswirken werden.
Berlin, Düsseldorf Nach der Empfehlung, den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astra-Zeneca nur noch für über 60-Jährige zu verwenden, ist nicht absehbar, wie sehr die Impfkampagne dadurch zurückgeworfen wird. Mehrere Bundesländer wollen noch keinen Gebrauch von der Neuregelung machen, dass alle über 60-Jährigen jetzt mit dem Vakzin geimpft werden können.
Gesundheitsexperten wie der SPD-Politiker Karl Lauterbach warnen zudem, dass Risiken nicht nur bei dem Präparat von Astra-Zeneca, sondern auch bei anderen sogenannten Vektorimpfstoffen auftreten könnten.
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten am Dienstag entschieden, den Astra-Zeneca-Impfstoff uneingeschränkt nur noch bei über 60-Jährigen einzusetzen, und waren damit einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gefolgt. Grund sind Sinusvenenthrombosen, die nach Impfungen mit dem Vakzin aufgetreten sind.
Dabei handelt es sich um eine sehr seltene Form von Blutgerinnseln in Hirnvenen. Dem zuständigen Paul-Ehrlich-Institut waren bis Montagmittag 31 Verdachtsfälle gemeldet worden, neun davon mit tödlichem Ausgang.
Die Gesundheitsministerkonferenz hatte am Dienstag den Astra-Zeneca-Impfstoff für die Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen freigegeben, obwohl sie nach der ursprünglichen Impfpriorisierung noch nicht an der Reihe wäre. Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt erklärten allerdings am Mittwoch, diesen Weg noch nicht einschlagen zu wollen, weil noch viele Menschen über 70 Jahren auf eine Impfung warteten. Dagegen will Nordrhein-Westfalen eine für Samstag erwartete Lieferung von 380.000 Impfdosen auch über 60-Jährigen anbieten.
Astra-Zeneca betonte, die Zulassungsbehörden in Großbritannien, der EU und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Impfstoffs in allen Altersgruppen der Erwachsenen die Risiken deutlich überwiege. Man akzeptiere die Entscheidung, die die Stiko für Deutschland getroffen habe, sehe aber keine Auswirkungen auf geplante Lieferungen.
Insgesamt will Astra-Zeneca bis Ostern rund 5,6 Millionen Impfdosen nach Deutschland liefern, bis Mitte April sollen weitere knapp 750.000 hinzukommen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind bisher in Deutschland bis einschließlich Dienstag dieser Woche gut 2,8 Millionen Astra-Zeneca-Impfdosen verabreicht worden, davon etwa 2000 Zweitimpfungen. Die Stiko will bis Ende April entscheiden, wie mit unter 60-jährigen Geimpften verfahren werden soll, die ihre Erstimpfung mit Astra-Zeneca erhalten haben.
„Flapsiger Satz“ von Söder
Fraglich ist aber, ob die Bereitschaft, sich damit impfen zu lassen, nun generell abnimmt. Der Chef des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) scharf. Der hatte betont, dass auch von den unter 60-Jährigen sich jeder weiter mit Astra-Zeneca impfen lassen könne, der sich traue. Denn Jüngeren steht nach einer Risikoanalyse und einem Aufklärungsgespräch mit dem impfenden Arzt frei, sich das Vakzin verabreichen zu lassen.
Aber mit seinem „flapsigen Satz“ habe Söder Vertrauen zerstört, sagte Montgomery im Videocast „19 – die DUB Chefvisite“. Angesichts des „Informationschaos“ rund um Astra-Zeneca sei dieser Impfstoff „nicht wissenschaftlich, aber aus Kommunikationssicht verbrannt“. Dabei bilde er mit einem Anteil von einem Viertel „das Rückgrat der deutschen Impfkampagne“.
Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, hält es für falsch, die Entscheidung, ob Astra-Zeneca bei Jüngeren zum Einsatz kommen soll, den Hausärzten und Impfinteressierten selbst zu überlassen. „Das sorgt nur für Verunsicherung, und die brauchen wir in der aktuell ja sowieso schon angespannten Situation ganz sicher nicht“, sagte er dem Handelsblatt.
