Pandemie Impfreihenfolge: Kommen viele Deutsche schneller an ihre Corona-Impfung?

Spätestens beim Impfstart in den Arztpraxen könnte die bisherige Priorisierung bei der Impfreihenfolge aufgeweicht werden.
Berlin Seit diesem Mittwoch gilt in Deutschland eine leicht geänderte Impfreihenfolge: Beschäftigte in Kitas, Kindertagespflege sowie Grund- und Förderschulen können jetzt schon eine Impfung erhalten. Genutzt werden soll dafür vor allem das Vakzin des Herstellers Astra-Zeneca, das in Deutschland für über 65-Jährige noch nicht empfohlen ist.
Angesichts von Hunderttausenden Astra-Zeneca-Dosen, die gegenwärtig ungenutzt herumliegen, werden Rufe nach weiteren Ausnahmen bei der Impfpriorisierung laut. Nach Aussage des Bundesgesundheitsministeriums sind inzwischen mehr als 1,4 Millionen Astra-Zeneca-Dosen an die Länder geliefert worden – gespritzt wurden nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bis Dienstag jedoch nur rund 239.000 Dosen.
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, sprach sich daher für pragmatische Lösungen für übrig gebliebene Impfstoffe aus. „Hier sollte es unbedingt in allen Impfzentren Listen geben, die festlegen, wer an die Reihe kommt, wenn Dosen übrig bleiben“, sagte er. Dabei könne man auch „geeignete Kandidaten aus nachfolgenden Prioritätsgruppen“ vorziehen.
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plädierte für eine Änderung der Impfreihenfolge. „Wir müssen diese Impfpriorität noch einmal echt klug wägen. Ehrlich gesagt, schon in den nächsten Wochen, wenn man sieht, wie viel bleibt da übrig von Astra-Zeneca“, sagte Söder.
Der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich forderte, den Impfstoff von Astra-Zeneca perspektivisch ganz aus der Priorisierung herauszunehmen. „Wir brauchen einen Schub nach vorne“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „Es gibt genug Menschen, die von der hohen Wirksamkeit des Astra-Zeneca-Impfstoffs überzeugt sind.“ Eine Ausnahme bei der Impfreihenfolge biete die Chance, dass dieses Vakzin „dann schnell wieder an Akzeptanz gewinnt“.
Zweistufiges Verfahren vorgeschlagen
Hennrich, der sich als Arzneimittelexperte der Unionsfraktion um das Impfstoffthema kümmert, schwebt ein zweistufiges Verfahren vor. Zunächst könnten sich impfwillige Bürger unabhängig von ihrer Priorität in regionale Online-Wartelisten eintragen lassen und dann in den Impfzentren mit übrig gebliebenen Beständen von Astra-Zeneca schützen lassen.
Nach dem Abschluss der Impfungen in der höchsten Prioritätsgruppe, also voraussichtlich ab April, könnte das Astra-Zeneca-Vakzin in allen Arztpraxen verimpft werden. Bei diesem Impfstoff müssten sich die niedergelassenen Mediziner dann nicht mehr an die festgelegte Reihenfolge halten, sondern könnten eigenverantwortlich entscheiden, wie sie ihre Patienten impfen.
„Die Priorisierung ist vom Grunde her richtig, mittlerweile aber so kompliziert im Detail, dass das in den niedergelassenen Arztpraxen kaum umgesetzt werden kann“, sagte Hennrich. Die Einbeziehung der Praxen könnte schon in einigen Wochen notwendig werden, wenn immer mehr Dosen geliefert und die Impfzentren an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen würden. „Für diesen Fall brauchen wir schnelle, flexible und unbürokratische Lösungen.“
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht die Bedeutung der Impfreihenfolge schwinden. „Die Priorisierung wird bisher strikt medizinisch geplant, ohne Bezug zum tatsächlichen Impfstoffvolumen“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen. „Sobald der Impfstoff in großer Menge in die Arztpraxis kommt, wird diese Priorisierung schnell nachrangig werden.“
Bereits zu Ostern, so die Einschätzung der Kassenärzte, könnte der große Impfstoffmangel vorüber sein. Für das zweite Quartal 2021 hätten Biontech und Pfizer 40,2 Millionen Dosen zugesagt. Zugleich rechne das Bundesgesundheitsministerium mit großen Lieferungen von Moderna und Astra-Zeneca, die 6,4 beziehungsweise 16,9 Millionen Einheiten bereitstellen würden. Im Falle einer rechtzeitigen Zulassung stünden möglicherweise auch noch die Impfstoffe von Johnson & Johnson sowie Curevac mit größeren Liefermengen (10,1 beziehungsweise 3,5 Millionen Dosen) bereit.
Fünf Millionen Impfungen pro Woche in Arztpraxen
Gassen sagte, dass sich die Kassenärzte bereits mit dem Ministerium abstimmen würden, um den richtigen Zeitpunkt für den Start der Massenimpfungen zu ermitteln. Die Verimpfung in den Praxen sei „kein Hexenwerk“, man könne auf die bei anderen Schutzimpfungen bewährten Prozesse und Lieferketten zurückgreifen. Die KBV hat nach eigenen Angaben zusammen mit den Apothekerverbänden und dem Pharmagroßhandel einen Plan entwickelt, um den Corona-Impfstoff reibungslos zu den niedergelassenen Ärzten zu bringen.
Die KBV geht von einer Kapazität von bis zu fünf Millionen Impfungen pro Woche in den Arztpraxen aus. Modellrechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung zeigen, dass bis Anfang Mai mit breiter Unterstützung der Praxen bereits 35 Millionen Deutsche mindestens eine Erstimpfung erhalten haben könnten. Im besten Fall könnte eine Erstimpfung der erwachsenen Bevölkerung schon in der ersten Julihälfte, die vollständige Immunisierung Anfang August abgeschlossen sein.
Kritisch sieht Änderungen an der Impfreihenfolge der Deutsche Ethikrat, der an der Priorisierung Ende des vergangenen Jahres mitgearbeitet hatte. Die Vorsitzende Alena Buyx sagte kürzlich, sie könne zwar die politische Motivation nachvollziehen, Lehrer und Erzieher nun früher dranzunehmen. „Ich muss aber auch gestehen: Ich hätte mir gewünscht, dass man eine erhöhte Sicherheit dort erreicht hätte, beispielsweise über Tests“, sagte sie. Das Verändern der Priorisierung bedeute nämlich auch, dass man das ursprüngliche Prinzip dahinter aufgibt. Der Impfplan sei „sehr gut überlegt“ gewesen.
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