Ostseepipeline Nord Stream 2 spaltet Europa – Jetzt wächst auch in Berlin der Widerstand
Berlin, Brüssel Als US-Botschafter in Berlin hatte sich Richard Grenell zwei Ziele gesetzt, als er im Mai sein Amt antrat: europäische Konzerne aus dem Iran vertreiben und die Pipeline Nord Stream 2 verhindern. Das erste Ziel hat er erreicht, und dem zweiten kommt er näher.
In den Berliner Regierungskoalitionen schwindet der Rückhalt für das Projekt, das noch mehr russisches Gas nach Europa leiten soll. Grenell nimmt das zufrieden zur Kenntnis. „In Deutschland und ganz Europa gibt es einen wachsenden Widerstand gegen Nord Stream 2“, sagte er dem Handelsblatt.
Die Bundesregierung verteidigt sich gegen den Widerstand: „Nord Stream 2 kann dazu beitragen, die Versorgungssicherheit Europas zu verbessern“, betont das Auswärtige Amt. Und das Wirtschaftsministerium erklärt: Russische Gaslieferungen nach Europa einzuschränken, sei „keine sinnvolle Politik“. Doch in der Koalition rumort es.
Zumindest technisch geht es mit Nord Stream 2 voran, wie es die „Pioneering Spirit“, ein Seeungetüm, ein Monstrum aus Stahl, zeigt. Das Verlegeschiff, seit August 2016 auf den Weltmeeren im Einsatz, gehört mit einer Länge von 382 Metern und einer Breite von 123 Metern zu den größten Schiffen überhaupt.
Vor wenigen Tagen hat das Schiff über die Große-Belt-Querung in Dänemark die Ostsee erreicht; in dieser Woche wird die „Pioneering Spirit“ damit beginnen, vor der Küste Finnlands Rohre für die Pipeline Nord Stream 2 zu verlegen.
Das 9,5-Milliarden-Euro-Projekt soll die Kapazität der 2011 in Betrieb genommenen Nord-Stream-Pipeline verdoppeln und noch mehr russisches Erdgas quer durch die Ostsee über eine Strecke von 1200 Kilometern bis nach Greifswald transportieren. Schon im kommenden Jahr könnte der maßgeblich von Russland und Deutschland vorangetriebene Bau abgeschlossen sein.
Doch je näher die Fertigstellung rückt, desto stärker wird der Widerstand. Gerade erst hat das europäische Parlament gefordert, den Bau abzubrechen. Auch die EU-Kommission zählt zu den Gegnern. Die Osteuropäer wettern ohnehin gegen das Projekt, seit Jahren schon. Und sie haben einen mächtigen Verbündeten gefunden: die USA.
Kritiker sorgen sich um Europas Energieunabhängigkeit
Die Nordstream-Kritiker eint die Sorge, dass die Pipeline Europas Energieabhängigkeit von Russland verstärkt. „Warum sollten wir Putin mehr Macht über Europa geben?“, fragt Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin – und weiß nicht nur seine Regierung hinter sich, sondern auch eine breite Mehrheit im Kongress.
Deutschland steht mit seiner unverbrüchlichen Treue zu der neuen Pipeline ziemlich einsam da. Erst recht, seit die russische Kanonenbootpolitik im Asowschen Meer der Welt erneut vor Augen geführt hat, wie ruchlos der Kreml das Recht des Stärkeren in seiner Nachbarschaft durchsetzt.
Doch bei aller Empörung über Moskau betont die Bundesregierung, dass die Energiebeziehungen ein stabilisierendes Element im Verhältnis zu Russland seien. Und dass Deutschland schon aus wirtschaftlichen Gründen ein starkes Eigeninteresse am Gelingen des Nord-Stream-2-Projekts habe.
„Russland hat einen großen Fehler begangen, als es die beiden Schiffe im Asowschen Meer aufgebracht und die Besatzungen festgesetzt hat“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Nachrichtenagentur Reuters. Trotzdem will er Forderungen der USA, der Ukraine und aus seiner Partei, Nord Stream 2 zu stoppen, nicht einfach folgen.
Die Frage ist, wie lange diese Linie noch zu halten ist. Nord Stream 2 ist zum Gegenstand des geopolitischen Spiels um Rohstoffeinnahmen und Machtsphären geworden. „Wir sind besorgt, dass Russland für seine Aktionen auf der Krim und im Asowschen Meer, für die widerrechtliche Inhaftierung ukrainischer Militärangehörige und Cyberattacken in aller Welt mit weiteren Gas-Verträgen belohnt werden würde“, mahnt Grenell.
