Pandemie-Bekämpfung Tübingens Sonderweg könnte ein Modell für das ganze Land sein

Die Erfolge des Tübinger Oberbürgermeister im Umgang mit der Coronakrise lassen sich nicht wegdiskutieren.
Berlin Während Deutschland weiter im Lockdown verharrt, geht Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer einen Sonderweg. Mit einem Modellprojekt will der Grünen-Politiker zeigen, dass Öffnungen mit mehr Tests möglich sind. Ausgewählte Geschäfte, Außengastronomie und Kultureinrichtungen wie Theater dürfen Gäste mit einem Testzertifikat empfangen und bedienen.
„Jetzt kommt es darauf an, ob wir zeigen können, dass mehr Öffnungen und mehr Sicherheit zusammengehen“, sagte Palmer zum Start vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz je 100.000 Einwohner liegt in der baden-württembergischen Stadt derzeit bei 68.
Palmer bringt das Modellprojekt viel Aufmerksamkeit. Seither lobt ihn gar die Grünen-Spitze, die ihn zu Beginn der Pandemie noch loswerden wollte. Palmer hatte im Mai 2020 zum Umgang mit hochbetagten Corona-Kranken gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Daraufhin entzogen ihm die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck die politische Unterstützung bei einer erneuten Kandidatur als Bürgermeister, rund hundert Grüne forderten den Rauswurf aus der Partei.
Palmers Erfolge im Umgang mit der Coronakrise lassen sich allerdings nicht wegdiskutieren. Tests in Alters- und Pflegeheimen und kostenlose FFP2-Masken für ältere Menschen gab es in Tübingen früher als in vielen anderen Städten. Mit Blick auf das Modellprojekt lobt ihn nun gar die Grünen-Spitze: „Er zeigt, was wichtig ist, damit wir gut aus der Krise hinauskommen“, sagte Baerbock am Sonntag im ZDF. Großflächiges Testen passiere auf Bundesebene leider nicht, „deswegen stecken wir in dem Schlamassel drin“.
Noch wichtiger ist allerdings ist die Frage, die in diese Worten mitschwingt: Lässt sich der Tübinger Weg auf ganz Deutschland übertragen? Tatsächlich planen Bund und Länder lokale Lockerungslabore: In Regionen mit niedriger Inzidenz, einem Testkonzept und strengen Schutzmaßnahmen sollen einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens wieder öffnen dürfen.
Das Projekt war schnell aufgebaut
Es hätten sich schon mehr als zwei Dutzend Bürgermeister von Städten und Kommunen aus ganz Deutschland nach dem Projekt erkundigt, sagt Tübingens Pandemiebeauftragte Lisa Federle, die als die Architektin der Strategie gilt. Die größte Sorge: Man frage sich, wo man die vielen Tests herbekommen könne. Tübingen startete das Projekt mit einer Kapazität von 250.000 für drei Wochen und acht Testzentren, die außer sonntags den ganzen Tag über geöffnet haben. Es habe nur kurze Zeit gedauert, das Projekt aufzubauen, die Gelder dafür zu besorgen und die Testkapazitäten aufzubauen, sagt sie.
Ob es andernorts ähnlich schnell gehen könnte, ist schwer zu sagen. Tatsächlich sind Schnelltests in Deutschland noch rar. Die meisten Bundesländer bieten ihren Bürgern einen kostenlosen Test pro Woche an. Die Kapazitäten müssten also deutschlandweit massiv steigen, was zusätzliche Kosten verursachen würde.
Es gibt dazu keine amtlichen Zahlen, sie lassen sich allerdings hochrechnen. Palmer ließ in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ wissen, dass Tübingen am Samstag rund 7000 Menschen getestet hat. Hochgerechnet auf die Bundesbevölkerung wären dies mehr als sechs Millionen Tests – an einem Tag. Die Kosten dafür beliefen sich auf mehr als 90 Millionen Euro, wenn ausschließlich medizinisches Fachpersonal testet wie bislang in Tübingen. Das schlägt mit etwa 15 Euro pro Test zu Buche.
Übernehmen Restaurants, Hotels und Geschäfte den Vorgang, fallen rein rechnerisch nur die Kosten für ein Kit pro Test an, die bei einem Drittel davon liegen. Die Millionensummen klingen viel. Der Lockdown ist allerdings um ein Vielfaches teurer: Das Münchener Ifo-Institut schätzt, dass die Schließungen pro Woche 1,5 Milliarden Euro entgangene Wirtschaftskraft kosten. Da erscheint das Tübinger Modell als die deutlich bessere Alternative – vorausgesetzt, „mehr Öffnungen und mehr Sicherheit“ gehen tatsächlich zusammen, wie Palmer sagt.
