Pandemie-Bekämpfung Debatte um „Notbremse“ per Gesetz: SPD-Fraktion fordert zusätzliche Wirtschaftshilfen

Das Einkaufen mit Termin und negativem Corona-Test nützt nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion dem Einzelhandel.
Berlin Die SPD will von der Coronakrise besonders betroffene Unternehmen noch zielgenauer unterstützen und ihnen auch eine verlässliche Öffnungsperspektive geben. Angesichts der weiteren Einschränkungen müssten die Hilfsprogramme insbesondere für Familien, Beschäftigte, Betriebe und Kultureinrichtungen aufgestockt und bis zum Jahresende verlängert werden, heißt es in einem Positionspapier, das die Bundestagsfraktion an diesem Dienstag beschließen will und das dem Handelsblatt vorliegt.
So macht sich die Partei für eine Fortführung der derzeit bis Ende Juni befristeten Überbrückungshilfe III bis mindestens Ende dieses Jahres stark. „Es muss eine klare Perspektive über den 30. Juni hinaus geben“, betont der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernd Westphal.
Für Betriebe, die besonders lange und hart von Schließungsmaßnahmen betroffen sind, soll es zusätzliche Eigenkapitalzuschüsse geben. Mit einem Existenzgründungsprogram für Kleinunternehmen wollen die Sozialdemokraten Neugründungen nach der Krise fördern, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und auch einer Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) hatte am Montag eindringlich davor gewarnt, im Zuge der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes einen schärferen Lockdown im Einzelhandel durchzusetzen. „Viele Nicht-Lebensmittelhändler verlieren aufgrund der angekündigten Veränderungen im Infektionsschutzgesetz jegliche Perspektive“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Die Geschäfte ab einem Inzidenzwert von über 100 wieder zu schließen werde der Lage nicht gerecht.
Einzelhändler sehen durch neue Einschränkungen ihre Existenz bedroht
Nach einer HDE-Umfrage unter 1000 Unternehmen sehen 45 Prozent ihre unternehmerische Existenz im Laufe des Jahres in akuter Gefahr. Die Umsätze der klassischen Innenstadthändler hätten in der vergangenen Woche um 60 Prozent unter dem Vorkrisenniveau gelegen, berichtete Genth.
Wo im Zuge der Corona-Bekämpfung lediglich die Kundenzahl in den Geschäften begrenzt war, betrug das Minus demnach knapp 30 Prozent. Wo Kunden mit Terminvereinbarung einkaufen durften, lagen die Umsatzeinbußen bei knapp 50 Prozent. Wo nur negativ getestete Kunden in die Läden durften, gingen die Umsätze um 62 Prozent zurück
„Die Politik greift an den falschen Stellen ein“, klagte Genth. Denn es sei belegt, dass der Einkauf mit Hygienekonzept kaum Infektionsrisiken berge. Auch die SPD macht sich dafür stark, dass Kunden mit negativem Schnelltest und Termin weiter einkaufen gehen können. Der Fachhandel brauche die Vertriebsform des sogenannten „Click&Meet“, weil Verbrauchermärkte jetzt im Non-Food-Bereich zusätzliche Umsätze generierten. „Das ist eine echte Wettbewerbsverzerrung“, heißt es im Fraktionspapier.
Um den Unternehmen mehr Planungssicherheit zu geben, sei ein Stufenplan erforderlich, „der die Reihenfolge der Maßnahmen sowohl für Öffnungen als auch für Schließungen vorgibt“. Dieser Plan sollte von Bund und Ländern gemeinsam erarbeitet und in einer Bundesrahmenverordnung mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat festgelegt werden. Gefordert werden zudem verbindliche bundesweite Parameter für Öffnungs-Modellregionen.
Notbremse nicht allein an Inzidenzwerten ausrichten
Die SPD-Fraktion befürwortet zwar die geplante bundeseinheitliche „Notbremse“ im Infektionsschutzgesetz. Die einzelnen Maßnahmen müssten aber „geeignet, erforderlich und angemessen“ sein. Darauf werde man im Gesetzgebungsprozess achten. So dürfe sich die Verhängung strenger Maßnahmen beispielsweise nicht allein an den Inzidenzwerten, also der Zahl der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, orientieren.
Auch der Gastgewerbeverband Dehoga hält einige Elemente der geplanten „Notbremse“ für nicht nachvollziehbar und rechtlich fragwürdig. Etwa die Überlegung, Hotels und Pensionen – sofern sie denn irgendwann wieder öffnen dürfen – die Beherbergung von Gästen zu untersagen, die aus Regionen mit einer Inzidenz über 100 kommen.
„Es ist schwierig genug, unseren Betrieben im sechsten Monat des zweiten Lockdowns zu vermitteln, dass sie weiter geschlossen bleiben“, sagte Dehoga-Präsident Guido Zöllick. Inakzeptabel sei es nun, dass ein Gast zukünftig nicht anreisen dürfte, wenn an seinem Wohnort ein Inzidenzwert von 100 vorliegen würde.
Zusätzlich unterstützen will die SPD in der Krise aber auch Kinder und die Angehörigen von Pflegebedürftigen. So fordert die Partei ein zwei Milliarden Euro umfassendes „Corona-Aufhol-Paket“ für die frühkindliche und schulische Bildung und einen Corona-Zuschuss für Kinder von Grundsicherungsempfängern. Die Akuthilfen für pflegende Angehörige sollen über Ende Juni hinaus verlängert werden.
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