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Öffentliche Aufträge Reaktionen auf Fluten und andere Krisen: Bund fordert von EU Reform des Vergaberechts

Um in Notsituationen schneller handeln zu können, will Berlin das Vergaberecht reformieren. In den Flutregionen wird schon jetzt die Auftragsvergabe vereinfacht.
18.08.2021 - 11:00 Uhr Kommentieren
Die öffentlichen Stellen in den betroffenen Regionen können Ausnahmeregelungen bei der Beschaffung nutzen. Quelle: dpa
Flutkatastrophe Rheinland-Pfalz

Die öffentlichen Stellen in den betroffenen Regionen können Ausnahmeregelungen bei der Beschaffung nutzen.

(Foto: dpa)

Berlin Die Bundesregierung will das Vergaberecht für künftige Krisen wappnen. In einem Schreiben fordert das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) die EU-Kommission auf, schnellstmöglich eine Ausnahmeregelung für öffentliche Aufträge bei Notständen umzusetzen. „Dies würde es den öffentlichen Auftraggebern a priori ermöglichen, Aufträge […] direkt zu vergeben“, heißt es in dem Dokument, das dem Handelsblatt vorliegt.

Die Corona-Pandemie hat die Schwächen des geltenden Vergaberechts aufgezeigt. Medizinische Schutzgüter wie Masken oder Tests konnten nicht schnell genug angeschafft werden, oder direkte Vergaben erfolgten unter rechtlicher Unsicherheit.

Das Vergaberecht sieht grundsätzlich vor, dass öffentliche Stellen wie Behörden sich an strenge Regeln halten müssen, wenn sie etwas kaufen. Ab bestimmten Kosten müssen sie öffentlich und europaweit ausschreiben, mehrere Angebote einholen und auskömmliche Fristen setzen.

Zwar erlaubt die EU-Gesetzgebung Ausnahmen. Beispielsweise können Aufträge vergeben werden, ohne sie vorher zu veröffentlichen. Doch diese Regelung ist an mehrere Bedingungen geknüpft. „Die Entwicklung der Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass dabei die Rechtsbegriffe ‚unvorhergesehenes Ereignis‘ und ‚äußerste Dringlichkeit‘ eine unsichere Rechtsgrundlage“ ergäben, steht in dem Papier des Wirtschaftsministeriums.

Vom Koalitionspartner kommt verhaltener Zuspruch. „Für eine erste Reaktion in einer akuten Krisensituation wäre eine solche Lösungsmöglichkeit hilfreich“, sagte der SPD-Abgeordnete Marcus Held.

„Im Bereich der Beschaffung nicht wahllos agieren“

Er warnt jedoch davor, das Vergaberecht komplett auszuhebeln: „Dass es auch in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie wichtig sein kann, im Bereich der Beschaffung nicht wahllos zu agieren, hat man in Fällen der Maskenbeschaffung gesehen.“

Wie problematisch das Vergaberecht in Krisen werden kann, hatte der Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 gezeigt. Damals musste möglichst schnell Schutzausrüstung wie Atemschutzmasken beschafft werden. Wie chaotisch es dabei zuweilen zuging, belegt das damalige Handeln von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Durch das von ihm gewählte „Open-House-Verfahren“ zur Beschaffung von Masken entstanden offenbar so viele Unklarheiten, dass zwischenzeitlich mehr als 60 Klagen von Maskenlieferanten gegen das Ministerium vorlagen.

Der rechtpolitische Sprecher der FDP, Jürgen Martens, merkt an, dass die neue Vorschrift klar von den geltenden Regeln zur Vergabe in Krisenzeiten abgegrenzt werden müsse. „Ansonsten sorgen zu viele Zwischenstufen nur für Verwirrung.

Der Vergaberechtler Marcus Junk lobt den Vorstoß, mahnt jedoch an, den Zeitraum des Einsatzes zu begrenzen. „Neue Lösungsanbieter und insbesondere Start-ups kämen sonst kaum mehr zum Zug, weil die Beschaffer es sich einfach machen und stets nur auf ihre bekannten Hoflieferanten setzten“, sagt Junk. So komme der öffentlichen Beschaffung eine große Rolle für die Entwicklung von neuen, innovativen Lösungen zu.

