Nach der Flutkatastrophe „Lücken im Alarmierungsverhalten“: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Landrat von Ahrweiler

Der Landrat von Ahrweiler gerät in den Fokus der Ermittler.
Düsseldorf Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Landrat des von der Flutkatastrophe besonders betroffenen Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), eingeleitet. Es gehe um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen am Abend des Hochwassers vom 14. Juli, teilte die Behörde mit.
Der Anfangsverdacht richte sich gegen den Landrat, weil dieser laut Gesetzeslage „möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte“. Das Verfahren richte sich zudem gegen ein weiteres Mitglied des Krisenstabs, das nach den derzeitigen Erkenntnissen die Einsatzleitung „zumindest zeitweise übernommen hatte“, erklärte die Staatsanwaltschaft weiter.
„Im Laufe der letzten Woche verdichteten sich Hinweise darüber, dass es im Alarmierungsverhalten durch den Krisenstab der Kreisverwaltung Ahrweiler Lücken gibt, die der Landkreis öffentlich nicht begründet hat,“ erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse am Freitag auf einer Pressekonferenz in Koblenz.
Die Befunde hätten diese Lücken bestätigt und ein wenig widersprüchliches Bild zugelassen. Etwa 60 bis 70 Hinweise der Bevölkerung seien bei der Überprüfung berücksichtigt worden, so der Anwalt.
„Bereits heute konnten Durchsuchungsbeschlüsse vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz vollsteckt werden,“ sagte Kruse. Durchsucht worden sei der Krisenstab des Landkreises Ahrweiler, die Unterlagen und Kommunikationsmittel vom 14. und 15. Juli wurden beschlagnahmt.
Fraglich sei vor allem, warum eine deutliche Warnung vor den Gefahren, die sich bereits abzeichneten, erst um 23:09 Uhr verfügt wurde. „Noch fehlen uns viele, viele Informationen,“ berichtet der Staatsanwalt. „Wir sehen bereits jetzt zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Warnungen verspätet und möglicherweise unzureichend waren.“
Landrat Jürgen Pföhler sehe bei sich allerdings keine strafrechtliche Verantwortung für mögliche Einsatzfehler. Er habe die gesamte Einsatzleitung seit vielen Jahren an eine andere Person delegiert - zum Zeitpunkt der Katastrophe habe er sich nicht einmal in der Kreisverwaltung aufgehalten. Anfragen des Handelsblatts ließ der Landkreis Ahrweiler bislang unbeantwortet.
Extremer Starkregen hatte am 14. und 15. Juli an der Ahr im Norden von Rheinland-Pfalz eine Flutwelle ausgelöst und weite Teile des Tals unter Wasser gesetzt. Rund 42.000 Menschen sind von den Folgen des Hochwassers betroffen. Die Zahl der Todesopfer in Ahrtal liegt mittlerweile bei 141, noch immer werden 17 Menschen vermisst.
Bereits am Vormittag, um 11:17 Uhr, hatte die zuständige Hochwasservorhersagezentrale die zweithöchste Warnstufe für die Ahrregion herausgegeben, um 17:17 Uhr die höchste. Das teilte das Landesamt für Umwelt dem Handelsblatt auf Nachfrage mit.
Umweltamt informierte Landkreis alle drei Stunden
Zusätzlich seien die Prognosen „im 3-Stunden-Turnus“ an die Kreisverwaltung in Ahrweiler geschickt worden - um 15:26 Uhr, 18:26 Uhr und schließlich um 21:26 Uhr. Auch veröffentlichte das Amt alle 15 Minuten die aktuellen Pegelstände. Erst nach 23 Uhr wurde der Katastrophenfall ausgerufen und weitreichend evakuiert.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz teilte weiter mit, es bestehe der Anfangsverdacht, dass ein entsprechendes Unterlassen jedenfalls für einen Teil der Todesfälle und der entstandenen Personenverletzungen „(mit)ursächlich“ geworden sei. Eine Auswertung von Todesermittlungsverfahren zu Flutopfern habe ergeben, dass sich die Todesfälle überwiegend flussabwärts von Ahrbrück aus mit einem großen Schwerpunkt in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ereignet hätten.
