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Neue Mobilität Schiene, Auto, Fahrrad? Im Verkehrssektor beginnt der Verteilungskampf um Milliarden

Drei Jahre haben Interessenvertreter die Zukunft der Mobilität diskutiert. Ideen gibt es nun viele – doch was soll die Politik nun eigentlich genau fördern?
13.10.2021 - 13:12 Uhr Kommentieren
Auto und Straßenbahn: Die Debatte, ob so eine zeitgemäße Stadt aussieht, läuft. Quelle: dpa
Verkehr in der Stadt

Auto und Straßenbahn: Die Debatte, ob so eine zeitgemäße Stadt aussieht, läuft.

(Foto: dpa)

Berlin Mit Bus und Bahn der Verkehrsbetriebe durch Hamburg fahren? Oder doch lieber mit dem Shuttle Moia? Dem Carsharing von Sixt oder Miles? Womöglich aber doch mit einem E-Scooter von Tier? Wer sich alle Möglichkeiten offen halten möchte, ist seit dem Sommer 2020 mit der multimodalen App Switch gut bedient.

Das Projekt ist eines von zehn Anwendungen, mit denen die Hamburger Hochbahn im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums das „Reallabor für digitale Mobilität“ aufgebaut hat. 20 Millionen Euro hat der Bund bereitgestellt. Die Idee dazu kam von der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM).

Während Hamburger im Reallabor die Zukunft der Mobilität erleben können, präsentiert die NPM einen Abschlussbericht. Darin steht, was sie in drei Jahren mit 240 Mitgliedern als Beratungsgremium der Bundesregierung festgehalten hat: viele Empfehlungen, wie Deutschland klimaneutral mobil sein kann; zahlreiche Instrumente, und wie sie wirken.

Doch längst ist ein Streit darüber entbrannt, ob die Art und Weise, wie wir uns heute fortbewegen, überhaupt noch eine Zukunft hat – oder sich nicht etwas radikal ändern muss. Es geht um Milliarden des Bundes für den Umstieg – und es geht um den knappen Platz in den Städten.

Der Bericht der NPM sei unzureichend, kritisieren nun Umweltverbände wie der BUND gemeinsam mit Lobbyverbänden wie der Allianz pro Schiene, dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, dem Städtetag und dem Fahrradclub ADFC.

Autopräsidentin Müller wundert sich

„Wir brauchen dreimal so viele Radwege in Stadt und Land – und dafür eine neue Verteilung des Platzes in den Kommunen“, sagte etwa ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. Städtetag-Vertreter Helmut Dedy stellte klar, Städte seien „Orte zum Leben“ und „nicht Parkplätze“.

Allianz-pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege forderte „ambitionierte Marktanteilziele für die umweltfreundliche Schiene“, Antje von Broock vom BUND „die Zahl der Autos und Lkws“ zu reduzieren, ebenso wie auch die Bremer Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne), die „mehr Alternativen zum Autobesitz“ anmahnt, „um den Platzbedarf zu reduzieren“.

Die Kritik dürfte erst ein Vorgeschmack auf die Debatte der kommenden Monate sein. Es steht ein Glaubenskrieg bevor: weiter so bei der Mobilität, nur klimaneutral? Oder doch das Ende des Autos einläuten?

Autos beanspruchen in der Stadt viel Platz, das sorgt zunehmend für Unmut. Quelle: dpa
Verkehr in Berlin

Autos beanspruchen in der Stadt viel Platz, das sorgt zunehmend für Unmut.

(Foto: dpa)

Das Kuriose: Alle saßen mit am Tisch, als die NPM über Standards und Normen, über Sektorkopplung, Digitalisierung und Wertschöpfungsketten beriet und über die zentrale Aufgabe der Arbeitsgruppe Eins der NPM: Verkehr klimaneutral gestalten und zwar ohne die Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit im Land zu gefährden. Wirtschaft und Autobauer waren nur einige von vielen Vertretern. Der Lenkungskreis habe den Bericht vergangene Woche einstimmig beschlossen, berichtet NPM-Chef Henning Kagermann in Hamburg. „Die Personen hätten im Lenkungskreis etwas sagen können.“

Sie nehme die Kritik „mit Verwunderung“ zur Kenntnis, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, dem Handelsblatt. „Wir haben die Diskussion und die Debatten immer als sehr konstruktiv und offen wahrgenommen und stehen hinter den Entscheidungen, die im Konsens getroffen wurden.“

Der Leiter der Arbeitsgruppe Eins der NPM, Franz Loogen, wies darauf hin, dass sich die Forderungen der Verbände alle im Abschlussbericht fänden. Loogen ist im Hauptamt Chef der E-Mobilbw, die als Innovationsagentur im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg den Umbruch gestaltet.

Wichtig sei es, eine Vielzahl umweltfreundlicher Verkehrsmittel zu kombinieren, „um die Verkehrsleistung zu erbringen und die Klimaziele zu erreichen“. Dazu werde auch das Auto benötigt. „Fahrrad, Bahn, Bus, E-Lkw und E-PKW, Fußwege werden sich optimal ergänzen müssen“, sagte er dem Handelsblatt.

Der Verkehr stößt viel zu viele Klimagase aus

Bis 2030 müssen rund 14 Millionen elektrisch betriebene Fahrzeuge auf den Straßen sein, um die nationalen Klimaziele zu erreichen, hat die NPM ermittelt. Dies kommt dem Ende des Verbrenners gleich. Auch der Güterverkehr wird zu einem weit größeren Teil elektrisch oder mit synthetischen Kraftstoffen fließen müssen. Dazu nötig sind bis zu 800.000 Ladesäulen.

