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Neue Bundesjustizministerin im Interview Christine Lambrecht: „Ich möchte hart vorgehen können“

Die Justizministerin will Bußgelder in Höhe von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes gegen Firmen ermöglichen. Im Interview verteidigt sie die Pläne.
08.09.2019 - 08:18 Uhr Kommentieren
Lambrecht verteidigt vehement die Einführung von stärkeren Unternehmenssanktionen – auch wenn diese höhere Kosten für kleine und mittelständische Unternehmen bedeuten könnten. Quelle: Nils Bröer für Handelsblatt
Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (rechts) im Gespräch mit den Handelsblatt-Redakteuren Heike Anger und Dietmar Neuerer

Lambrecht verteidigt vehement die Einführung von stärkeren Unternehmenssanktionen – auch wenn diese höhere Kosten für kleine und mittelständische Unternehmen bedeuten könnten.

(Foto: Nils Bröer für Handelsblatt)

Berlin Christine Lambrecht hat nur wenige persönliche Gegenstände in ihrem neuen Ministerbüro. „Ich mag es sachlich und klar“, sagt sie. Eine mit einem schwarz-rot-goldenen Band verzierte Sonderausgabe des Grundgesetzes steht im Regal.

Und eine knallrote Kiste mit der Aufschrift „Notfall-Box“. Die habe sie bei ihrem Abschied als Finanzstaatssekretärin bekommen, erklärt die Ministerin. Da sei Schokolade drin gewesen. „Die ist aber schon weg, ganz ohne Notfall“, bemerkt die SPD-Politikerin mit einem Lächeln.

Frau Ministerin, Sie sind noch nicht einmal 100 Tage im Amt und gelten schon als Wirtschaftsschreck. Es geht dabei um die geplanten Unternehmenssanktionen. Können Sie das nachvollziehen?
Überhaupt nicht. Rechtstreue Unternehmen erleiden Wettbewerbsnachteile, wenn andere sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen. Es ist eine sinnvolle Wirtschaftspolitik, sich nicht vor schwarze Schafe zu stellen.

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Haben Sie Rückmeldungen aus der Wirtschaft zu Ihrem Gesetzentwurf bekommen?
Die Reaktionen sind sehr differenziert. Ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen. Unternehmen verweisen auf ihre Compliance-Regeln und betonen, dass sie gar keine Sorge haben, dass sie das Gesetz treffen könnte. Ich höre natürlich auch die Verbandsvertreter und ihre negativen Bewertungen.

Die Wirtschaft fühlt sich demnach drangsaliert und unter einen Generalverdacht gestellt.
Ich kann diesen Vorwurf absolut nicht nachvollziehen. Die ganz große Mehrheit der Unternehmen verhält sich absolut rechtstreu, und die will ich schützen. Aber es gibt eben auch andere, und gegen die möchte ich hart vorgehen können. Als Autofahrer fühle ich mich auch nicht unter Generalverdacht gestellt, nur weil das Strafgesetzbuch verbietet, betrunken Auto zu fahren.

Der Vergleich hinkt doch. Im Falle der Unternehmenssanktionen sind nun alle Unternehmen gezwungen, tätig zu werden und Compliance-Maßnahmen durchzuführen, um tadelloses Verhalten nachweisen zu können. Das ist aufwendig.
Wir zwingen niemanden zu Compliance und schreiben auch nicht vor, wie Compliance auszusehen hat. Das wissen die Unternehmen selbst am besten. Was wir tun, ist Compliance zu honorieren. Wer hier investiert, trägt dazu bei, Straftaten zu verhindern. Wenn es trotzdem zu Straftaten kommt, kann wirksame Compliance Sanktionen ausschließen oder mildern. Das fordert auch die Wirtschaft.

Können Sie denn verstehen, dass sich kleine und mittelständische Unternehmen gegängelt fühlen, weil sie sich schon wieder mit zusätzlichen Pflichten konfrontiert sehen? Die großen Konzerne haben ohnehin Compliance-Prozesse.
Es ist doch nicht neu, dass Unternehmen sich an Recht und Gesetz zu halten haben. Es ist nur längst nicht immer ermittelt worden.