Noch vor Kurzem hatte der CDU-Politiker die Anschuldigungen gegen ihn zurückgewiesen und scharf verurteilt. „Völlig deplatziert“ und „geschmacklos“ hatte Pföhler die Anschuldigungen genannt und dafür plädiert, die Ereignisse im Nachhinein sorgfältig aufzuarbeiten. Dem „Bonner Generalanzeiger“ sagte der Landrat am Montag: „ Zurzeit kann niemand im Bund, im Land oder im Kreis seriös die Fragen nach Verantwortlichkeit beantworten.“
Der Kieler Krisenexperte Frank Roselieb, der Kommunen und Verbände im Katastrophenmanagement berät, wirft Pföhler vor, wertvolle Zeit verschenkt zu haben, in der Menschen in Sicherheit hätten gebracht werden können. „Am Anfang lief es eigentlich gut“, sagte Roselieb im Gespräch mit dem „Spiegel“. Dann müsse „etwas passiert sein, das das Krisenmanagement aus der Bahn geworfen hat“. Roselieb fordert, der Landrat müsse endlich erklären, „auf welcher Grundlage welche Entscheidungen in der Flutnacht getroffen wurden“.
Vor der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens hatte die Staatsanwaltschaft eine Mail-Adresse für die Sammlung von Hinweisen zur Flutkatastrophe an der Ahr eingerichtet. Im Kern geht es unter anderem darum, ob Warnungen zu spät erfolgt sind.
Landrat Pföhler hatte eigentlich für Freitagvormittag um elf Uhr zu einem Pressetermin zur aktuellen Situation eingeladen. Dieser Termin wurde kurzfristig abgesagt.
In Nordrhein-Westfalen hat auch die Staatsanwaltschaft in Köln ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet. Dabei geht es um den Verdacht der Baugefährdung, parallel werde jedoch auch die Aufnahme von Ermittlungen wegen möglicher Versäumnisse von Verantwortlichen während und vor der Katastrophe geprüft.
Neben den Staatsanwaltschaften Koblenz und Köln prüfen auch die Staatsanwaltschaften in Bonn und Aachen, ob sie Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen einleiten. Das teilten Sprecher der Behörden auf Anfrage des Handelsblatts mit. Bis zu ersten Ergebnissen könnten allerdings noch mehrere Wochen vergehen.
Fluthilfefonds von mindestens zehn Milliarden Euro
Unterdessen berichtet der „Spiegel“, der geplante Fluthilfefonds des Bundesfinanzministeriums werde ein Volumen von „mindestens zehn Milliarden Euro“ haben. Allein die Schäden in Rheinland-Pflanz würden die bundesweiten Schäden des Hochwassers von 2013 übertreffen, wie die Landesregierung dem Bundesfinanzministerium mitgeteilt habe. Seinerzeit war der Fluthilfefonds mit acht Milliarden Euro ausgestattet worden, von denen rund sechs Milliarden Euro abgerufen wurden.
Dem „Spiegel“ zufolge werden allein die Schäden an der Infrastruktur des Bundes bei Bahn, Autobahnen und Bundesstraßen auf mindestens zwei Milliarden Euro veranschlagt. Dies solle ebenfalls aus dem Fonds bezahlt werden, aber vollständig zulasten des Bundes gehen.Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte bereits angekündigt, es würden voraussichtlich weit mehr als sechs Milliarden Euro benötigt. Eine Bund-Länder-Runde soll am 10. August die Details der Hilfen beschließen.
Mit Agenturmaterial
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Es ist sehr zynisch nun einen Schuldigen zu suchen für diese Tragödie. Niemand hat sich dieses Ausmass vorher vorstellen können und auch nicht die Schnelligkeit mit der das Wasser kam. Die Menschen brauchen jetzt schnell Finanzhilfen und kein endloses Rechtspalaver. Wetter kann nie exakt vorhergesagt werden. Aber das ist wieder einmal typisch Deutsch, einer muss ja immer Schuld haben.