Neuer Report Denunzianten oder wichtige Hinweisgeber? Wer sich wirklich als Whistleblower in Unternehmen meldet

Potenzielle Whistleblower können bei Unternehmen ihre Meldungen zum Teil anonym einreichen.
Berlin Whistleblower decken meist illegale, unmoralische oder illegitime Verhaltensweisen von Unternehmen auf. Doch melden sich wirklich wichtige Hinweisgeber zu Wort oder doch eher Denunzianten, die nur jemanden gezielt anschwärzen oder sich rächen wollen?
Diese Debatte wurde zuletzt wieder durch das von Baden-Württemberg freigeschaltete Online-Meldeportal für Steuerbetrug angeheizt. Nun liefert der Whistleblowing Report 2021 der Technologiefirma EQS in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Graubünden aktuelle Daten mit Blick auf Unternehmen.
Eine der Erkenntnisse: In Deutschland kommt es zu weniger Meldungen als in Großbritannien oder Frankreich. Und nur selten werden die Meldungen missbräuchlich eingesetzt.
Wer „petzt“ wie im Betrieb, wer gibt relevante Hinweise? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Werden die Unternehmen in Deutschland mit Hinweisen über Missstände überflutet?
Nein, legt der Whistleblowing Report 2021 nahe. Für den Report wurden insgesamt 1239 Großunternehmen und kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) befragt, davon 291 Unternehmen aus Deutschland, 338 aus Frankreich, 296 aus Großbritannien und 314 aus der Schweiz. Demnach gingen im vergangenen Jahr bei Unternehmen mit Meldestelle durchschnittlich 34 Meldungen ein.
Großunternehmen sowie international tätige Unternehmen erhielten dabei verhältnismäßig mehr Meldungen. KMUs erhielten 2020 im Schnitt nur sechs Meldungen. Speziell in Deutschland wurde demnach bei gut 60 Prozent der befragten Unternehmen mit Meldestelle illegales oder unethisches Verhalten gemeldet. In den anderen drei Ländern liegt der Anteil der Meldestellen, bei denen tatsächlich Hinweise eingegangen sind, allerdings tiefer.
Wie häufig melden sich tatsächlich Denunzianten zu Wort?
Im Report heißt es: „Ein wiederkehrend geäußerter Vorbehalt hinsichtlich Meldestellen ist die Sorge, dass hinweisgebende Personen diese missbräuchlich nutzen könnten, um nicht wahrheitsgemäße oder verleumderische Meldungen, die einzelne Mitarbeitende oder das gesamte Unternehmen potenziell schädigen, einzureichen.“
Konkret betrug der Anteil missbräuchlicher Meldungen in Deutschland im vergangenen Jahr 10,7 Prozent. Der Missbrauch von Meldekanälen sei „die absolute Ausnahme“, heißt es im Report.
Gleichzeitig werde auch deutlich, dass der Anteil missbräuchlicher Meldungen bei Unternehmen, die anonymes Melden zulassen, nicht höher liegt als bei denjenigen, die keine anonymen Meldungen entgegennehmen. Im Vergleich zu den anderen Ländern erhalten die Meldestellen in Deutschland aber einen höheren Anteil missbräuchlicher Meldungen. Zum Vergleich: Bei den untersuchten Schweizer Unternehmen wurden 5,7 Prozent, bei den französischen 6,4 Prozent und bei den britischen 8,2 Prozent der eingehenden Meldungen als missbräuchlich eingestuft.
Welche Menschen melden sich und wie?
Einen gewissen Anteil machen Meldungen von Menschen aus, die zwar keine missbräuchliche Absicht haben, die aber mit ihrer Thematik bei der Meldestelle an der falschen Adresse sind. Ihre Meldungen können unternehmensinterne Probleme betreffen, wie etwa Betriebsprobleme technischer Art, oder persönliche Beanstandungen, zum Beispiel in Bezug auf den Führungsstil. Solche Meldungen sind aus Sicht von Compliance, also der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften durch Unternehmen, nicht relevant.
Laut Report beeinträchtigen sie den Betrieb der Meldestelle meistens nicht und können ohne großen Aufwand an die verantwortliche Abteilung – zum Beispiel an den technischen Support oder die Personalabteilung – übermittelt werden. In Deutschland betrug der Anteil an „nicht relevanten Meldungen“ demnach im vergangenen Jahr 45,1 Prozent.
Wie viele Hinweisgeber machen wirklich relevante Meldungen über Missstände?
Im Report heißt es: „Mitarbeitende, die Missstände intern melden, sind an einer Verbesserung der Umstände interessiert und möchten dabei helfen, ihr Unternehmen vor Schaden und schlechter Presse zu schützen.“ Ohne mutige Whistleblower würde die Gesellschaft von Wirtschaftskriminalität, wie in den Fällen von Cum-Ex und Wirecard oder von Gefahren für Gesundheit, Umwelt und Menschenrechte oft nicht erfahren.
Laut der Umfrage umfasst der Anteil solch „relevanter Meldungen“, die auch wirklich ein Compliance relevantes Thema betreffen, hierzulande zuletzt 44, 2 Prozent. Zum Vergleich: In Großbritannien und der Schweiz ist gut die Hälfte der eingehenden Meldungen relevant und gehaltvoll. In Frankreich beträgt der Anteil sogar 64 Prozent. Die Meldestellen werden in der Studie als „wirksames Instrument“ eingestuft, um Fehlverhalten aufzudecken und die Unternehmensreputation zu schützen. Je früher Missstände im Unternehmen identifiziert würden, desto früher könnten diese beseitigt und Strafzahlungen und Sanktionen abgewendet werden.