Der Einsatz des Kriseninstruments für die direkte Vergabe soll nach Vorstellung von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) tatsächlich „streng auf einen im Voraus festgelegten Zeitraum begrenzt sein, der verlängert werden kann, wenn die Not- oder Krisensituationen fortbestehen“.

Wann die Ausnahmeregelung angewendet werden kann, soll von der EU-Kommission selbst oder durch einzelne Mitgliedstaaten initiiert werden. Die Befreiung von den Vorschriften der öffentlichen Auftragsvergabe könne sowohl EU-weit als auch in einzelnen geografischen Bereichen gelten. Die Regelung soll auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen sowie ausgewählte öffentliche Stellen beschränkt werden.

Hochwasserregionen können Ausnahmen eingeschränkt nutzen

Die Schwierigkeiten des Vergaberechts in Krisenzeiten haben sich auch bei den Flutkatastrophen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vor wenigen Wochen gezeigt. Es mussten Notstromaggregate angeschafft und Firmen beauftragt werden, um Stromleitungen wieder aufzubauen.

In manchem Bürgermeisterbüro hatte Unsicherheit geherrscht, inwieweit die Flut von den strengen Regeln des Vergaberechts befreit – schließlich ist das flächendeckende Kriseninstrument noch in einem frühen Diskussionsstadium.

Die Corona-Pandemie hatte die Schwächen des geltenden Vergaberechts aufgezeigt. Quelle: dpa
Masken

Die Corona-Pandemie hatte die Schwächen des geltenden Vergaberechts aufgezeigt.

(Foto: dpa)

Das BMWi hat in einem Schreiben an die Länder und die kommunalen Spitzenverbände jetzt klargemacht: Die öffentlichen Stellen in den betroffenen Regionen können sich immerhin einige Ausnahmeregelungen zunutze machen. Insbesondere das „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ soll den Betroffenen schnellere und einfachere Auftragsvergaben ermöglichen.

Die Hochwasser hätten „ganze Landstriche verwüstet, Liegenschaften erheblich beschädigt und Infrastruktur zerstört, die dringend wiederhergestellt werden müssen“, heißt es in dem Schreiben. Daher seien die Voraussetzungen für diese besondere Vergabeform gegeben.

Angebote können dabei ohne die Beachtung konkreter Fristvorgaben eingeholt werden. Die öffentlichen Stellen können gar verlangen, dass ein Angebot noch am selben Tag der Anfrage vorgelegt wird. Auch die Pflicht, mindestens drei Unternehmen anzusprechen, entfällt.

„Sollten es die Umstände – wie in der akuten Hochwassernotlage – erfordern, kann auch nur ein Unternehmen angesprochen werden“, erklärt das Ministerium. Dieses stellt den betroffenen öffentlichen Stellen zudem frei, bereits bestehende Verträge zu verlängern und auszuweiten – sofern der Preis nicht um mehr als 50 Prozent erhöht wird.

Der Brief des BMWi ist auf Dienstag datiert – mehr als einen Monat nach der Flutkatastrophe. Das Bundeskabinett will am Mittwoch die Finanzhilfen für die betroffenen Regionen beschließen, insbesondere den Wiederaufbaufonds in Höhe von 30 Milliarden Euro. Doch die Aufbauarbeiten haben vor Ort längst begonnen. Hätte die Klarstellung zu den Vergabeverfahren eher kommen müssen?

SPD-Politiker Held sieht das so, die Klarstellung komme „viel zu spät“. Das Ministerium habe offenbar intensiv geprüft, um keinen Rechtsfehler zu begehen. „Genau für diese Prüfung haben Entscheider vor Ort aber in solchen Fällen wie der Flutkatastrophe keine Zeit“, kritisiert er.

Eine Ministeriumssprecherin entgegnete auf Anfrage, dass es sich bei dem Schreiben nicht um eine erstmalige Information handle, sondern vielmehr um eine Zusammenfassung des Austauschs mit den Betroffenen der vergangenen Wochen.

Mehr: Hilfsfonds für Flutopfer wird rund 30 Milliarden Euro umfassen

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