Netzwerkdurchsetzungsgesetz Immer weniger Beschwerden über Facebook & Co.

Seit zwei Jahren muss das soziale Netzwerk Hasskommentare löschen.
Berlin Seit fast zwei Jahren müssen sich Online-Plattformen wie Facebook oder Twitter an das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz halten. Das NetzDG, so die Kurzform, soll die Internetkonzerne zum schnellen Löschen von strafrechtlich nicht zulässigen Inhalten zwingen. Wer den Vorgaben wiederholt und systematisch nicht nachkommt, dem drohen Strafen in Millionenhöhe.
Die Vorschriften waren von Anfang an umstritten: Kritiker sahen die Meinungsfreiheit bedroht, da die Plattformbetreiber vorschnell Beiträge aus Furcht vor Geldbußen löschen könnten. Die Kritik ist bis heute nicht verstummt.
Dabei hat sich manche Befürchtung als unbegründet erwiesen wie aktuelle Zahlen des Bundesamts für Justiz (BfJ) nahelegen. Ursprünglich war die Bundesregierung von 25.000 Beschwerden pro Jahr ausgegangen, die von Hassbotschaften betroffene Internetnutzer an die Bonner Behörde richten würden, weil soziale Netzwerke auf ihre Hinweise nicht schnell genug reagierten.
Jetzt zeigt sich: Die Zahl liegt deutlich unter den Erwartungen. Bis Mitte Dezember seien über das Online-Formular 489 Meldungen eingegangen, erklärte ein Behördensprecher auf Anfrage des Handelsblatts. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2018 waren es 714 Meldungen.
Der Befund dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass das Beschwerdemanagement der Plattformanbieter nicht einheitlich ist. Bei Twitter etwa ist die Anzahl der Beschwerden hoch; bei Facebook deutlich geringer. Das rief zuletzt das Bundesamt auf den Plan. Die Behörde bemängelte, dass bei Facebook das Formular zur Meldung rechtswidriger Inhalte „zu versteckt“ sei und verlangt daher eine Strafzahlung von zwei Millionen Euro. Facebook wehrt sich dagegen.
Kritiker des Gesetzes sehen sich durch solche Fälle in ihren Vorbehalten bestätigt. „Beim NetzDG stehen Aufwand und Nutzen in einem krassen Missverhältnis, die Umsetzung bleibt schwierig“, sagt etwa der Hauptgeschäftsführer des IT-Verbands Bitkom, Bernhard Rohleder, dem Handelsblatt.
Wenn Plattformen Nutzerbeiträge löschten, dann wegen ihrer sich selbst auferlegten Regeln, weniger durch Anforderungen der Gesetzesvorgaben. Der Vorstandsvorsitzende des eco-Verbandes der Internetwirtschaft, Oliver Süme, spricht gar von einem „einseitigen Regulierungs-Schnellschuss“, der „gravierende Folgen“ für elementare Grundrechte habe.
Ruf nach europäischem Vorgehen gegen Hass im Netz
In der Politik fällt die Bilanz gemischt aus. Die zuständige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) verteidigt das bestehende Gesetz. Der Rechtsstaat müsse handlungsfähig sein, betont die Ministerin im Gespräch mit dem Handelsblatt. Zugleich kündigte sie an, die Regeln im Zuge der Evaluierung schärfer zu fassen, um die sozialen Netzwerke noch stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Menschen müssten das Gefühl haben, dass der Staat darauf reagiere, wenn es Bedrohungen und Beleidigungen im Netz gebe.
Der FDP-Digitalpolitiker Manuel Höferlin hält es dagegen für „falsch, Hass und Hetze durch ein Gesetz bekämpfen zu wollen, das in Sachen Rechtskonformität und Wirkungsgrad äußerst fraglich ist“. Aus seiner Sicht ist das NetzDG verfassungswidrig. „Deswegen klage ich auch weiterhin dagegen“, sagte Höferlin dem Handelsblatt.
Bei anderen Digitalpolitikern setzt sich indes zunehmend die Ansicht durch, dass mit einem rein nationalen Vorgehen die Problematik nicht in den Griff zu bekommen ist. „Deswegen wäre es sicherlich sinnvoll, hier auch auf europäischer Ebene tätig zu werden“, sagte die Vize-Chefin der Unions-Bundestagsfraktion, Nadine Schön (CDU), dem Handelsblatt.
Dies sei von Seiten der neuen EU-Kommission bereits angedacht. „Ein möglicher Rechtsakt ist der „digital service act“, so Schön. „Ob und wann dieser kommen soll, dazu werden wir wohl Ende Januar 2020 mehr wissen, wenn die Kommission ihr Arbeitsprogramm vorlegt.“
Der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann sieht Deutschland in Europa als Vorbild im Kampf gegen Hass im Netz. „Deshalb sind europäische Lösungen heute absolut denkbar“, sagte Zimmermann dem Handelsblatt. „Allerdings handelt es sich immer um eine Ausbalancierung von wichtigen Verfassungsgütern wie Meinungsfreiheit und die persönliche Würde.“ Dies müsse auch bei einer europäischen Regelung berücksichtigt werden.