Bislang konnten durch Bußgeld und Abschöpfung der aus der Tat erlangten Profite auch hohe Strafen gegen Unternehmen verhängt werden. Ist das neue Gesetz denn notwendig?
Über das Ordnungswidrigkeitenrecht können Unternehmen bereits jetzt sanktioniert werden. Es gibt aber keine Verpflichtung zu ermitteln. Wenn wir uns die Landkarte anschauen, dann ist zu sehen, dass da völlig unterschiedlich vorgegangen wird. Es darf doch nicht vom Firmensitz abhängig sein, ob jemand mit staatsanwaltlichen Ermittlungen zu rechnen hat oder nicht. Nach dem neuen Gesetz muss in Zukunft jeder Anfangsverdacht untersucht werden.

Was wäre ein solcher Anfangsverdacht? Können wir das mal konkret machen, etwa mit Blick auf den Dieselskandal?
Wenn der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt, muss gegen den einzelnen Tatverdächtigen ja schon heute zwingend ermittelt werden. Wir wollen, dass die Staatsanwaltschaft immer auch das hinter der Tat eines Mitarbeiters stehende Unternehmen in den Blick nimmt. Wenn ein Ingenieur beschließt, dass künftig Abgasrichtwerte nicht mehr eingehalten werden, ohne die Firmenleitung oder irgendjemanden darüber zu informieren, dann ist das kein Fall für Unternehmenssanktionen. Aber schon bei der Beschreibung solcher Fälle merkt man, wie unrealistisch es ist, dass die Verantwortlichen von systematisch begangenen Straftaten nichts mitbekommen.

Es gibt zweistellige Milliardenbußen, die bei großen Konzernen entstehen können. Das macht Eindruck.
Die Sanktionen sind mit Blick auf die Größe des Unternehmens angepasst worden. Bisher hatten wir die zehn Millionen Euro Bußgeldobergrenze für alle, für die Kleinen, die Mittelständler und die international tätigen Konzerne. Es war ungerecht, dass es keine Differenzierung gab. Künftig wird sich bei den großen Unternehmen die Sanktion auf bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes belaufen können. Ermittlungen können aber auch eingestellt werden, wenn es sich nur um einen geringfügigen Verstoß des Unternehmens handelt. Es können mit der Einstellung auch Weisungen verbunden werden. Wir stellen ein fein abgestuftes Instrumentarium zur Verfügung, das dem jeweiligen Fall gerecht wird.

In schweren Fällen von Wirtschaftskriminalität soll es möglich sein, Unternehmen aufzulösen. Das trifft doch Unschuldige wie Beschäftigte, Aktionäre oder Zulieferer. Warum sollen die nun büßen?
Die „Verbandsauflösung“, wie wir es im Gesetz nennen, ist der absolute Extrem-Ausnahmefall. Die Möglichkeit zur Auflösung eines Unternehmens gibt es ja bereits jetzt bei GmbHs, bei Aktiengesellschaften, bei Genossenschaften, übrigens unter geringeren Voraussetzungen als wir sie jetzt vorsehen. Wir sehen die Auflösung nur für den Fall vor, dass ein Unternehmen alleine gegründet oder geführt wird, um Straftaten zu begehen, etwa Produktpiraterie oder Geldwäsche. Das wären solche Extremfälle.

Es ging ja eben um die Unschuldigen, die in Mitleidenschaft gezogen werden.
Wer denkt denn an die Mitarbeiter anderer Unternehmen, die einen Wettbewerbsnachteil haben, weil sie sich nicht durch Bestechung oder Manipulation bereichern? Dies kann bis hin zur Existenzbedrohung der ehrlichen Unternehmen gehen.

Die Probleme dieser Gruppe schmälern ja nicht Schwierigkeiten von Unschuldigen, die durch Unternehmenssanktionen getroffen werden.
Sollen wir deshalb Unternehmen Korruption, Betrug oder Umweltstraftaten einfach durchgehen lassen? Wenn sich alle an die Spielregeln halten, stellt sich dieses Problem nicht. Der Ehrliche darf aber nicht am Ende der Dumme sein.