Welche Missstände melden Whistleblower in Deutschland?
Wer sich in Unternehmen mit relevanten Meldungen Gehör verschafft, der will in knapp einem Viertel der Fälle auf Verstöße im Bereich der geschäftlichen Integrität“ aufmerksam machen, zum Beispiel Bestechung, Korruption, Produktsicherheit und -konformität oder Wettbewerbs- und Kartellrechtsverstöße. Mit einem Anteil von 21,9 Prozent folgen Missstände im Personalwesen (HR). Hier geht es um Diskriminierung, Belästigung oder Mobbing. 17,3 Prozent der Meldungen betreffen Rechnungswesen, Wirtschaftsprüfung und Finanzberichterstattung, also etwa finanzielles Fehlverhalten oder Fälschung von Finanzdokumenten.
Auf Verstöße gegen Umweltschutzvorschriften oder Menschenrechte, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz weisen jeweils knapp zehn Prozent der Hinweisgeber hin. Die Veruntreuung von Unternehmensvermögen prangern 7,4 Prozent der Meldungen an. Auf Missstände beim Datenschutz und bei der Sicherheit von Netz- und Informationssystemen weisen 6,4 Prozent der Meldungen hin.
Wer darf sich bei Unternehmen melden?
Laut Report sind die mit Abstand wichtigsten Adressaten der internen Meldestellen die Mitarbeitenden. Sie können in 90 Prozent der Fälle, also bei fast allen befragten Unternehmen mit Meldestelle Meldungen einreichen. Weitere interne Anspruchsgruppen wie Aktionäre und Eigentümer können bei rund 30 Prozent der Unternehmen Missstände melden. Aber auch für externe Anspruchsgruppen, wie Kunden und Lieferanten, besteht die Möglichkeit, sich an die unternehmenseigene Meldestelle zu wenden.
Zuletzt habe jedoch der Anteil der Unternehmen, die mit ihrer Meldestelle auch ihre Kunden adressierten, um gut zehn Prozentpunkte abgenommen, heißt es in der Studie. In Deutschland können potenzielle Hinweisgebende demnach bei über 70 Prozent der Unternehmen ihre Meldungen anonym einreichen.
Hat sich die Coronakrise auf die Hinweisgeber ausgewirkt?
Die Pandemie hat Auswirkungen auf die Meldebereitschaft in Unternehmen, befindet die Studie: Im Vergleich zu 2018 haben die Unternehmen 2020 deutlich weniger Meldungen erhalten. Es wird vermutet, dass potenzielle Hinweisgeber aufgrund des fehlenden informellen Austauschs beschränkten Zugang zu Informationen hatten oder Meldungen aufgrund anderweitig genutzter (Zeit-)Ressourcen nicht gemacht wurden, da die Mitarbeitenden mit der Anpassung an die Coronasituation beschäftigt waren.
Bei Unternehmen, in denen es coronabedingt zu einem Mitarbeiterabbau kam oder in denen ein Großteil der Mitarbeitenden im Homeoffice gearbeitet hat, gingen mehr Meldungen ein. Kurzarbeit oder die eingeschränkte Möglichkeit, sowohl von nationalen als auch internationalen Dienstreisen, zeigten demnach hingegen keinen statistisch signifikanten Zusammenhang mit der Anzahl der Missstände in Unternehmen.
Worauf müssen sich Hinweisgeber künftig einstellen?
Im Dezember 2019 wurde die EU-Whistleblower-Richtlinie verabschiedet. Nur noch bis zum 17. Dezember 2021 haben die EU-Mitglieder Zeit, um die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie sieht vor, dass Personen geschützt werden, die Verstöße gegen das EU-Recht in bestimmten Bereichen melden – etwa bei Steuerbetrug, Geldwäsche und Missständen in Unternehmen.
Sie gilt sowohl für den öffentlichen Bereich wie auch für Firmen. So müssen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden dazu verpflichtet sein, Meldekanäle für interne und wahlweise auch externe Anspruchsgruppen einzurichten. Ab 2023 wird die Regelung auf Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden ausgeweitet. Laut Report geben 43 Prozent der befragten deutschen Unternehmen an, noch keine der EU-Anforderungen erfüllt zu haben, speziell bei den KMUs beträgt der Anteil 64 Prozent – ein „beträchtliches Niveau“, befindet der Report.
Hat Deutschland die Richtlinie schon umgesetzt?
Nein, das hat vor der Bundestagswahl nicht mehr geklappt. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte zwar im Dezember 2020 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie wollte allerdings, dass der Schutz für Hinweisgeber nicht nur gilt, wenn es um Verstöße gegen EU-Recht geht, sondern auch, wenn Verstöße gegen deutsches Recht gemeldet werden. CDU und CSU kritisierten, dass die Ministerin „ohne Not“ über die Vorgaben aus Brüssel hinausgeht. In der neuen Legislaturperiode müssen die Beratungen über das Gesetz nun von Neuem beginnen.
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