Das alles wird der Markt kaum allein organisieren, Milliarden an Subventionen werden nötig sein, ebenso für den Bau von Radwegen oder dem Ausbau des Schienennetzes angesichts der aktuellen Klimalücke im Verkehr von rund 20 Millionen Tonnen – allein 2022.

Die Länder sehen den Bund in der Verantwortung: Allein für den Nahverkehr fordern sie zusätzlich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Nur so könne der Nahverkehr „als Rückgrat der nachhaltigen Mobilität im erforderlichen Maß für den Klimaschutz gestärkt werden“, sagte etwa Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Die Landesverkehrsminister stützen ihre Forderung ausgerechnet auf ein Gutachten des Lobbyverbands der Verkehrsunternehmen.

Allerdings bringt eine Verlagerung nur wenige Millionen Tonnen CO2, wie die NPM ermittelt hat. Im Straßenverkehr liege das Einsparpotenzial durch alternative Antriebe und Digitalisierung hingegen bei 33 bis 45 Millionen Tonnen. Die Debatte der nächsten Wochen wird angesichts knapper Kassen auch dahingehend geführt, wie teuer es bei der einen oder anderen Maßnahme sein wird, eine Tonne CO2 einzusparen. Am kostengünstigsten dürfte ein Tempolimit auf Autobahnen sein, mit dem sich schnell zumindest zwei Millionen Tonnen CO2 einsparen ließen.

Die Forderungen spielen längst in den Gesprächen von SPD, Grünen und FDP eine Rolle. Allein die Grünen wollen 50 Milliarden Euro in die Infrastruktur stecken, damit die Menschen in Zukunft vor allem Bus und Bahn fahren. Die FDP pocht darauf, die Schuldenbremse einzuhalten. Was tun angesichts leerer Kassen?

Arbeitgeber und Einwohner könnten die Rechnung erhalten

Eine Ahnung lässt sich in Baden-Württemberg ausmachen, wo die Grünen mit der CDU jüngst ihren Nahverkehrsplan aufgestellt haben: Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen im Ländle mit Bus und Bahn fahren. Bezahlen sollen den Umstieg alle – über kommunale Abgaben für Einwohner und Arbeitgeber. Auch eine Citymaut steht als Option im Raum. Im Gegenzug könnten Bürger ein Nahverkehrsguthaben erhalten.

Neben der Frage, wer den Umstieg finanzieren soll, ist noch unklar, welche Form der Mobilität sich in Zukunft überhaupt selbst trägt. Bus und Bahn sind seit eh und je ein Zuschussgeschäft des Staates – Carsharing-Angebote und andere sogenannte „Mikromobilität“ rechnen sich bisher nicht.

„Mit den geschärften Klimazielen steigt der Realisierungsanspruch, bis 2030 verfügbare Lösungen schneller zu skalieren“, sagte Loogen. „Gleichzeitig seien Innovationen nötig, um bis 2045 klimaneutral zu werden. „Dabei müssen alle Lösungen privat und staatlich finanzierbar dargestellt werden, und es gilt, die Unterstützung breiter Gesellschaftsschichten für die doch maßgeblichen Veränderungen zu gewinnen“, mahnte er.

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Wirtschaftlich ist das Automobil. Zumindest verbuchen die Automobilkonzerne Milliardengewinne. Zugleich verdienen allein in Deutschland rund ums Automobil 3,26 Millionen Menschen ihren Broterwerb, wie das Institut der deutschen Wirtschaft sowie Fraunhofer IAO im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ermittelt haben.

118 der 401 Kreise und kreisfreien Städte „haben eine besondere Prägung durch die Automobilwirtschaft“ und seien bisher besonders innovativ, heißt es darin. 40 dieser Regionen werden es aber besonders schwer haben, den Wandel weg vom Verbrennungsmotor zu meistern. Es geht um 140.000 von bundesweit 260.000 Beschäftigten, die noch konkret im konventionellen Bereich arbeiten. Zu den stark betroffenen Regionen zählen Bamberg, der Saarpfalz-Kreis, Salzgitter und Schweinfurt.

Die Autoindustrie soll eine Schlüsselindustrie bleiben

Zugleich hat die Studie bereits 125.000 Beschäftigte identifiziert, die für die Zukunftsfelder Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung arbeiten. Die meisten von ihnen arbeiten im Bodenseekreis, in Ingolstadt und in Wolfsburg, aber auch in Bayern, Sachsen und Thüringen.

Während die Branche in den nächsten Jahren selbst rund 150 Milliarden Euro in die Zukunftsfelder investieren will, will der Bund den Strukturwandel in den besonders betroffenen Regionen über einen mit einer Milliarde Euro dotierten Fonds flankieren. Die Klimaschutzziele in Europa wie in Deutschland sorgten dafür, dass die Hersteller früher als geplant aus dem Verbrennungsmotor ausstiegen, heißt es in der Studie. Dies habe einen Stellenabbau zur Folge, „der bereits aktuell stattfindet“.

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Auch diesen Wandel hat die NPM im Blick gehabt und bereits „regionale Kompetenz-Hubs“ initiiert, in denen die Arbeitswelt von morgen entsteht und die alten Produktionsprozesse ablöst. Auch sind Ergebnisse der Arbeitsgruppen in die diversen Autogipfel im Kanzleramt eingeflossen.

Aus Sicht der Automobilindustrie ist die Arbeit der NPM daher ein großer Erfolg. „In der Zusammenarbeit wurden alle Verkehrsträger und der jeweilige Bedarf berücksichtigt“, resümierte VDA-Präsidentin Müller. Sie setze auf „Dialog und Kooperation statt Konfrontation. So liege in der Vernetzung der Verkehrsträger „unendlich viel Potenzial“. Wie viel, dass soll etwa die Hamburger App zeigen.

Mehr: Autonomes Fahren: Regierung wartet auf die Hersteller

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