Neues Schulfach in Baden-Württemberg: Wirtschaft für die Wirklichkeit
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Neues Schulfach in Baden-WürttembergWirtschaft für die Wirklichkeit
Von Finanzdingen haben viele Jugendliche nur wenig Ahnung. Als erstes Bundesland führt Baden-Württemberg das Fach Wirtschaft verpflichtend ein. An Inhalten wird noch gefeilt. Zudem fehlt es noch an ausgebildeten Lehrern.
Es gibt noch nicht genug ausgebildete Wirtschaftslehrer.
(Foto: picture alliance / Felix Kästle/)
Düsseldorf Was eine Aktie ist, das wissen immerhin acht von zehn Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Was man aber genau unter dem Wort „Rendite“ versteht? Da müssen sechs von zehn passen. Insgesamt haben vier von zehn der 14- bis 24-Jährigen schlechte oder sehr schlechte Wirtschaftskenntnisse. Wirklich erschreckt haben diese Ergebnisse der letzten Jugendstudie des Bankenverbands wohl niemanden mehr, zu oft schon zeigte sich ein ähnliches Bild: Von Wirtschaft und Finanzdingen haben viele Jugendliche, aber auch Erwachsene, nur wenig Ahnung.
Woher auch? An vielen Schulen lernt man dazu kaum etwas. Baden-Württemberg allerdings hat das Fach Wirtschaft gerade eingeführt, seit diesem Schuljahr ist es Pflicht an allen weiterführenden Schulen. Das erste Mal damit in Berührung kommen die Schüler aber erst ab dem Herbst 2017, wenn die Siebtklässler in den Haupt-, Real- oder Gemeinschaftsschulen in das Fach einsteigen. In den Gymnasien bleibt noch ein weiteres Jahr Zeit, dort wird „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ erst ab dem Schuljahr 2018/2019 ab der achten Klasse unterrichtet.
Das Grundkorsett für das neue Fach steht – was die Schüler lernen sollen, ist im neuen Bildungsplan des Landes festgeschrieben. Jetzt geht es an die Details, erarbeiten Lehrer Unterrichtskonzepte und Pläne für die jeweiligen Jahrgänge – und Experten die Fortbildung für Pädagogen. Denn ausgebildete Wirtschaftslehrer gibt es noch nicht genug.
Schulfach Wirtschaft
Ein reines Schulfach Wirtschaft, das an allen weiterführenden Schulen verpflichtend ist, hat nur Baden-Württemberg. Ein eigenes Fach Wirtschaft gibt es an Gymnasien etwa in Bayern oder Niedersachsen, es ist meist nicht verpflichtend. In Nordrhein-Westfalen gab es vor wenigen Jahren einen Modellversuch für das Schulfach Wirtschaft an Realschulen. Nach dessen Abschluss wurde es aber nicht Pflicht, sondern nur ein freiwilliges Angebot.
In vielen Bundesländern wird Wirtschaft in einem Fächerverbund unterrichtet. Hinter dem können je nach Land vollkommen unterschiedliche Konzepte stehen. Die Verbünde heißen etwa Wirtschaft-Arbeit-Technik oder Wirtschaft, Technik, Haushalt.
Bei einem Haus wäre der Bildungsplan vergleichbar mit dem Rohbau. Um den Innenausbau kümmern sich nun Lehrer. Beate Thull, die an einem Gymnasium Gemeinschaftskunde, Wirtschaft und Deutsch unterrichtet und am Seminar in Heilbronn Referendare ausbildet, ist eine von ihnen. Sie kennt sich mit dem Fach aus, hat es wie ein paar Kollegen an einem Dutzend anderer Schulen schon ein Jahr mit ihren Schülern getestet. Eines der Ziele: überprüfen, ob die Inhalte auch wirklich zur Lebenswirklichkeit der Jugendlichen passen.
An den weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg gab es vorher einen Fächerverbund aus Erdkunde, Gemeinschaftskunde und Wirtschaft, am Gymnasium waren Wirtschaftsthemen auch im Fach Gemeinschaftskunde enthalten. Für Thull und ihre Kollegen bedeutet das: Sie müssen nicht alles neu erarbeiten, sondern können auf dem Fachwissen und der Didaktik des Bisherigen aufbauen. „Allerdings müssen die Inhalte auf den neuen Bildungsplan zugeschnitten werden“, sagt sie. Wie genau eine Schule dem Bildungsplan Leben einhaucht, bleibt den Lehrern vor Ort überlassen. Die Unterrichtskonzepte und Vorschläge geben Orientierung und Hilfe. Die Lehrer können sie eins zu eins übernehmen, müssen es aber nicht.
