Ostsee-Gaspipeline Rückschlag für Nord Stream 2: Bundesnetzagentur setzt Zertifizierung vorerst aus

Ohne eine Zertifizierung darf die Leitung nicht in Betrieb genommen werden.
Berlin Die Bundesnetzagentur setzt ihr Verfahren zur Freigabe des Gastransports durch die Gaspipeline Nord Stream 2 vorläufig aus. Zunächst müsse die Betreiberfirma nach deutschem Recht organisiert werden, teilte die Behörde am Dienstag mit. Die Betreiberfirma, die Nord Stream 2 AG, hat bislang ihren Sitz in der Schweiz. Das Unternehmen gehört zu 100 Prozent dem russischen Gazprom-Konzern.
Ohne die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur ist der Gastransport durch die fertiggestellte Ostseepipeline in den europäischen Binnenmarkt nicht zulässig. Der EU-Gasrichtlinie zufolge müssen Betrieb der Leitung und Vertrieb des Gases ausreichend getrennt sein.
Die Gasmärkte reagierten prompt. Der Preis für Terminkontrakte sprang am niederländischen Referenzmarkt TTF um etwa zehn Prozent in die Höhe.
Kritiker der Ostseepipeline begrüßten die Entscheidung indes. Die Bundesnetzagentur setze damit „deutsches und europäisches Recht konsequent um“, sagte Sergey Lagodinsky, EU-Parlamentarier der Grünen. „Das Prinzip der Entflechtung zwischen Netzbetrieb und Vertrieb muss effektiv bleiben. Umgehungsversuche mittels Briefkastenfirmen werden diesem Prinzip nicht gerecht.“
Nach Angaben der Bundesnetzagentur hat die Nord Stream 2 AG erste Schritte unternommen, die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Das Unternehmen habe sich dazu entschlossen, eine Tochtergesellschaft nach deutschem Recht für den deutschen Teil der Leitung zu gründen. Diese solle Eigentümerin des deutschen Teilstücks der Pipeline werden und dieses betreiben.
Zeitplan zur Zulassung unklar
Die Nord Stream 2 AG bestätigte die Darstellung der Netzagentur. Man wolle „die Einhaltung von geltendem Recht und Richtlinien gewährleisten“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Zu Details des Verfahrens, der möglichen Dauer und den Auswirkungen auf die Betriebsaufnahme der Pipeline wolle sich das Unternehmen nicht äußern.
Das Zertifizierungsverfahren bleibe so lange ausgesetzt, bis die Übertragung der wesentlichen Vermögenswerte und personellen Mittel auf die Tochtergesellschaft abgeschlossen sei, hieß es bei der Bundesnetzagentur weiter. Die Behörde könne dann ihre Prüfung fortsetzen.
Eigentlich läuft die Frist für das Verfahren am 10. Januar ab. Diese Frist verlängert sich nun so lange, wie das Verfahren ausgesetzt wird. In Verhandlungskreisen hieß es, das Genehmigungsverfahren könne sich um mehrere Monate verzögern.
Gleichwohl wird in der Branche nicht ausgeschlossen, dass die Pipeline auch ohne die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur in Betrieb genommen werden könnte.
„Die Bundesnetzagentur entscheidet nicht über die Aufnahme des Betriebs, sondern prüft die regulierungsrechtlichen Fragen, zum Beispiel die Einhaltung der Entflechtungsregeln“, hatte ein Sprecher der Bundesnetzagentur bereits vor einigen Wochen gesagt. „Sollten zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme die entflechtungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sein, so kann die Bundesnetzagentur dies als Ordnungswidrigkeit ahnden.“
Mit anderen Worten: Gazprom könnte die Pipeline schon vor Abschluss der Zertifizierung in Betrieb nehmen und würde allenfalls ein Bußgeld riskieren.
Jahrelanger Rechtsstreit möglich
Das Zertifizierungsverfahren der Bundesnetzagentur folgt den Bestimmungen der EU-Gasrichtlinie. Diese gilt für Pipelines, die aus Drittstaaten in die Europäische Union führen und nach 2019 gebaut wurden. Die Regelung schreibt nicht nur die Entflechtung vor. Zusätzlich müssen Drittanbieter Zugang zur Leitung erhalten. Die Anforderungen, die mit der Zertifizierung erfüllt werden müssen, gelten allerdings nur für jenes Teilstück der Pipeline, das durch deutsche Hoheitsgewässer verläuft.