Schon im kommenden Jahr könnten die Amerikaner ihren Worten Sanktionen folgen lassen, fürchten deutsche Diplomaten. Die Interessen der USA mögen leicht zu durchschauen sein: Amerika will sein eigenes Gas nach Europa verschiffen und Russland Marktanteile abnehmen. Doch es wäre falsch, den Streit nur durch das Prisma der „America first“-Politik zu betrachten. In der Pipelinefrage isoliert sich nicht Amerika, sondern Deutschland.
Eine wachsende Zahl von deutschen Politikern erkennt das: „Wir dürfen neue Sanktionen nicht vom Tisch nehmen und müssen dabei auch die Frage nach Gaslieferungen thematisieren“, mahnt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher von CDU und CSU. „Angesichts der politischen Lage müssen sich die Nord-Stream-2-Investoren fragen, ob ihr Geld gut angelegt ist – oder ob sie nicht besser aussteigen sollten.“
Auch AKK geht auf Distanz zum Projekt
Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer geht ebenfalls auf Distanz. Es sei zwar „zu radikal“, das Projekt abzublasen, sagt sie. Allerdings könne man durchaus noch beeinflussen, „wie viel Gas durch die Pipeline geleitet wird“. Sogar den Sozialdemokraten, die sich als Erben der Ostpolitik sehen, kommen Zweifel. „Wir haben politisch zu spät auf die Kritik reagiert“, räumt SPD-Außenpolitiker Nils Schmid ein.
Diese Kritik zielt auf das Selbstverständnis Deutschlands als multilateral gesinnte Mittelmacht: Die Bundesrepublik, so lautet der Vorwurf der Pipelinegegner, fordere gern Solidarität ein, doch in außenpolitischen Kernfragen verfolge sie ihre Interessen ohne Rücksicht auf Nachbarn und Partner. Nord Stream 2 gleich Germany first.
Eigentlich wollte die EU den nationalen Ressourcen-Egoismus überwinden: Als Reaktion auf die russischen Aggressionen gegen die Ukraine hatten sich die Europäer schon 2015 auf eine gemeinsame Energiepolitik verständigt. Ihr Leitgedanke war, die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Damit ist Nord Stream 2 schwer zu vereinbaren.
Der Streit ist festgefahren. Auch beim Treffen der EU-Energieminister am Mittwoch dürfte es laut EU-Diplomaten kaum Fortschritte geben. Die Mitgliedsstaaten diskutieren bereits seit einem Jahr darüber, ob Pipelines von außerhalb der EU wie Nord Stream 2 den europäischen Regeln unterworfen werden sollen. Die osteuropäischen Staaten sind dafür, sie sehen darin eine Möglichkeit, Nord Stream 2 noch zu verhindern. Die Bundesregierung lehnt das ab. Viele Länder haben sich wie Frankreich noch nicht positioniert.
Jahrelang hatte die Bundesregierung behauptet, die Pipeline sei ein unternehmerisches Vorhaben – und sich damit jeder politischen Debatte verweigert. Auch heute noch betont das Auswärtige Amt: „Nord Stream 2 ist ein kommerzielles Vorhaben der beteiligten Unternehmen.“ Ein schwerer Fehler, kritisiert CDU-Politiker Hardt: „Sorgen unserer Nachbarn ernst zu nehmen sollte immer ein Wesensmerkmal deutscher Außenpolitik sein.“
Einkreisungsängste in Osteuropa
In Polen und im Baltikum hat die Vertiefung der deutsch-russischen Energiepartnerschaft Einkreisungsängste geweckt. Noch konkreter sind die Ängste in der Ukraine. Die Staatsfinanzen hängen entscheidend von den Transitgebühren ab, die das Land für die Durchleitung russischen Gases nach Europa kassiert. Transitgebühren, die durch Nord Stream 2 gefährdet sind.
Die Klagen der Osteuropäer mag Deutschland ignorieren können – die Sanktionsdrohungen der Amerikaner nicht. Im vergangenen Jahr hat der US-Kongress das „Gesetz zur Eindämmung der Gegner Amerikas“ beschlossen. Alle Unternehmen, die sich am Bau russischer Exportpipelines beteiligen, müssen seither Strafen fürchten.