Auch die Grünen-Digitalpolitikerin Tabea Rößner befürwortet eine EU-weite Regelung. „Wir sollten bei allen bestehenden Problemen nicht zurück in die nationalen Kleingärten verfallen“, sagte Rößner dem Handelsblatt. „Das Internet ist global und das Problem von Hass und Hetze im Internet ist es auch, deshalb brauchen wir auch einen übergeordneten Ansatz, und der liegt derzeit auf der europäischen Ebene.“
Verschärfung angedacht
Die Digitalverbände Bitkom und eco zeigten sich offen für europäische Lösungen. „Grundsätzlich wäre eine EU-weite Regelung zur Bekämpfung von Hass im Internet sehr viel sinnvoller“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder. „Nationale Alleingänge wie das NetzDG in Deutschland oder das Gesetzesvorhaben in Frankreich führen zu einer weiteren Fragmentierung innerhalb der EU und erschweren die Suche nach gemeinsamen Regeln gegen Hasskriminalität.“ Der Vorstandsvorsitzende des eco-Verbandes der Internetwirtschaft, Oliver Süme, hält eine EU-weit geltend e Regelungsgrundlage vor allem mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt für erstrebenswert. „Jedoch stünden in diesem Kontext langwierige zähe Verhandlungen bevor“, sagte Süme dem Handelsblatt.
Der Deutsche Richterbund sieht eine mögliche europäische Lösung skeptisch. „Der Weg über Europa hat den großen Nachteil, dass es noch einige Jahre dauern dürfte, bis neue Regeln in Kraft treten können, zumal viele Fragen noch strittig sind“, sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn dem Handelsblatt. „Ich glaube nicht, dass es den Betroffenen von Hass und Hetze im Netz zuzumuten ist, noch zwei oder drei Jahre auf Europa zu warten.“
Es brauche „sofort wirksame Lösungen“. Es sei daher richtig, so Rebehn weiter, dass die Bundesregierung Facebook und Co. gesetzlich stärker in die Pflicht nehmen wolle, bei Hasskriminalität und anderen Straftaten auf ihren Plattformen aktiv zu werden.
Nach den Plänen des Justizministeriums sollen soziale Netzwerke bestimmte Posts künftig sofort dem Bundeskriminalamt (BKA) melden müssen. Das umfasst etwa Neonazi-Propaganda, die Vorbereitung einer Terrortat, die Bildung und Unterstützung krimineller Vereinigungen, Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen, aber auch die Billigung von Straftaten, Morddrohungen und die Verbreitung kinderpornografischer Aufnahmen.
Derzeit müssen die Anbieter solche Inhalte nur löschen. Eine neue Stelle beim BKA soll die Inhalte und die IP-Adressen künftig sammeln. Plattformen, die ihren Pflichten nicht nachkommen, müssen mit Bußgeldern von bis zu 50 Millionen Euro rechnen.
„Der Staat muss aber auch selbst mehr tun“, betonte Rebehn. Nötig seien deutlich mehr spezialisierte Strafverfolger und schlagkräftige Zentralstellen in den Bundesländern, damit die geplante Meldepflicht der Netzwerke für bestimmte Straftaten nicht ins Leere laufe. „Der Schlüssel zum Erfolg gegen Hass und Hetze im Netz liegt in ausreichenden Ressourcen der Strafjustiz.“
Verband sieht „enorme Sicherheitsgefahr“
Der FDP-Mann Höferlin warnt hingegen, mit der geplanten Meldepflicht „würde sich die Bundesregierung der Anbieter sozialer Netzwerke künftig nicht nur als Hilfs-Sheriffs, sondern auch als Hilfs-Rechtsabteilung bedienen“. Es sei immer noch primäre Aufgabe des Staates gegen strafbare Handlungen im Netz vorzugehen. Auch die Grünen-Politikerin Rößner sieht es kritisch, dass von Privatunternehmen eine Rechtseinschätzung verlangt wird, bevor sie Daten an das BKA weitergeben.
Das sei ein Novum, „und ich finde es fraglich, ob wir Privatunternehmen eine solche zentrale Rolle zuweisen wollen“. Es sei zudem völlig unklar, was mit den Datensätzen passiere. Von einer Löschfrist stehe in Lambrechts Gesetzentwurf nichts. „Das wäre dann die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür“, warnte Rößner.
Auch Oliver Süme vom Internetverband eco hält die geplanten neuen Auskunftsansprüche für Sicherheitsbehörden für problematisch. „Dies ist nicht nur eine enorme Sicherheitsgefahr und ein direkter Angriff auf jede Datenschutzreglung, solche Informationen über die Nutzung von Telemediendiensten ermöglichen auch weitreichende Rückschlüsse auf politische, sexuelle, finanzielle oder sonstige persönliche Interessen“, sagte Süme. „Ein solches Vorhaben macht jeden von uns zum gläsernen Menschen.“
Mehr: Lesen Sie hier, warum ein Verfassungsrichter für eine Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.