Nachgefragt Kanzleramtsminister Hoppenstedt: „Gerade bei Tesla geht es wirklich schnell voran“

Der Staatsminister im Kanzleramt spricht 2019 mit Angela Merkel im Bundestag.
Die Bundesregierung nimmt sich von der Kritik des Tesla-Konzerns an der Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland nichts an. Er habe zwar Verständnis dafür, wenn manche Unternehmer sich über Bürokratie beklagten, sagte Hendrik Hoppenstedt, für Bürokratieabbau zuständiger Staatsminister im Bundeskanzleramt, dem Handelsblatt. „Gerade bei Tesla scheint es aber wirklich ziemlich schnell zu gehen“, sagte er.
Hoppenstedt kündigte an, das zu Beginn der Coronapandemie beschlossene Planungssicherstellungsgesetz (PlanSiG) dauerhaft zu nutzen. „Ich bin dafür, das Gesetz komplett zu entfristen. Ich gehe davon aus, dass es auch so kommen wird“, sagte er.
Vorerst konnte sich die Große Koalition nur darauf verständigen, die Geltungsdauer des zunächst bis Ende März 2021 befristeten Gesetzes bis Ende 2022 zu verlängern. Das PlanSiG ermöglicht digitale Beteiligungsoptionen in Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Der Staatsminister appellierte an die Bundeländer, sich in bestimmten Bereichen besser abzustimmen. „Die Länder müssten stärker zusammenarbeiten und gemeinschaftliche Lösungen anstreben. Das gilt zum Beispiel mit Blick auf die Kultusministerkonferenz“, sagte Hoppenstedt. Die Schulen müssten „mit Hochdruck digitalisiert“ werden. Es müssten „einheitliche Standards definiert werden, die den Ansprüchen eines modernen Industriestaates gerecht werden“.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Hoppenstedt, Tesla als derzeit Deutschlands prominentester Bauherr und international aktiver Investor beklagt, Genehmigungsprozesse seien langwierig und bürokratisch. Haben Sie Verständnis für die Kritik?
Wir haben in Deutschland mit Bund, Ländern und Kommunen mehrere Ebenen, die Regelungen schaffen. Hinzu kommen Bestimmungen der EU. Auch berufsständische Einrichtungen und Kammern betreiben Rechtsetzung. Wer als Unternehmer die daraus erwachsenden Regelungen beachtet, hat in der Tat eine Menge zu tun. Ich habe Verständnis dafür, wenn manche Unternehmer sich über Bürokratie beklagen.
Tesla-Chef Elon Musk hat also Recht mit seiner Kritik?
Natürlich gibt es ein Spannungsfeld, wenn die Auswirkungen eines Großvorhabens zu prüfen sind, etwa mit Blick auf Natur- und Wasserschutz. Gerade bei Tesla scheint es aber wirklich ziemlich schnell zu gehen. Ich habe aber viel Sympathie für die Forderung, bestimmte Prozesse weiter zu entschlacken.
Warum geschieht das in der Praxis nicht?
Für jede Veränderung ist eine parlamentarische Mehrheit erforderlich. Das gilt für alle Ebenen. Da in vielen Fällen der Bundesrat beteiligt ist, braucht man in den meisten Fällen eine Verständigung unter Union, SPD und auch Grünen, die ja an den Landesregierungen beteiligt sind. Das ist nicht immer einfach. Oft erlebt man, dass diejenigen, die Entbürokratisierung fordern, genau dann einen Rückzieher machen, wenn es darum geht, konkrete Vorschläge umzusetzen. Wir hören leider viel zu oft, was alles nicht geht.
An welchen Stellen, würde es sich aus Ihrer Sicht besonders lohnen, Bürokratie abzubauen?