Wie die Bundesnetzagentur die EU-Vorgaben interpretiert, dürften sie für Gazprom durchaus zu erfüllen sein, auch wenn dies Zeit und Geld kosten würde. Eine andere Frage ist, ob sich die EU-Kommission in Brüssel, die Nord Stream 2 wesentlich kritischer bewertet als die deutschen Behörden, damit zufriedengibt. Gut möglich, dass erst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in einigen Jahren die Unklarheiten beseitigt.
Bis dahin ist davon auszugehen, dass Entflechtung nicht zwingend bedeuten muss, dass Gazprom die Pipeline verkauft – eine konzerninterne Umstrukturierung könnte genügen. Der Zugang von Drittanbietern wiederum ließe sich womöglich mit einer „virtuellen Einspeisung“ sicherstellen. Wenn an einem bestimmten Punkt der Leitung ein Teil des Gases von einer russischen auf eine europäische Firma übertragen wird, könnte die Vorgabe erfüllt sein.
Bundesnetzagentur stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2 vorübergehend
Das Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur wird in Brüssel und Washington sehr genau verfolgt. Zwar wollte die EU-Kommission die aktuelle Entscheidung für eine Aussetzung des Verfahrens nicht kommentieren, die Brüsseler Behörde hatte aber immer wieder betont, Nord Stream 2 sei „kein Projekt im gemeinsamen europäischen Interesse“. Die Pipeline dürfe nur „auf transparente und nicht diskriminierende Weise mit einem angemessenen Maß an Regulierungsaufsicht“ betrieben werden.
Die Kommission zeigt sich entschlossen, die finale Entscheidung der Bundesnetzagentur kritisch zu überprüfen. Die Gasrichtlinie sieht dafür eine Frist von zwei Monaten vor, die unter bestimmten Umständen um weitere zwei Monate verlängert werden kann. Die Nord Stream 2 AG muss also auf weitere Verzögerungen gefasst sein.
Auch die Amerikaner erhöhen den Druck. US-Außenminister Antony Blinken sagte vergangene Woche nach einem Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, dass Washington beobachten werde, ob „Russland Energie als politisches Instrument in der europäischen Energiekrise einsetzen könnte“.
Bundesregierung sieht keine Anhaltspunkte für Missbrauch durch Russland
Die Sorge, dass Russland die Zertifizierung von Nord Stream 2 durch die Verknappung von Gaslieferungen nach Europa erzwingen will, ist in den vergangenen Monaten größer geworden. Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wonach die Exporte in die EU nach Inbetriebnahme der neuen Pipeline sofort ausgeweitet werden könnten, haben den Verdacht genährt, dass Russland die Energielieferungen zu politischen Erpressungsversuchen nutzen wird.
„Sollte Russland versuchen, Energie als Waffe einzusetzen oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine zu begehen, sind wir verpflichtet, und Deutschland ist verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen“, betonte Blinken.
Er spielte damit auf die Vereinbarung zu Nord Stream 2 an, auf die sich die Regierungen Deutschlands und der USA im Juli verständigt hatten. Darin heißt es fast wortgleich: „Sollte Russland versuchen, Energie als Waffe zu benutzen, oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine begehen, wird Deutschland auf nationaler Ebene handeln und in der Europäischen Union auf effektive Maßnahmen einschließlich Sanktionen drängen.“
Die Bundesregierung sieht bisher jedoch keine Hinweise darauf, dass Russland seine dominierende Stellung auf dem Gasmarkt politisch missbraucht. Die Bereitschaft, einen Konflikt mit Moskau zu führen, ist angesichts der fragilen wirtschaftlichen und politischen Lage Europas in Berlin derzeit äußerst gering.
