Nachfolge von Walter-Borjans Neuer SPD-Chef: Alles läuft auf Lars Klingbeil hinaus

Es zeichnet sich ab, dass der SPD-Generalsekretär in Kürze seine Kandidatur für den Parteivorsitz erklärt.
Berlin In der SPD dreht sich das Personalkarussell. Die Partei ist nicht nur auf der Suche nach Bundesministerinnen, sie braucht nach dem Rückzug von Norbert Walter-Borjans auch einen neuen Co-Parteichef.
Während die Besetzung der Ministerien noch unklar ist beziehungsweise ein Staatsgeheimnis daraus gemacht wird, zeichnet sich für die Parteispitze bereits eine Lösung ab: In der SPD wird fest damit gerechnet, dass Generalsekretär Lars Klingbeil in Kürze seine Kandidatur für den Parteivorsitz erklärt.
„Er ist der logische Kandidat“, sagte ein Spitzengenosse dem Handelsblatt. „Jeder andere als Lars Klingbeil als Parteichef würde mich überraschen“, ein anderer. Offiziell heißt es aus der Partei, eine Entscheidung sei nicht gefallen. Die Wahl der neuen Parteiführung steht auf dem Parteitag im Dezember an. Walter-Borjans hatte vergangenen Freitag erklärt, nicht wieder als Parteichef antreten zu wollen.
Klingbeil selbst zeigt sich offen, den Parteivorsitz zu übernehmen. „Es ehrt mich sehr, dass mein Name für die Aufgabe des SPD-Vorsitzenden genannt wird“, sagte Klingbeil dem Redaktions-Netzwerk Deutschland. „Der Vorsitz ist ein sehr wichtiges, traditionsträchtiges und reizvolles Amt, in dem man viel bewegen kann“, sagte der SPD-Politiker auf die Frage, ob es für ihn attraktiver wäre, Parteichef zu werden oder ein Ministeramt zu übernehmen.
Als noch völlig offen gilt, welche Frau an der Seite von Klingbeil die SPD führen könnte. 2019 hatte die Partei erstmals eine Doppelspitze installiert. Derzeit ist neben Walter-Borjans Saskia Esken Parteichefin, beide waren 2019 als Team angetreten.
Auch Klingbeil möchte grundsätzlich an der Doppelspitze festhalten: „Die Doppelspitze hat sich bewährt. Als wir sie als Möglichkeit eingeführt haben, stand die SPD ganz anders da als heute. Zwei Vorsitzende, die im Team arbeiten, tun der SPD gut.“
Esken könnte Parteichefin bleiben, ihr werden aber auch Ambitionen auf ein Ministeramt nachgesagt. Sollte Esken tatsächlich ins Bundeskabinett wechseln, müssten sie den Parteivorsitz wohl aufgeben. So hatte sich Fraktionschef Rolf Mützenich vor einigen Tagen dafür ausgesprochen, Parteivorsitz und Ministeramt weiterhin voneinander zu trennen.
Eine Meinung, die in der SPD von vielen geteilt wird, etwa von der Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe: „Ich halte es für zielführend, wenn die Parteiführung von der Regierung getrennt ist und mit etwas Distanz darauf achten kann, dass sozialdemokratische Politik gemacht wird.“
Der linke Parteiflügel würde an Einfluss verlieren
Bei einem Wechsel von Esken ins Kabinett gilt die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, als mögliche Nachfolgerin. Sollte Schwesig tatsächlich Interesse haben, wäre ihr der Parteivorsitz kaum streitig zu machen. Schwesig hatte bei der Landtagswahl Ende September mit 40 Prozent einen fulminanten Wahlsieg eingefahren.
Mit Schwesig und Klingbeil an der Spitze würde der linke Parteiflügel an der Parteispitze allerdings erheblich an Einfluss verlieren. Klingbeil ist Mitglied des wirtschaftsfreundlichen Seeheimer Kreises, auch Schwesig gilt eher als pragmatisch.
Mit Olaf Scholz wäre zudem ein äußerst pragmatischer Politiker Bundeskanzler. Viele in der SPD fürchten, unter ihm könnte das gerade wieder sichtbarere soziale Profil der Partei wieder verloren gehen, weil alles dem Regierungshandeln untergeordnet wird.
Die Frage ist deshalb, wie der linke SPD-Flügel glücklich gemacht werden kann. Die neue Parteiführung sollte „die unterschiedlichen Strömungen in der SPD zusammenbringen können und eine kooperative, aber auch kritische Beziehung zum Regierungshandeln haben“, fordert Cansel Kiziltepe, Mitglied im Vorstand des SPD-Forums Demokratische Linke 21.
In der SPD wird spekuliert, Parteivize Kevin Kühnert könnte Klingbeil als Generalsekretär folgen. Harmonieren würden die beiden, sie bezeichnen sich als Freunde. Und auch davon unabhängig können sich viele in der Partei den wortgewaltigen früheren Juso-Chef gut auf dem Posten vorstellen.