Sie wollen auch den Umgang mit unternehmensinternen Ermittlungen regeln, wie sie etwa im Dieselskandal stattgefunden haben. Befunde sollen künftig von den Staatsanwaltschaften beschlagnahmt und verwendet werden dürfen. Führt das nicht dazu, dass Unternehmen gar nichts mehr aufklären werden, um sich nicht selbst zu belasten?
Wenn die internen Untersuchungen so durchgeführt werden wie im Gesetz vorgesehen, dann kann das die Sanktion mildern. Also hat das Unternehmen selbstverständlich auch ein Interesse daran, dass solche Vorgänge aufgeklärt werden. Das heißt dann nicht, dass es sich selbst zur Anzeige bringen müsste. Aber im Verfahren wird sich ein echter und nachvollziehbarer Aufklärungswille sehr positiv auswirken.

Wie ist Ihre Einschätzung? Wird das so Gesetz? Aus der Union gab es ja schon heftige Kritik, etwa an der Betriebsauflösung.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität kommen wird. Im Koalitionsvertrag ist das Vorhaben glasklar beschrieben. Wie es immer so ist, wird es Beratungsbedarf geben. Dem stehe ich aufgeschlossen gegenüber. Aber wir werden dieses Ziel gemeinsam umsetzen.

Insgesamt rückt die SPD gerade nach links, siehe Wiedereinführung der Vermögensteuer für „Superreiche“. Hier gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Auch die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags ist umstritten. Muss das am Ende das Bundesverfassungsgericht richten?
Es geht hier um Grundsatzentscheidungen. Wenn jemand damit nicht einverstanden ist, dann kann er das selbstverständlich verfassungsrechtlich klären lassen. Bei der Teilabschaffung des Solis kann ich übrigens keinen Linksruck feststellen. Darauf haben wir uns nämlich mit der Union ebenfalls im Koalitionsvertrag verständigt.

Und die Bedenken?
Der Gesetzentwurf wurde vom Bundeskabinett beschlossen und zuvor auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft. Gerade im Steuerrecht kann auf die individuelle Leistungsfähigkeit eingegangen werden. Dass das verfassungsrechtlich möglich ist, haben wir über Jahrzehnte hinweg gesehen.

Der frühere Bundesverfassungsgerichts-Präsident Papier hat ein Gutachten erstellt. Demnach ist der Soli mit dem Auslaufen des Solidarpakts verfassungswidrig. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags kommt zum gleichen Ergebnis.
Diese Einschätzung teile ich nicht. Der Soli war nie eins zu eins an den Solidarpakt gebunden. Nur weil er wegfällt, muss nicht auch der Soli abgeschafft werden.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte in der Soli-Debatte seine ganz eigenen Vorstellungen präsentiert. Wie haben Sie den Vorstoß empfunden?
Ich appelliere an alle in der Koalition, sich an den Koalitionsvertrag zu halten. Den Passus zum Soli hat Herr Altmaier mitverhandelt. Sicher gab es hier unterschiedliche Vorstellungen, aber wir haben uns letztlich auf einen Kompromiss verständigt. Diesen werden wir als Regierung vertreten und ins parlamentarische Verfahren einbringen.

Dann war der Vorstoß von Herrn Altmaier aus Ihrer Sicht also nicht hilfreich? Immerhin gab es darum auch öffentliche Diskussionen.
Ich kann nur dazu raten, sich an die Koalitionsbeschlüsse zu halten. Was Kollegen darüber hinaus denken, fordern oder wünschen, ist nicht entscheidend.