US-Regierung will vorerst keine Sanktionen für europäische Firmen – und steht unter Druck
Ganz anders in den USA: Die US-Regierung steht wegen ihre Haltung zu Nord Stream 2 innenpolitisch schwer in der Kritik. Mit ihrer Entscheidung, in Absprache mit Berlin vorerst keine Sanktionen gegen europäische Firmen zu verhängen, um die Inbetriebnahme der Pipeline zu verhindern, hat sie den Kongress gegen sich aufgebracht.
Dort arbeiten Senatoren und Abgeordnete beider Parteien an einem Gesetz, das die Regierung zur Verhängung neuer Wirtschaftsstrafen zwingen würde. Präsident Joe Biden könnte dagegen zwar sein Veto einlegen. Doch es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich im Kongress eine vetobrechende Mehrheit findet.
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Einfach nur peinlich für Deutschland. Es werden Milliarden-Investitionen - auch von EU - Firmen - in Gefahr gebracht.
Welcher Investor wird denn diesen Laien-Schauspielern/innen noch glauben ?
Kommt uns - wegen der fälligen Entschädigungen - teuer zu stehen und haben trotzdem kein Gas.
Mit Verlaub - idiotisch und nicht im Sinne Deutschlands. Offensichtlich zählt der Amtseid nichts mehr.
Absurdes politsches Theater: Einerseits wird über steigende Ergaspreise lamentiert, Es sind keinerlei Füssigkeitsterminals für Amerikanische Fracking Produkte in Aussicht. Jetzt soll die Pipeline verzögert werden. Ich halte Handel mit "Feinden" für Kriegsverhinderung und Friedenschaffung in Europa. Dem grünen Ex-Maoist Herrn Büdikofer kann ich nicht glauben
im Text steht: " Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wonach die Exporte in die EU nach Inbetriebnahme der neuen Pipeline sofort ausgeweitet werden könnten, haben den Verdacht genährt, dass Russland die Energielieferungen zu politischen Erpressungsversuchen nutzen wird."
Die neue Pipeline darf also nicht für höhere/mehr Gaslieferungen genutzt werden??
Das ist/wäre evtl. russische Erpressung?
Und dann besser, wie schon erwähnt, bei der weiterhin unregulierten Belarus/Ukraine/Polen- Leitung bleiben?
@Herr Joachim Zuckschwerdt
Sie sprechen mir aus der Seele: Deutschland ist ein Bürokratiemonster. Die Politik ist chaotisch und launisch zum Nachteil der Wirtschaft - siehe Atomausstieg + CO2-Abgabe.
Wer hier investiert hat, wird neben den hohen Energiekosten zusätzlich mit der CO2-Abgabe bestraft. Besser in Indien oder China investieren - dort sind die Stromkosten bei ca. 8 Cent die kWh.
Puma und adidas machten es schon vor Jahrzehnten richtig: hier etwas forschen und designen, in Asien produzieren. Auch Apple ist jenen klugen Weg gegangen!
Wie beim Gotthard-Tunnel. Alles funktioniert, nur ab der deutschen Grenze stößt man auf schier unlösbare Probleme. Man kann Ausländern nur empfehlen, in Deutschland erst dann in Projekte zu investieren, wenn die deutsche Seite mit ihrem Anteil an dem Projekt fertig ist.
Man kann nur noch mit dem Kopf schütteln.
Ich gehe fest davon aus, dass dies nur Rückzugsgeplänkel ist und hoffe einfach, dass die Betreiber-Firma incl. Gazprom beharrlich genug ist, diesen steinigen Weg abzuarbeiten. Letztlich wird auch die EU-Kommission irgendwie zustimmen. Übrigens: wir haben es ja teilweise selbst in der Hand, bei den nächsten Wahlen Gegner wie Frau Baerbock/Grüne "einzunorden". Innerhalb der SPD sehe ich keine Probleme, da ja die erstarkte Frau Schwesig dieses Projekt heftig unterstützt.
...kein Problem. Wir heizen mit Windkraft und Solarenergie.
Die Bundesnetzagentur - ein bürokratisches Monster - sinnvolle und wichtige Investitionen möglichst lange verhindern! So funktioniert die deutsche Bürokratie und die chaotische Politik!
so macht man sich erpressbar - nicht von Russland, aber von Weißrussland und der Ukraine ...