Das ruft in Berlin wütende Reaktionen hervor. „Ich möchte nicht, dass europäische Energiepolitik in Washington definiert wird“, wettert Außenstaatsminister Andreas Michaelis. Bei den Energieversorgern seien „Kerninteressen“ berührt. Die Entscheidung über Nord Stream 2 sei eine Frage der Souveränität.
Noch gibt sich die Nord-Stream-2-Projektgesellschaft gelassen – und schafft Fakten auf dem Meeresgrund. Gut 300 Kilometer Leitung sind schon verlegt. Man sei somit „voll im Plan“, heißt es. Getragen wird Nord Stream 2 von den europäischen Energieunternehmen Uniper, Wintershall, OMV, Engie und Shell sowie dem russischen Staatskonzern Gazprom.
Die Pipeline spaltet auch die Koalition
Zumindest in einem Punkt ist die Bundesregierung ihren Kritikern entgegengekommen. „Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, dass der Erdgastransit durch die Ukraine über 2019 hinaus eine Zukunft hat“, versichert das Auswärtige Amt inzwischen. Altmaier hatte im Frühjahr vorgeschlagen, dass Russland, die Ukraine und die EU-Kommission über die Zukunft des Gastransits verhandeln.
Im Juli fanden auf Einladung Altmaiers Verhandlungen zwischen den drei Parteien darüber statt, welche Gasmengen auch nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 noch durch die Ukraine geleitet werden sollen. Konkrete Ergebnisse gibt es bislang nicht. Dennoch lobt Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Bemühungen.
Für ihn steht fest: Nord Stream 2 „ist ein sinnvolles Projekt zur Erhöhung der Versorgungssicherheit Europas“. Die Pipeline, so zeigt sich, spaltet nicht nur Europa, sondern auch die Koalition. Außenpolitiker sind tendenziell dagegen, Wirtschaftspolitiker tendenziell dafür.
Auch die Befürworter von Nord Stream 2 haben gewichtige Argumente, angefangen mit dem Importbedarf. Die Erdgasversorgung in Deutschland speist sich im Wesentlichen aus drei Quellen: Wichtigster Lieferant ist Russland, es folgen Norwegen und die Niederlande.
Die Niederlande fallen jedoch bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts als Lieferant komplett aus, weil die Regierung beschlossen hat, die Förderung von 2022 an um zwei Drittel zu reduzieren und bis 2030 zu beenden. Auch die norwegischen Liefermengen werden künftig zurückgehen.
Schlüsseltechnologie LNG
Daher ist Deutschlands Interesse groß, langfristig Zugriff auf russische Quellen zu haben. Zumal sich das Ziel des Kohleausstiegs nur erreichen lässt, wenn mehr Gaskraftwerke zum Einsatz kommen. Die jährliche Durchleitungskapazität von Nord Stream 2 beträgt 55 Milliarden Kubikmeter. Das entspricht ziemlich exakt dem Volumen der jährlichen niederländischen Gasförderung.
Mit dem Vorwurf, die Pipeline erhöhe die Abhängigkeit von Russland, machen es sich die Kritiker zu leicht. Sie übersehen: Im Notfall kann die Versorgung auch ohne Russland sichergestellt werden. So gibt es in der EU rund zwei Dutzend Terminals für verflüssigtes Erdgas („liquefied natural gas“, kurz LNG). „Energiesicherheit ist nicht dadurch definiert, wo man kauft, sondern von der Möglichkeit, die Bezugsquelle zu wechseln. LNG spielt dabei eine Schlüsselrolle“, sagt BP-Chefökonom Spencer Dale. LNG sei als „Versicherungspolice“ zu betrachten. Europas LNG-Terminals haben eine Jahreskapazität von 220 Milliarden Kubikmetern, sind aber zu weniger als 30 Prozent ausgelastet. Denn LNG, gerade amerikanisches, kann preislich mit Pipelinegas nicht konkurrieren.
Bleibt die Frage: Wenn so viel für die Pipeline spricht, warum ist es Deutschland dann nicht gelungen, die Sorgen seiner Nachbarn rechtzeitig zu zerstreuen? Jetzt hat die Bundesregierung alle Mühe, ihr Versäumnis nachzuholen.
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Herr Frank Rybka hat es in seinem Kommentar voll auf den Punkt gebracht, diesem kann nur voll zugestimmt werden.
