Pandemie „Krisenpolitik ist zu einseitig“: Oberster Verbraucherschützer Müller kritisiert Bundesregierung

„Starke Verbraucherechte sind ein wichtiger Baustein, um Wirtschaft und Gesellschaft krisenfester zu machen.“
Berlin Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller fordert angesichts der anhaltenden Coronakrise von der Bundesregierung eine stärkere Entlastung der Haushalte. „Die bisherige Krisenpolitik ist leider zu einseitig. Während die Politik für Unternehmen und Branchen großzügige Hilfspakete geschnürt hat, gibt es zu wenig Unterstützung für Verbraucher“, sagte der Chef des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV) dem Handelsblatt. Nötig sei deshalb ein „Rettungsschirm für Verbraucher“.
Konkret fordert Müller wirksame Regeln gegen Kostenfallen, geringere Inkassogebühren, eine Beschränkung der Vorkasse bei Reisen und mehr Wettbewerb im Onlinehandel. „All diese Maßnahmen kosten keine Milliarden, stärken aber Verbraucher und die Wirtschaft“, sagte der VZBV-Chef.
Die Bundesregierung müsse jetzt handeln, um die „richtigen Weichenstellungen für die Zukunft“ vorzunehmen. „Starke Verbraucherrechte sind ein wichtiger Baustein, um Wirtschaft und Gesellschaft krisenfester zu machen“, betonte Müller. „Damit die Menschen auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung vertrauen können, auch für sie ganz persönlich, müssen sie sehen, dass ihre Interessen im Mittelpunkt stehen.“
Die bisherigen staatlichen Hilfsmaßnahmen für Verbraucher hält Müller für unzureichend. „Die als Herzstück des Konjunkturpakets deklarierte Mehrwertsteuersenkung war bestenfalls gut gemeint, verpuffte aber weitestgehend – unter anderem, weil es den Unternehmen selbst überlassen war, ob sie das Geld an die Verbraucher weiterreichen oder es doch in die eigene Tasche stecken“, sagte der VZBV-Chef.
Der im vergangenen Jahr ausgegebene einmalige Kinderbonus von 300 Euro pro Kind sei zwar gut, aber nicht ausreichend gewesen. Kritisch sieht Müller auch die angestrebte Senkung der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Durch die Absenkung spare ein Durchschnittshaushalt Schätzungen zufolge etwa neun Euro bei den Stromkosten im Jahr 2021. „Ein paar Cent pro Monat werden aber weder einen Konjunkturimpuls auslösen noch Zuversicht und Sicherheit steigern.“
Sparquote auf Rekordhoch
Zu hohe Stromkosten bemängelte zuletzt auch der Bundesrechnungshof. Die Strompreise für Privathaushalte seien die höchsten in Europa, die Energiewende sei teuer und die „Blackout“-Gefahr werde unterschätzt, kritisierten die Prüfer Ende März in einem Bericht zur Umsetzung der Energiewende.
Das Bundeswirtschaftsministerium steuere die Energiewende unzureichend. „Mehr noch: Die Energiewende droht Privathaushalte und Unternehmen finanziell zu überfordern“, warnte Rechnungshof-Präsident Kay Scheller. Angesichts der Strompreise empfehle man eine grundlegende Reform der staatlichen Abgaben.
Müller sieht die Belastungen infolge der Corona-Pandemie als einen „Stresstest“ für Verbraucher. „Viele Menschen leiden unter den unmittelbaren finanziellen Folgen der Krise, sind in Kurzarbeit oder haben ihren Job verloren“, sagte der VZBV-Chef.
Manche könnten Kredite nicht mehr bedienen oder müssten mit Ausnahmesituationen wie Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung umgehen. „Trotz einer steigenden Sparquote haben viele Verbraucher weniger Geld in der Tasche“, konstatierte Müller.
Laut der Bundesbank halten viele Menschen aus Angst vor Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit ihr Geld zusammen. Zudem bremsten die zeitweisen Schließungen im Einzelhandel und Reisebeschränkungen den Konsum.
Nach Daten der Währungshüter stieg das Vermögen in Form von Bargeld, Wertpapieren, Bankeinlagen sowie Ansprüchen gegenüber Versicherungen im vierten Quartal gegenüber dem dritten Vierteljahr 2020 um 211 Milliarden Euro auf den Rekordwert von 6,95 Billionen Euro. Wie das Geld verteilt ist, geht aus den Daten nicht hervor.
Die Sparquote in Deutschland war im vergangenem Jahr nach Daten des Statistischen Bundesamtes auf das Rekordhoch von 16,3 Prozent gestiegen. Von 100 Euro verfügbarem Einkommen legten die Haushalte somit im Schnitt gut 16 Euro auf die hohe Kante.
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