Nachhaltigkeitsfinanzierung Wie die EU-Taxonomie dem Mittelstand Sorgen bereitet

Ab wann ist ein Unternehmen nachhaltig?
Brüssel Wann wirtschaftet ein Unternehmen nachhaltig? Das ist die große Frage, die die Europäische Union im Rahmen der EU-Taxonomie versucht zu beantworten. Dabei handelt es sich um ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Finanzprodukte – quasi eine in Brüssel erarbeitete Liste aller ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten.
Das Ziel: Greenwashing vermeiden, Anlegern Orientierung geben – und so letztlich den grünen Umbau der Wirtschaft finanzieren. Bis 2050 will die EU klimaneutral sein und bis 2030 ihren CO2-Ausstoß um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren.
Zwar werden Details der EU-Taxonomie noch ausgearbeitet, die rahmengebende Verordnung ist jedoch bereits in Kraft und damit Teil der Geschäftswelt. Das Regelwerk ist in erster Linie auf große Unternehmen ausgerichtet, die sich ihr Geld an der Börse besorgen. Aber auch kleine und mittelständische Unternehmen in Familienbesitz werden in die Pflicht genommen: Sie müssen in ihren Jahresberichten ebenfalls angeben, wie es um ihre Nachhaltigkeit bestellt ist.
Das klingt einfacher, als es tatsächlich ist. „Das Problem ist: Es ist bisher nicht eindeutig klar, was nachhaltig ist und was nicht. Die Definitionen dafür fehlen noch, analog gibt es auch noch keinen Kriterienkatalog, der als Richtlinie für Banken und Unternehmen zur Verfügung steht“, sagt Simone Andrae, Geschäftsführerin der Finanzierungsberatung Andrae Project Finance GmbH.
„Da wurde politisch mit guter Absicht entschieden, dass die Unternehmen etwas tun müssen, aber es wurde ihnen nicht gesagt, wie sie das konkret umsetzen sollen, sodass es passend ist für die Parameter der Taxonomie“, so Andrae weiter.
Dementsprechend herrsche große Unsicherheit bis hin zu Ratlosigkeit.
„Wo ist der Punkt, an dem die CO2-Reduktion eines Unternehmens als nachhaltig gilt?“
Diese zieht sich bis in den Bankenbereich. In der Exportfinanzierung gelten bereits schon lange gewisse Nachhaltigkeitsziele. Ziel der EU-Taxonomie ist es, diese nun auch bei der normalen Unternehmensfinanzierung mit zu berücksichtigen.
Nur: Bei dem bisherigen Entwurf der Verordnung gebe es derzeit so viele Interpretationsmöglichkeiten und Auslegungen, dass eine faire Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen, insbesondere in einem für die Kreditvergabe erforderlichen standardisierten Verfahren, derzeit gar nicht möglich ist, sagt Andrae.
Ein konkretes Beispiel: ein Automobilzulieferer, der Autositze herstellt. „Die Frage ist: Wo ist der Punkt, an dem seine CO2-Reduktion als nachhaltig gilt? Welche anderen Punkte können noch mit berücksichtigt werden? Und ab wann gilt seine Finanzierung für die Banken als risikoreicher, weil der Zulieferer die Nachhaltigkeitsziele eben nicht erreicht und dementsprechend Banken auch mehr Eigenkapital für eine Kreditvergabe unterlegen müssen, was die Zinshöhe für den Kredit beeinflusst?“, erläutert die Finanzexpertin, die der Kommission Steuern und Finanzen des Mittelstandsverbandes angehört.
„Die EU-Taxonomie ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir brauchen mehr Klarheit für alle Beteiligten“, findet Andrae. „Die Banken wissen nicht, worauf sie achten sollen und wie sie welche Maßnahmen fair bewerten können, und der Mittelstand weiß nicht, was er genau vorweisen muss.“
Auch für klassische kleine Handwerksbetriebe ergeben sich durch die EU-Taxonomie Schwierigkeiten. Sie sind von der Berichterstattungspflicht ausgenommen, auf indirekte Weise könnten sie dennoch betroffen sein.
Denn viele Handwerksbetriebe dienen als Zulieferer oder Dienstleister für Unternehmen, die wiederum entsprechende Nachhaltigkeitsnachweise erbringen müssen. „Diese könnten von den Handwerksbetrieben Nachhaltigkeitsnachweise einfordern, um ihren eigenen Berichtspflichten genügen zu können“, sagte der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, dem Handelsblatt.
Darlehen für Handwerksbetriebe könnten sich verteuern
Ebenfalls ist die Angst vor Finanzierungsproblemen im Handwerk ein Thema. „Darlehen könnten sich für unsere Betriebe spürbar verteuern, etwa wenn Banken die Geschäftstätigkeit eines Handwerksbetriebes nach den neuen Kriterien der Taxonomie als nicht hinreichend ,grün‘ einstuft“, so Schwannecke.
Zudem befürchtet der Verband durch nötige Nachhaltigkeitsnachweise neue massive bürokratische Belastungen, die die Betriebe an ihre Grenze bringen würden. „Wir erkennen an, dass Europa mit dem Übergang zu einer nachhaltigeren und CO2-ärmeren Wirtschaft vor einer gewaltigen Umstrukturierung steht. Die Taxonomie ist dafür jedoch das falsche Instrument“, kritisiert der ZDH-Generalsekretär.
Diese Sorge lässt sich auch direkt aus den Betrieben hören, zumal die Coronakrise noch immer nicht überstanden ist und viele Branchen mit Materialengpässen zu kämpfen haben. „Die Politik spricht davon, das Handwerk sei in vielen Bereichen die Stütze der Gesellschaft und der Wirtschaft. Irgendwann brechen auch die stabilsten Stützen. Das kann nicht das Ziel sein“, sagte der Geschäftsführer eines Handwerkbetriebs im Bereich Medizintechnik, der lieber anonym bleiben will.
Mehr: Europas Rüstungsunternehmen fürchten die nachhaltigen Investitionsregeln der EU
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Das übliche Gejammer. Ein Lobbyist, der nichts zu jammern hat, ist wie ein weißer Rappe.