Mehr: Grünen-Politiker Palmer profiliert sich als Retter der Rentner
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Salle Bernd
ich mache aktuell mein Master in Freiburg und würde schon behaupten dass Biergärten bzw. die Gastro im Allgemeinen sehr sehr wichtig ist. Vor allem in Universitätsstädten! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen ihren Nebenjob verloren haben und deshalb finanzielle Probleme haben.
Auf der einen Seite gibt es die Bundesregierung und einige der ihr ergebenen Landesregierungen, die ohne konsistente Strategie von einem Chaos-Lockdown in den nächsten steuern und dabei hunderte Milliarden Steuergelder und Wirtschaftsleistung verbrennen. Dazu richten sie in unserer Gesellschaft zunehmend Schäden an, deren Folgen noch nicht absehbar sind.
Auf der anderen Seite gibt es einige regionale Politiker wie Herrn Palmer oder Herrn Madsen, die mutig und aktiv die Herausforderungen von Covid-19 annehmen und nach echten Lösungswegen für die Gesellschaft suchen. Die Zugehörigkeit zu einer Partei ist in einer solchen Situation, in der wir uns gerade befinden, vollkommen zweitrangig.
Auch wenn nicht alle Maßnahmen ökonomisch sinnvoll erscheinen, so ist dieses stringente Vorgehen der Lokalpolitiker der einzige Weg, der uns kurz- und mittelfristig wieder zu einem einigermaßen normalen Leben führen wird. Dabei werden nicht alle Maßnahmen zum Erfolg führen. Das ist aber verschmerzbar, wenn wir uns dadurch insgesamt Öffnungsperspektiven erarbeiten können.
Wenn wir diese regionalen Initiativen nicht forcieren, sehe ich mit den ideenlosen unstrukturierten Maßnahmen der Bundesregierung (und deren dilettantische Umsetzung) keine Perspektive für eine Normalisierung unserer Lebensumstände. Dann werden wir auch im kommenden Sommer noch eher über die Gestaltung eines weiteren Lockdowns diskutieren, als über Öffnungsperspektiven. Eine nachhaltige Eindämmung der Pandemie wird uns dann schon gar nicht gelingen.
Ist das wirklich ein Erfolg oder nur Marketing, was Hr. Palmer dort macht?
In Freiburg auf der anderen Seite des Schwarzwaldes sind auch die Geschäfte ganz normal offen. Einzig die Außengastronomie hat dort zu.
In Tübingen wird damit geworben, was Leute aus Nachbargemeinden mit härterem Lockdown scharenweise anzieht: Die Mobilität steigt also. Dies bedeutet gleichzeitig mehr Kontakte. Unter dem Strich ist in Freiburg ohne großes Marketing wohl mehr für den Infektionsschutz getan als in Tübingen.
Mich wundert am "Tübinger Weg" auch wie wenig falsch positive Tests es gibt. Eigentlich müssten das ca. 1 % der durchgeführten Tests sein. Auch in Tübingen gab es kürzlich den Fall, dass es bei Schnelltests in einem Altersheim falsch negative Tests gab, die zu einem großen Coronaausbruch dort führten. Davon erfährt man nur wenig in der Presse.
Ähnlich wie bei der Impfaktion in Israel ist hier auch anzumerken, dass für ganz Deutschland oder auch nur ganz Baden-Württemberg gar nicht genügend Schnelltests zur Verfügung stehen. Tübingen hat halt schneller uns als erste Gemeinde (wie Israel beim Impfstoff) die Schnelltests beschafft. Das ist OK, hat aber halt keine Vorbildfunktion...
Ökonomisch ist die Sache auch sehr fraglich: Wenn ich mit meinem Kumpel in Tübingen in den Biergarten gehe, dann erzeugen wir gemeinsam etwa 30 € Kosten für die Schnelltests. Dann trinken wir zwei Weizenbier für 10 €, an denen der Biergarten vielleicht 6 € verdient. Irgendwie ist mir da nicht einleuchtend, wie das die Wirtschaft unterstützen soll. Wäre es nicht besser dem Wirt gleich die 30 € auszuzahlen?
Ganz abgesehen davon gibt es ja auch andere als wirtschaftliche Kriterien, welcher Bereich oder welche Bevölkerungsgruppe mit Schnelltests unterstützt/geholfen werden soll.
Wären da nicht die 60-70-jährigen und der Bildungsbereich wichtiger als die Biergärten?
"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es".
Dieser Spruch stammt noch von meiner Mutter. Aber bei Bund und Ländern wird nur gefordert und Phrasen gedroschen, aber nichts unternommen (außer Lockdown).
Ein Grüner schützt Wirtschaft, Freiheitsrechte und die Selbstachtung der Bevölkerung, während die anderen Parteien nur Einigeln-Taktiken kennen und Tafelsilber verscherbeln können?!?