Bislang ist geplant, dass die Hausärzte den Impfstoff von Astra-Zeneca erst Ende April verimpfen sollen. Bis dahin erhalten sie lediglich das Mittel von Biontech. Weigeldt macht sich aber dafür stark, Arztpraxen jetzt möglichst rasch mit allen zugelassenen Impfstoffen zu beliefern – und zwar auch über die vorgesehenen 20 Dosen pro Woche und Praxis hinaus.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Union im Bundestag, Karin Maag (CDU), warnte angesichts der Debatte vor Verzögerungen bei der Impfkampagne in Schulen und Kitas: „Mit Blick auf die dritte Welle und die hochansteckende britische Variante können wir uns es nicht leisten, in diesem Bereich mit dem Impfen nachzulassen“, sagte sie dem Handelsblatt. Deshalb sei es wichtig, für Lehrer und Erzieher nun den Impfstoff von Biontech, Moderna oder demnächst Johnson & Johnson zu verwenden.
Wissenschaftlich ist bisher nicht erwiesen, dass die aufgetretenen Fälle von Sinusvenenthrombosen wirklich auf eine Impfung zurückzuführen sind. Untersuchungen der Arzneimittelbehörden in Großbritannien (MRHA) und der EU (Ema) konnten bisher keinen kausalen Zusammenhang feststellen. Die Ema kam jedoch zu dem Schluss, dass dieser auch nicht ausgeschlossen werden könne und weitere Untersuchungen erforderlich seien.
Noch viele Fragen offen
In 19 der in Deutschland bekannt gewordenen Fälle wurde zusätzlich eine Thrombozytopenie gemeldet, also ein Mangel an Blutplättchen. Forscher vermuten, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende Antikörper, die an die Blutplättchen andocken und diese aktivieren, laufen könnte.
Wissenschaftler der Universität Greifswald hatten diesen Zusammenhang bereits vor knapp zwei Wochen entdeckt und beschrieben. Allerdings müssen ihre Ergebnisse noch unabhängig überprüft werden. Viele Fragen sind noch zu klären: etwa ob die Antikörper schon vor der Impfung da waren oder erst durch die Immunisierung gebildet wurden. Oder welche Substanz oder Reaktion für die Bildung der speziellen Antikörper verantwortlich ist.
Das Vakzin von Astra-Zeneca ist ein Vektorimpfstoff. Bei diesem wird ein sogenanntes Adenovirus, in diesem Fall ein Erkältungsvirus von Schimpansen, als Transportvehikel eingesetzt, um die genetische Information des sogenannten Spikeproteins in den menschlichen Körper zu transportieren, damit der eine Immunreaktion entwickelt. Auch der Vektor selbst oder das Spikeprotein könnten als Auslöser der Nebenwirkungen infrage kommen.
„Wenn das Antigen, gegen welches die unheilbringenden Antikörper gebildet werden, eine direkte Folge der Immunreaktion ist, könnte dies sehr viele Impfstoffe betreffen“, warnt Alice Assinger, Professorin im Vienna Platelet Laboratory und wissenschaftliche Leiterin am Institut für Gefäßbiologie und Thromboseforschung der Medizinischen Universität Wien. Spielt wiederum der Vektor eine Rolle bei der Antikörperproduktion, müsste untersucht werden, ob diese Reaktion auch durch andere Vektoren ausgelöst werde.
Neben Astra-Zeneca gehören auch noch der ebenfalls bereits in Europa zugelassene Impfstoff des US-Herstellers Johnson & Johnson sowie das russische Vakzin Sputnik V zur Gruppe der Vektorimpfstoffe. Allerdings benutzen diese beiden Impfstoffe nicht tierische, sondern menschliche Adenoviren als Transportvehikel. Laut Johannes Oldenburg, Chef der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung, gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die Komplikation gehäuft bei einem der anderen zugelassenen Impfstoffe auftritt.
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