Wenn ich dann im Artikel lese: "Das europäische Parlament hat gefordert, den Bau abzubrechen. Auch die EU-Kommission zählt zu den Gegnern. Die Osteuropäer wettern ohnehin gegen das Projekt, seit Jahren schon. Und sie haben einen mächtigen Verbündeten gefunden: die USA"
Man sieht, dass die EU sich gegenseitig zerfleischt. Es gibt kein EU-Recht das Deutschland vorschreibt wo wir unsere Energie her beziehen, das ist ausschließlich eine deutsche Angelegenheit. Warum soll der deutsche Gaskunde auch noch Geld an Polen die Ukraine usw. für die Durchleitung bezahlen, was den Gaspreis weiter nach oben treibt. Die Gaspreise steigen gerade in Deutschland bis zu 10% bei allen Anbietern.
Man sollte in der EU mal die Frage stellen wie diese Staaten ihren Haushalt finanzieren wollen, wenn Deutschland nichts mehr an die EU überweist??? Springen dann die USA, die diese Staaten als Verbündeten gefunden zu haben scheinenen, ein? Sicherlich Nein. Wenn durch russisches Gas eine Gefahr besteht, dann bei allen Pipelines nicht nur bei Nordstream 2.
Zum Schluss eine Frage an AKK, CDU, SPD, Grüne. Wer wie diese vorgenannten Parteien die Atomkraftwerke abschaltet, aus der Kohle aussteigen will, soll nun erklären ob er auch auf russisches Gas verzichten will. Wenn ja, wie will man dann eine durchgängige Stromversorgung sicher stellen zu adäquaten Preisen. Deutschland hat von den Industrieländern heute schon die höchsten Strompreise.
Aus Frankreich Atomstrom kaufen?? Wir haben nur Negativpolitiker, ich höre nur was nicht geht, nur von keinem höre ich was wirklich gemacht wird. Nur noch Politiker ohne eigene Meinung, Fleich- und Blutlos und innen Hohl wie Papfiguren. Das Rumgeeiere in einer so wichtigen Frage für Deutschland von AKK zeigt ihre ganze Unfähigkeit. Keine eigene Meinung, das Fähnschen nach dem Wind richten. Es geht nur um das eigene Wohl, nicht um das von Deutschland.
Im Gegensatz zu Kommentator Rybka begrüße ich es, dass das Handelsblatt über das politisch fragwürdige Projekt kritisch berichtet. Selbst Gaskunde möchte ich gleichwohl gerne auf russisches Gas verzichten, jedenfalls solange sich in Moskau nichts an den undemokratischen Verhältnissen und revisionistischem Handeln (> Krim) ändert. Natürlich gibt es die beschriebenen "erstrebenswerten Ziele". An denen wird allerdings schon jahrzehntelang vergeblich gearbeitet. Northstream II ist vor dem Hintergrund entbehrlich. Die Wähler in meinem Umfeld werden Regierung und Parteien daran messen, wie sie sich konkret dazu positionieren.
Ich bin schon stark davon überrascht, wie stark und wenig substantiell das HB - eine Wirtschaftszeitung - sich zum Sprachrohr der politischen Gegner des Northstream II macht. Der wirtschaftliche und poilitische Nutzen einer solchen Pipeline ist so offensichtlich, dass man diesen im Grunde nicht hinterfragen kann. Günstigere Transitkosten, Diversifizierung der Lieferantenstruktur und Verbesserung der wirtschatlichen und langfristig hoffentlich auch politischen Beziehungen zu Russland sind doch erstrebenswerte Ziele. Und mit unseren osteuropäischen Partnern sollte man besprechen, wie deren - gut begründete -Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben. Das ist ganz sicher keine unlösbare Aufgabe. Was die konkreten Interessen der Ukraine betrifft: Dieses Land verfügt über viele hervorragende Fachkräfte. Wenn man dieses Land bei der Korruptionbekämpfung, der Reorganisation der Verwaltung und wirtschaftlichen Entwicklung unterstützt, werden wir in ein/zwei Generationen das Ergebnis sehen und viele Russen werden sich dann fragen, was in ihrem eigenen Land passieren muss, damit sich auch dort die Lebensverhältnisse verbessern.
Die Bundesrepublik tut gut daran, die Pipeline weiter zu unterstützen. Wir müssen die Versorgungssicherheit im Blick haben. Russland hat immer uns gegenüber seine vertraglichen Zusagen erfüllt - auch im kalten Krieg. Außerdem schadet Wettbewerb nicht. Die LNG Produzenten können doch auch anbieten.