Auch einen Ministerposten für Michael Miersch könnte die Parteilinke rausschlagen, sollte Klingbeil Parteichef werden. Miersch ist Chef des linken Flügels in der SPD-Bundestagsfraktion. Er gilt auch als erster Anwärter auf den Fraktionsvorsitz, sollte Mützenich noch ins Kabinett wechseln.
Während Klingbeil als Parteichef also ein Problem mit dem linken Parteiflügel schaffen würde, würde ein anderes gelöst: das des Männerüberschusses aus Niedersachsen. Mit Miersch, Arbeitsminister Hubertus Heil und Klingbeil kommen gleich drei mittelalte Männer mit Kabinettsambitionen aus Niedersachsen. So wurde Klingbeil bis zum Rückzug von Walter-Borjans auch als möglicher Verteidigungsminister gehandelt. Klingbeils Vater war Soldat, in seinem Wahlkreis liegt einer der größten Bundeswehr-Standorte.
Klingbeil könnte mit einer breiten Zustimmung rechnen
Drei Männer aus Niedersachsen kann die SPD aber nicht im Bundeskabinett unterbringen. Dagegen spricht der Regionalproporz, nach dessen Logik nicht zu viele Minister aus einem Landesverband dem Kabinett angehören dürfen. Außerdem hat Scholz gesagt, er wolle die Ministerposten der SPD paritätisch mit Männern und Frauen besetzen. Dies schränkt Klingbeils Chancen auf einen Ministerposten ein. Als Parteichef aber hätte Klingbeil auch ohne Platz am Kabinettstisch erheblichen Einfluss, er säße etwa in jedem Koalitionsausschuss.
Im Falle einer Kandidatur für den Parteivorsitz könnte Klingbeil nach Einschätzung aus der Partei mit einer breiten Zustimmung rechnen. Allerdings gab es in seiner Zeit als Generalsekretär auch Kritik an seiner Arbeit. So müsse Klingbeil den politischen Gegner härter angehen, wurde intern moniert. Auch die ewiglange Suche nach einer neuen Parteiführung 2019 wurde ihm angelastet. Noch heute verdrehen Genossen genervt die Augen, wenn sie an die 23 Regionalkonferenzen zurückdenken, auf denen sich die Kandidaten vorstellen mussten.
Doch nach der erfolgreichen Bundestagswahl ist das alles Schnee von gestern. Als Organisator der erfolgreichen Wahlkampagne kann Klingbeil eine Beförderung einfordern. Außerdem steht der 43-Jährige für den Generationenwechsel, den Walter-Borjans mit seinem Rückzug einleiten wollte.
Als Generalsekretär hat Klingbeil zudem schon bewiesen, die Partei in schwierigen Zeiten zusammenhalten zu können. Seit er den Job Ende 2017 auf Vorschlag des damaligen SPD-Chefs Martin Schulz übernahm, hat Klingbeil insgesamt acht Parteivorsitzenden gedient. Er blieb auch auf dem Posten, als nach Schulz Andrea Nahles und später Esken und Walter-Borjans die Partei führten.
Obwohl Klingbeil Mitglied des wirtschaftsfreundlichen Flügels ist, verfügt er über gute Drähte in den linken Parteiflügel und als früherer Digitalpolitiker zu jüngeren SPD-Politikern, aber auch zu den Altvorderen: Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist Klingbeils Förderer.
Herausragendes Erststimmenergebnis im Wahlkreis
Schröder machte immer wieder auch Wahlkampfauftritte mit Klingbeil in dessen Heimatwahlkreis. 2017 luchste Klingbeil den Wahlkreis der CDU ab, bei der Bundestagwahl in diesem Jahr verteidigte er ihn mit 47 Prozent der Stimmen, ein herausragendes Erststimmenergebnis. Auch dieser kleine Erfolg spreche für Klingbeil als Parteichef, heißt es intern. Klingbeil komme auch beim Wähler an.
Beim Mitgliederentscheid 2019 war Klingbeil nicht für den Parteivorsitz angetreten. Er hatte zwar schon damals Interesse an der Aufgabe, fand aber nicht rechtzeitig die passende Frau für eine gemeinsame Kandidatur.
Wie vor zwei Jahren ist die SPD zwar derzeit wieder auf Suche nach einer neuen Parteispitze, aber heute ist die Situation eine völlig andere als damals. Es gab die Befürchtung, die neue Parteispitze könnte die Große Koalition platzen lassen. „Dieses Mal verfällt niemand in Panik“, sagt ein Spitzengenosse. „Wir gehen das ganz entspannt an.“ Der Rückzug von Walter-Borjans bietet der SPD vielmehr den Luxus, noch weitere Spitzenposten verteilen zu können. Der Profiteur dürfte Klingbeil sein.
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