Nehmen Sie das weite Feld der Steuern. Da wittern einige hinter jedem Vorschlag zum Bürokratieabbau, etwa wenn es um Aufbewahrungsfristen geht, ein Einfallstor für Steuerhinterziehung. Nehmen Sie Vorschriften des Arbeitsrechts und des Arbeitsschutzes. Hier kann man Potenziale heben, ohne die Rechte oder die Sicherheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nur im Ansatz einzuschränken oder gar zu gefährden. Und wenn es um die Verschlankung von Genehmigungsverfahren bei Infrastrukturprojekten geht, könnte man auch eine Menge erreichen, ohne dass Umweltstandards oder die Bürgerbeteiligung unter die Räder kämen. Aber natürlich haben solche Diskussionen immer ein großes Verhetzungspotenzial und deswegen ist für ein solches Unterfangen großer politischer Mut notwendig.
Mit der Coronapandemie sind die Defizite der Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen bei der Digitalisierung besonders deutlich geworden. Geht nun ein Ruck durch Deutschland, geht es bei der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen voran?
Die Coronapandemie hat einen Riesenschub in Sachen Digitalisierung in den Verwaltungen ausgelöst. Diese Dynamik wird sich nach der Pandemie fortsetzen, da bin ich mir sicher. In dem „Paket für Bürokratieerleichterungen“, das das Bundeskabinett in dieser Woche beschließt, spiegelt sich das auch an einzelnen Stellen wider. Ein Punkt des Pakets betrifft das Planungssicherstellungsgesetz (PlanSiG), das bewährte Anhörungs- und Auslegungsverfahren im Planungsrecht um digitale Optionen bis Ende 2022 erweitert. Eine Evaluierung wird zeigen, ob die Erweiterung dauerhaft bleibt. Das ist ein Fortschritt.
Fast alle Gesundheitsämter haben „digitale Lösungen“
Warum wird das Gesetz nicht gleich komplett entfristet?
Ich bin dafür, das Gesetz komplett zu entfristen. Ich gehe davon aus, dass es auch so kommen wird. Im Moment ist dafür in die Regierungskoalition keine Mehrheit zu bekommen.
Ist der Föderalismus Effizienztreiber oder Bürokratieverstärker?
Ich glaube immer noch, dass Föderalismus einer der Gründe dafür ist, dass wir in Deutschland in vielerlei Hinsicht besser dastehen als viele andere Länder in Europa. Die generelle Herangehensweise, vor Ort Entscheidungen zu treffen für eine überschaubare Gruppe von Menschen, halte ich für klug.
Was sich bei den Leuten einbrennt, ist aber das Faxgerät im Gesundheitsamt. Wäre einheitliches Vorgehen nicht gerade in schwierigen Zeiten sinnvoll?
Das Bild ist objektiv falsch. Zwar nutzen die Gesundheitsämter in Deutschland leider noch nicht alle das Meldesystem SORMAS. Fast alle haben aber bereits ihre eigenen digitalen Lösungen.
Das erscheint nicht besonders effizient.
In der Tat frage ich mich manchmal, ob wir auf dem Weg in eine Schnittstellenrepublik sind. Es ist per se nicht schlecht, wenn jeder Landkreis nach einer eigenen Lösung schaut. Wenn man aber plötzlich in einer Krise ist, braucht man ein einheitliches Meldesystem und einheitliche Kontaktverfolgungsmöglichkeiten. Sonst muss man Zeit darauf verwenden, den Informationsaustausch zu ermöglichen.
Wie kann man das ändern?
Die Länder müssten stärker zusammenarbeiten und gemeinschaftliche Lösungen anstreben. Das gilt zum Beispiel mit Blick auf die Kultusministerkonferenz. Die Schulen müssen mit Hochdruck digitalisiert werden. Es müssen verstärkt einheitliche Standards definiert werden, die den Ansprüchen eines modernen Industriestaates gerecht werden. Das ist aber kein Grund, den Föderalismus infrage zu stellen.
Wie bekommt man ein koordiniertes Vorgehen der Länder hin?
Da ist in erster Linie Einsicht gefragt. Nehmen wir das Beispiel Bildung: Es kann niemand behaupten, dass wir mit Blick auf den Bereich Bildung hinsichtlich der Digitalisierung nicht Hausaufgaben zu machen hätten. Wir können als Bund nur Anreize setzen und versuchen, überzeugend zu wirken.
Wie weit sind Sie bei der Vereinheitlichung und Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben gekommen?