Zurück zur Vermögensteuer: Sehen Sie hier nicht, ähnlich wie bei der Erbschaftsteuer das Problem, Vermögenswerte vernünftig bewerten zu müssen, wodurch neue Ungleichheiten entstehen?
Wir wissen, dass eine Vermögensteuer grundsätzlich in Deutschland möglich ist. Bis 1997 gab es sie. Ausgesetzt wurde sie, als das Bundesverfassungsgericht klare Vorgaben gemacht hat, wie eine solche Vermögensteuer auszusehen hat. Bemängelt wurde seinerzeit die unterschiedliche Bewertung verschiedener Vermögenswerte. Diese Diskussion hatten wir bei der Erbschaftsteuer auch. Und das haben wir gelöst. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir auch bei der Vermögensteuer eine Lösung hinbekommen werden, die ausschließt, dass Unternehmen deshalb in eine Schieflage kommen können. Das ist zweifellos eine große Herausforderung.

Der deutsche Staat schreibt weiterhin schwarze Zahlen. Im ersten Halbjahr steht sogar ein Überschuss von über 45 Milliarden Euro zu Buche. Da wirkt eine Vermögensteuer doch wie aus der Zeit gefallen.
Wir stehen vor großen finanziellen Herausforderungen, auch um unsere wirtschaftliche Stärke zu verteidigen. Der Staat muss sich dann aber schon überlegen, wie er das stemmen will. Da stellt sich dann auch die Frage, wer hier in die Verantwortung genommen werden kann.

Man könnte ja auch die schwarze Null, also die Politik eines ausgeglichenen Bundeshaushalts, auf den Prüfstand stellen.
Neue Schulden zu machen ist auch kein Allheilmittel. Wir sind zwar in einer Niedrigzinsphase. Aber wie lange das hält und was das in 20 Jahren für Konsequenzen hat, das lässt sich heute nicht seriös beantworten.

Also doch die Vermögensteuer.
Wir wollen damit auch eine Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage geben. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie unterschiedlich Vermögen in Deutschland verteilt ist, wie wenige wie viel haben, dann müssen wir schon fragen: Sollen diese wenigen, die auch wegen der guten Rahmenbedingungen hierzulande Vermögen anhäufen konnten, nicht einen Beitrag dazu leisten, dass es gerechter zugeht in unserem Land? Ich finde schon.

Sie könnten auch den Spitzensteuersatz in den Blick nehmen.
Wir Sozialdemokraten könnten uns gut einen höheren Spitzensteuersatz für besonders hohe Einkommen vorstellen. Wir haben uns aber in der Koalition darauf verständigt, dass es in dieser Legislaturperiode keine höheren Einkommensteuersätze gibt.

Ihre Vorgängerin Barley hat versucht, vor allem im Kampf gegen Internetkonzerne zu punkten. Welche Schwerpunkte wollen Sie für den Rest der Legislatur setzen?
Mir ist es ganz wichtig, den Rechtsstaat zu stärken. Wir müssen zeigen, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind.

Was wollen Sie tun?
Wir müssen Justiz und Ermittlungsbehörden stark machen. Mit unserem „Pakt für den Rechtsstaat“ wird es in diesem Bereich 2 000 zusätzliche Stellen geben. Das ist eine klare Ansage, damit Verfahren in der gebotenen Zeit durchgeführt werden können. Wir senden damit das Signal, dass wir handlungsfähig sind. Es geht aber auch darum, dass wir uns klar positionieren gegen Angriffe, Hass in sozialen Netzwerken, aber auch im täglichen Leben. Meinungsfreiheit hat dort ihre Grenzen, wo das Strafrecht beginnt.

Die Arbeitgeber haben besorgt auf das starke Abschneiden der AfD bei den Wahlen im Osten reagiert. Was bedeutet das Wahlergebnis für die Große Koalition?
Das Wahlergebnis in Sachsen und Brandenburg sollte uns eine Mahnung sein, mit guter und bürgernaher Sachpolitik im Bund unseren Beitrag gegen Frust und Politikverdrossenheit zu leisten. Die positive Nachricht ist: Drei Viertel der Wahlberechtigten haben bei den Landtagswahlen gegen die Rechtsaußen-Partei AfD gestimmt und die Wahlbeteiligung ist deutlich gestiegen.

Frau Lambrecht, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Soli, Förderkonzepte, Steuern: Wie die Politik die Wirtschaft enttäuscht.

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