Pandemie Der Start der Auffrischungsimpfung verläuft ruckelig

Kritik an schlechter Koordination vor einer möglichen Drittimpfung.
Berlin Angesichts der anlaufenden Auffrischimpfung haben die Hausärzte vor Chaos in den Praxen gewarnt. „Das erneut uneinheitliche Vorgehen bei der dritten Impfung erzeugt nun zum x-ten Mal Verunsicherung bei Patientinnen und Patienten“, sagte Armin Beck, Vorstandsmitglied im Deutschen Hausärzteverband, dem Handelsblatt. „Das führt dann schnell zu vermehrten Nachfragen und auch Diskussionen in den Arztpraxen.“
Viele Bundesländer haben damit begonnen, Pflegebedürftigen, Risikopatienten und über 80-Jährigen eine dritte Impfung anzubieten, wenn die zweite Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt. „Eine entsprechende Empfehlung der Ständigen Impfkommission ist hierzu wesentlich“, sagte Beck. „Das wiederholte Ausbügeln von vermeidbaren Unklarheiten zerrt an den Nerven der Praxen und kostet wiederum Zeit, die dringend zur Versorgung der Menschen benötigt wird.“
Die Stiko hat bislang keine Empfehlung für eine Auffrischimpfung vorgelegt, plant diese aber zeitnah. Die Aufarbeitung der vorliegenden Daten sei in vollem Gange, ein Datum gebe es aber nicht, heißt es.
Durch die nicht vorliegende Empfehlung wirke der Start der Auffrischimpfungen „schlecht koordiniert“, kritisierte der Chef des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Versorgung, Dominik Stillfried (ZI), gegenüber dem Handelsblatt. Zudem sei der organisatorische Aufwand für die Praxen höher, da die Industrie bislang keine Einzeldosen bereitstelle und die Impfberechtigten somit zu bestimmten Terminen bestellt werden müssten, um geöffnete Dosen vollständig zu verimpfen.
„Da die Praxen Impfstoffe zwei Wochen im Voraus bestellen müssen, sind so insgesamt die Voraussetzungen für ein flächendeckendes Vorgehen noch nicht gegeben.“ Immerhin seien bis Donnerstag knapp 13.000 Auffrischimpfungen in den Praxen vorgenommen worden, sagte Stillfried mit Verweis auf die Impfdokumentation der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Auch die Zahl der von Hausärzten bestellten Dosen sei im Vergleich zu Ende August um 23 Prozent gestiegen. Das ZI rechnet damit, dass bis Ende des Jahres rund zehn Millionen Auffrischimpfungen benötigt werden.
Auch Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisierte, dass viele Bundesländer ohne Stiko-Empfehlung mit der Auffrischimpfung begonnen haben. Zwar spreche theoretisch einiges dafür, sagte Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Nach bisherigem Kenntnisstand und Auffassung namhafter Experten ist sie aber für die meisten Geimpften nicht sofort nötig.“
SPD-Experte Lauterbach befürchtet falsche Vergabeprioritäten
Insgesamt fehlten noch aussagekräftige Studien, ob, wann und für wen eine sogenannte Boosterimpfung notwendig sei. „Da ist also von der Politik eine Erwartungshaltung bei den Patienten geschürt worden, die viele Ärztinnen und Ärzte ohne eine wissenschaftlich fundierte Impfempfehlung nicht bedienen wollen“, sagte Reinhardt.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen warf der Bundesregierung eine unklare und verspätete Strategie für die Auffrischungsimpfungen gegen Covid-19 vor. „Zwar wurde ein Anspruch auf Auffrischungsimpfungen in der neuen Impfverordnung verankert, aber die konkrete Impfstrategie ist völlig unklar und selbst angesichts der vierten Welle im Sommer nicht vorbereitet worden“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Die Bundesregierung hat es verpasst, frühzeitig systematisch Daten für Deutschland zu erheben, für wen und wann sogenannte Booster-Impfungen zwingend sinnvoll sind.“
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: „Ich befürchte, dass jetzt viele mit einer dritten Impfung versehen werden, die davon nicht profitieren, während diejenigen, die sie dringend benötigen würden, sie nicht bekommen.“
Mehr: Infiziert trotz Vollimpfung: Was Impfdurchbrüche für den Kampf gegen Corona bedeuten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.