Neue Schulbücher nötig
Thulls Kollege Ulrich Göser verteilt den Unterrichtsstoff gerade auf die einzelnen Klassenstufen. Der Fachleiter am Seminar Heilbronn für Gemeinschaftskunde und Wirtschaft hat auch in der Bildungsplankommission am neuen Fach mitgearbeitet. Eines der Themen in der achten Klasse ist die Schuldenkrise, hier sollen die Schüler verstehen, „inwieweit die Gesellschafts- oder Wirtschaftsordnung das ökonomische Handeln beeinflusst“. Die Themenfelder für die siebte Klasse an Haupt- beziehungsweise Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen sind schon in der Prüfung bei der zuständigen Landesbehörde. Die Schüler sollen durch das Fach Wirtschaft nicht nur mündige Wirtschaftsbürger werden, sondern auch ihre Rolle als Konsumenten, als Erwerbstätige oder als Unternehmer kennenlernen und analysieren sowie bei der Berufswahl unterstützt werden.
Vom Sinn und Unsinn des Sparens
Der Schülerwettbewerb Wirtschaft und Finanzen von der Flossbach von Storch Stiftung und „Handelsblatt macht Schule“ richtet sich an Schülerinnen und Schüler aller Schulformen ab der Jahrgangsstufe 7. Weitere Informationen unter www.econo-me.de.
Für ein neues Fach sind auch neue Schulbücher nötig. Jene für die siebten Klassen der Sekundarschulen stehen spätestens zum neuen Schuljahr in den Regalen, fürs Gymnasium müssen die Lehrbücher, die manche Pädagogen als „heimlichen Lehrplan“ bezeichnen, erst zum Schuljahr 2018/19 fertig sein.
Beate Thull hat zuletzt mit einer Handvoll Kollegen viel an solch einem Buch für einen der Schulbuchverlage gearbeitet – die Autorenteams bestehen fast immer aus Lehrern, die von Experten in den Verlagen unterstützt werden. Vor Weihnachten saß sie an einem Kapitel zur Arbeit 4.0, also der Frage, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert. „Die Schüler sind in der achten Klasse noch sehr jung, es muss so aufbereitet sein, dass es für sie handelbar ist“, sagt Thull.
Unterrichten werden das neue Fach an den Gymnasien oft Lehrer, die nicht Wirtschaft, sondern etwa Erdkunde oder Politik studiert haben. Bis die ersten Wirtschaftslehrer ihr Studium an den Universitäten beenden, dauert es noch einige Jahre. An den pädagogischen Hochschulen, die in Baden-Württemberg die Lehrer für Haupt-, Real- oder Gemeinschaftsschulen ausbilden, konnte man das Fach zwar auch bisher schon studieren. Doch die Zahl der Absolventen war teils eher überschaubar. Wirtschaft werde weiterhin auch von anderen Fachlehrern unterrichtet werden, sagt Bernd Remmele von der Pädagogischen Hochschule Freiburg.
Nicht nur deshalb wird es eine Fortbildungsreihe für die weiterführenden Schulen im ganzen Land geben, die ersten Termine stehen schon fest. Remmele entwickelt mit Kollegen seiner Hochschule und der Freiburger Universität gerade die Module für die Weiterbildung: Markt und Preisbildung, Ökonomie und nachhaltige Entwicklung, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik sowie die Grundlagen der Betriebswirtschaft. Für jedes Modul soll es Erklärfilme und weitere Materialien geben. Ob alle Fachlehrer einer Schule die Weiterbildung besuchen oder nur einige, die das Wissen dann an ihre Kollegen weitergeben, wissen die Lehrer zum Teil noch nicht. „Die Struktur des Bildungsplans ist sehr komplex, daher sind Fortbildungen wichtig, um die Logik hinter dem Plan zu verstehen“, sagt Gemeinschaftskunde- und Wirtschaftslehrer Göser. Für ihn ist wichtig: „Die Kollegen werden nicht alleingelassen.“
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