Wir haben gemeinsam mit den Ländern 575 Verwaltungsaufgaben definiert, die es zu digitalisieren gilt. Für 300 dieser Verwaltungsaufgaben sind entsprechende Programme mittlerweile online verfügbar. Das ist ein beachtlicher Wert. Und dabei geht es auch um ganz zentrale, von vielen Millionen Menschen genutzte Leistungen wie Elterngeld, Kfz-Anmeldung, Bafög, ALG-II oder aktuell besonders wichtig die digitale Beantragung von Kurzarbeitergeld.
Wie gut funktioniert die Zusage, für jede zusätzliche bürokratische Belastung eine andere bürokratische Belastung zu streichen?
Die One-in-One-out-Regel bedeutet einen Durchbruch. Wenn ein Minister eine neue Regelung will, muss er dafür an anderer Stelle Bürokratie reduzieren. So sind die Ministerien in einem Dauerprozess, ihre Gesetze kritisch zu prüfen. Dadurch haben wir den jährlichen Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft in dieser Wahlperiode um 1,2 Milliarden Euro reduziert, in der vorigen waren es 1,9 Milliarden Euro. Die große Stärke dieses Ansatzes ist, dass wir uns den Kleinkrieg um jede einzelne Vorschrift ersparen. Ich bin sehr froh, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dieses Prinzip nun auch auf EU-Ebene einführen will. Und wir führen erste Gespräche mit den Bundesländern, ob sie sich diese Herangehensweise ebenfalls zu eigen machen wollen. Dadurch können wir Bürokratie hoffentlich in einem Maß abbauen, dass auch der Bäckermeister um die Ecke davon profitiert.
Unternehmen wollen Bücher schließen können
Mit Verlaub, das „Paket für Bürokratieerleichterungen“ klingt eher nach einem Sammelsurium einzelner Maßnahmen als nach einem großen Wurf.
Nach dem Arbeitsprogramm Bessere Rechtssetzung und Bürokratieabbau von 2018 handelt es sich hier um ein weiteres Programm mit vielen guten und wichtigen Maßnahmen, das in den nächsten Monaten umgesetzt werden soll. Nehmen wir die geplante Schaffung eines einheitlichen Basisregisters für Unternehmensstammdaten. Wenn das steht, werden die Unternehmen um einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet, wenn sie bestimmte Daten nur einmal erfassen lassen müssen.
Steuerpflichtige sollen künftig zeitnah eine verbindliche Auskunft zu steuerlichen Sachverhalten erhalten, auch Betriebsprüfungen sollen zeitnah stattfinden. Wie viel bringt das?
Für Unternehmen bedeutet es eine enorme Erleichterung, wenn nicht mehr jahrelang das Damoklesschwert einer Betriebsprüfung über ihnen hängt. Sie wollen die Bücher irgendwann schließen können. Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch die Aufbewahrungsfristen für die Steuerunterlagen verkürzen. Aber das kriegen wir hoffentlich später noch hin.
Die Einführung einer rechtssicheren materiellen Präklusionswirkung für Infrastrukturvorhaben hätte große Tragweite. Welche Chancen sehen Sie dafür?
Ich finde es absolut zumutbar, dass jemand Einwände gegen ein geplantes Bauvorhaben bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorbringt. Leider setzt uns der Europäische Gerichtshof da enge Grenzen, jedenfalls lesen wir das jüngste Urteil so. Wir sind uns in der Bundesregierung aber einig, dass wir den verbliebenen Spielraum voll ausschöpfen wollen. Außerdem haben wir der EU-Kommission Vorschläge gemacht, wie das EU-Recht geändert werden könnte, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
Startups klagen, dass sie bei öffentlichen Ausschreibungen kaum zum Zuge kommen. Wie wollen Sie das ändern?
In den Ausschreibungen werden oft mehrjährige Erfahrung und zahlreiche Referenzprojekte in Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Sektor verlangt – da sind junge Unternehmen natürlich raus. Das Vergaberecht ermöglicht schon heute andere Vergabekriterien. Wir unterstützen deshalb Ansätze, die Ausschreibungen etwa in kleinere Lose aufzuteilen und so auch Startups eine Chance zu geben.
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