Öffentlicher Raum SPD-Chefin Esken fordert Verbot von Gesichtserkennung – FDP und Grüne fürchten „Totalüberwachung“

Die SPD-Chefin warnt vor Diskriminierung durch eine Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.
Berlin In Deutschland ist eine Debatte über den Einsatz von Technologie zur Gesichtserkennung entbrannt. Auslöser ist ein Bericht der „New York Times“ über eine US-Firma namens Clearview AI. Das Unternehmen soll eine Datenbank aus rund drei Milliarden frei im Internet zugänglichen Bildern zusammengestellt haben und auf dieser Basis unter anderem diversen Behörden einen Service zur Gesichtserkennung anbieten. Die Union zeigt sich grundsätzlich offen für Gesichtserkennung, sofern deren Einsatz klar geregelt wird. Die SPD lehnt Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ab.
„Ich kann nur empfehlen, sich in Kürze mit dem europaweiten Verbot von Gesichtserkennung zumindest im öffentlichen Raum zu befassen“, sagte die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, dem Handelsblatt. „Nicht von ungefähr hat die Stadt San Francisco den Einsatz von Videokameras mit Gesichtserkennung im öffentlichen Raum mittlerweile verboten, weil sie einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen darstellt.“ Insbesondere für Angehörige von Minderheiten könne sie „erhebliche Diskriminierung“ mit sich bringen.
Mit Blick auf die Aktivitäten der amerikanischen Gesichtserkennungs-Firma Clearview AI warnte Esken, die Verwendung mehr oder minder öffentlicher Fotos, beispielsweise aus den sozialen Netzwerken, zum Aufbau einer Fotodatenbank mache im Ergebnis Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort identifizierbar. „Aus der bisher schon übergriffigen Technologie wird so ein Instrument der umfassenden Überwachung, das jedermann zur Verfügung stehen könnte - ein Orwellscher Alptraum“, sagte die SPD-Politikerin.
Der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski, forderte, schnell Regeln für Gesichtserkennung aufzustellen. Der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware müsse „zügig reguliert werden, bestenfalls auf europäischer Ebene anstatt im Alleingang“, sagte Schipanski dem Handelsblatt.
Er begrüßte in diesem Zusammenhang, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „die Regulierung von Künstlicher Intelligenz zu einer Priorität gemacht“ habe. „Ein öffentlich gewordener Entwurfstext schlägt ein temporäres Moratorium vor, während dieser Zeit soll eine Risikoabschätzung des Einsatzes von Gesichtserkennungs-Technologie erfolgen“, erläuterte Schipanski. „Das klingt erstmal nicht verkehrt.“
Allerdings hält der CDU-Politiker Ausnahmen für die weitere Forschung und Entwicklung für notwendig: „Denn sonst werden die künftig dominierenden technischen Lösungen wieder in China oder den USA entwickelt.“
Stimmen gegen die Gesichtserkennung
Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle lehnt die Gesichtserkennung ab. „Die Bundesregierung sollte ihre Pläne zur flächendeckenden Einführung von Gesichtserkennung an Verkehrsknotenpunkten überdenken und auf dieses Instrument verzichten“, sagte Kuhle dem Handelsblatt. Automatische Gesichtserkennung sei „der Anfang vom Ende der Privatsphäre“, fügte der Abgeordnete hinzu. „Solche Technologien passen zu totalitären Regimen wie in China, aber nicht zu den freiheitlichen Demokratien Europas.“
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte kürzlich über einen Gesetzesentwurf des Innenministeriums berichtet, in dem unter anderem auch die Rede von Gesichtserkennungssystemen an Bahnhöfen und Flughäfen sein soll. Laut dem Entwurf aus dem Hause von Ressortchef Horst Seehofer (CSU) sollen Gesichtserkennungssysteme an 135 deutschen Bahnhöfen und 14 Verkehrsflughäfen eingeführt werden.
Das Ziel sei es, „Menschen zu fassen, die zur polizeilichen Beobachtung oder Fahndung ausgeschrieben sind.“ Die Maßnahme, als eine von mehreren, würde die Kompetenzen der Bundespolizei deutlich erweitern. Der Entwurf werde derzeit mit dem Bundesjustizministerium abgestimmt.
Ein Pilotprojekt zur Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz hatte 2018 gezeigt, dass Computersysteme beim aktuellen Stand der Technik eine Trefferquote von mehr als 80 Prozent erreichen. Seehofer hatte seinerzeit dazu erklärt, die Systeme hätten sich „in beeindruckender Weise bewährt, so dass eine breite Einführung möglich ist“.
#Gesichtserkennung kann wesentlicher Beitrag zu effektiver #Verbrechensbekämpfung sein. Am Bahnhof Südkreuz wurde Technik sehr erfolgreich getestet,Trefferquote 80%. Deswegen finde ich begrenzten,zielgerichteten Einsatz richtig! @cducsubt @handelsblatt https://t.co/8H6lNpCtYS
— Dr. Jan-Marco Luczak (@JM_Luczak) January 23, 2020
Die Seehofer-Pläne stoßen auch bei den Grünen auf Ablehnung. „Wir dürfen nicht zu einer verdachtsunabhängigen Totalüberwachung kommen, wie sich Horst Seehofer das wünscht“, sagte der Hamburger Justizsenator, Till Steffen (Grüne), dem Handelsblatt.
Steffen betonte, die Balance zwischen Sicherheitsaspekten einerseits und den Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger andererseits sei wichtig. So würden in Europa und Deutschland „hohe Standards beim Datenschutz“ gelten. „Das ist auch notwendig, denn schließlich geht es hier um elementare Grundrechte“, sagte der Grünen-Politiker und fügte hinzu: „Diese Messlatte gilt auch für Technologien zur Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.“
Darauf hat auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber, hingewiesen. Grundsätzlich stelle die biometrische Gesichtserkennung „einen potenziell sehr weitgehenden Grundrechtseingriff dar, der auf jeden Fall durch konkrete Vorschriften legitimiert sein müsste“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine solche Legitimation sehe er derzeit nicht. „Ich würde es begrüßen, wenn in Europa die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum untersagt würde.“
Kein Marktzugang in der EU
Der Grünen-Digitalpolitiker Dieter Janecek forderte, Unternehmen wie Clearview sollten in der EU keinen Marktzugang erhalten. Das gäbe sowohl den Bürgerinnen und Bürgern als auch Behörden und Gerichten die nötige Sicherheit, sagte er. Zugleich betonte Janecek, dass die Frage des Umgangs mit biometrischer Gesichtserkennung auch darüber entscheide, „wie wir insgesamt in Europa wirksame Regeln für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz schaffen, um grundlegende Rechte und Freiheiten zu schützen“.
Für eine Regulierung plädierte auch Google-Chef Sundar Pichai bei einem Besuch diese Woche in Brüssel. Auf jeden Fall müsse Gesichtserkennung zu den Technologien auf Basis künstlicher Intelligenz gehören, die mit Priorität reguliert werden, betonte er.
Pichai bekräftigte, dass Google seit Jahren bewusst darauf verzichte, die Fähigkeit zur Gesichtserkennung als Dienstleistung anzubieten – „weil uns bewusst wurde, dass es eine Technologie voller Risiken ist“. Der Cloud-Rivale Amazon vermarktet dagegen eine entsprechende Technologie mit dem Namen Rekognition, die Kunden wie Ermittlungsbehörden auf ihre Bilddatenbanken anlernen können. Außerdem haben etliche asiatische Hightech-Konzerne Gesichtserkennungsprodukte im Angebot.
Mehr: Lesen Sie hier, warum Europa sich nicht scheuen sollte, Gesichtserkennung zu verbieten. Ein Kommentar.
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Frau Esken wird mir immer sympathischer - ja wir wollen keine zweites China durch die Hintertür!