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Pandemie Nur geimpft zur Arbeit? In Deutschland nimmt die Debatte über eine Pflicht Fahrt auf

Unternehmen in den USA lassen Beschäftigte nur geimpft ins Büro. Dürfen auch deutsche Arbeitgeber die Immunisierung verlangen? Für bestimmte Berufsgruppen wird darüber zunehmend diskutiert.
29.07.2021 Update: 29.07.2021 - 16:13 Uhr Kommentieren
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände appelliert an Beschäftigte, sich impfen zu lassen. Quelle: dpa
Impfung durch eine Betriebsärztin bei Thyssen-Krupp

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände appelliert an Beschäftigte, sich impfen zu lassen.

(Foto: dpa)

Berlin Kaspar Pfister setzt auf Einsicht und Freiwilligkeit. Der Inhaber der Benevit-Gruppe mit Seniorenheimen und ambulanten Diensten an gut 30 Standorten spendiert seinen Teams 1000 Euro für ein Fest, wenn sie auf eine Impfquote von mehr als 60 Prozent kommen. „Überzeugung und Anreiz sind wirksamere Triebfedern als Zwang“, sagt Pfister. Inzwischen sind fast 80 Prozent seiner rund 2000 Beschäftigten geimpft.

Doch wie weit Einsicht und Freiwilligkeit tragen, ist umstritten. In den USA führen Google und Facebook daher eine Impfpflicht für Mitarbeiter ein. „Jeder, der zum Arbeiten auf unseren Campus kommt, muss geimpft sein“, schrieb Google-Chef Sundar Pichai in einem Blog-Eintrag am Mittwoch. Auch bei anderen US-Unternehmen wie der „Washington Post“ und Netflix soll es bald ähnliche Regelungen geben.

Kommt nach der Homeoffice-Welle mit der Impfpflicht in Unternehmen bald der nächste Trend aus den USA nach Europa? Frankreich geht hier voran und schreibt die Immunisierung für Gesundheits- und Pflegepersonal sowie Rettungskräfte vor. In Griechenland hat es – ähnlich wie in Frankreich – gegen entsprechende Pläne heftige Proteste gegeben. Italien denkt angesichts steigender Infektionszahlen über eine verpflichtende Impfung der Lehrer nach.
Und auch in Deutschland nimmt die Debatte, ob bei der zunehmenden Impfmüdigkeit der Bürger nur noch Zwang hilft, Fahrt auf. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), sagt: „In kritischen Berufen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungssektor, sollte der Gesetzgeber eine Impfpflicht einführen, weil wir es hier mit schutzbedürftigen Personen zu tun haben.“ Auch eine generelle Impfpflicht solle der Gesetzgeber – je nach Pandemieverlauf – nicht ausschließen.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, warnte am Donnerstag davor, die Erholung der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts aufs Spiel zu setzen: „Die Leute müssen sich impfen lassen“, sagte er. Sonst werde leichtfertig „mit der Frage der wirtschaftlichen Prosperität im zweiten Halbjahr gespielt“.

Thema Impfzwang tabu

Bisher ist etwa jeder zweite Bundesbürger vollständig geimpft, 61 Prozent haben zumindest eine Spritze erhalten. Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) müssten mindestens 85 Prozent der Zwölf- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der über 60-Jährigen vollständig geimpft sein, damit in Deutschland bis zum Herbst die Herdenimmunität erreicht wird.

Auch wenn das Impftempo deutlich nachlässt, ist das Thema Zwang in der Politik bisher weitgehend tabu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte zuletzt immer wieder, dass es in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben werde. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gab im Bundestag sogar sein Wort. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und CSU-Chef Markus Söder plädierten jedoch dafür, Corona-Tests auf Dauer nicht mehr kostenfrei zu ermöglichen, wenn jeder, der sich impfen lassen kann, ein entsprechendes Angebot erhalten habe.



Er sei ein „strikter Gegner einer Impfpflicht“, sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU) der „Mittelbayerischen Zeitung“. Der Staat habe noch genügend Möglichkeiten, für die Impfung zu werben. „Ganz allergisch reagiere ich, wenn jemand sagt: ,Wenn du nicht geimpft bist, wirst du bei uns nicht mehr beschäftigt.‘“

Das ist allerdings auch nicht ohne Weiteres möglich. Jeder Arbeitnehmer habe Anspruch, von seinem Arbeitgeber auch beschäftigt zu werden, sagt Kathrin Bürger, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Beiten Burkhardt in München: „Die Beschäftigten quasi auszusperren, wie Google oder Facebook in den USA das tun, ist nicht möglich.“

Entsprechend zurückhaltend äußern sich die deutschen Vertretungen der beiden US-Konzerne: Die Frage einer Impfpflicht stelle sich derzeit nicht, da die Büros in Hamburg und Berlin ohnehin bis auf Weiteres geschlossen bleiben, teilte Facebook auf Anfrage mit. Google, das hierzulande 2000 Mitarbeiter beschäftigt, wollte keine Stellungnahme zur Praxis in Deutschland abgeben und verwies lediglich auf Angaben aus der Zentrale. Die enthalten jedoch keine Aussagen zu Niederlassungen außerhalb der USA.

„Wenn der Gesetzgeber uns keine Impfpflicht vorgibt, können wir nicht so ohne Weiteres eine ins Arbeitsrecht transferieren“, sagt Anwältin Bürger. Das bedeute beispielsweise, dass es keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertige, wenn ein Arbeitnehmer der Weisung des Chefs, sich impfen zu lassen, nicht nachkomme. Auch könnten Nicht-Geimpfte nicht einfach zur Arbeit aus dem improvisierten Homeoffice verdonnert werden: „Denn im Arbeitsvertrag steht in der Regel nicht, dass die Arbeit zu Hause am Küchentisch zu erledigen ist“, sagt Bürger.

Aus dem Bundesarbeitsministerium heißt es, weder das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers nach der Gewerbeordnung noch das Arbeitsschutzrecht rechtfertigten eine verpflichtende Impfanordnung. Der Arbeitgeber habe auch keinen Anspruch, Gesundheitsdaten zu erfahren. Dazu heißt es beispielsweise auf der Homepage des nordrhein-westfälischen Datenschutzbeauftragten: „Für die Erhebung des Impfstatus durch Arbeitgeber, die nicht unter besondere Spezialnormen fallen, besteht derzeit keine Rechtsgrundlage.“

Während es für eine generelle Impflicht für alle hohe Hürden gibt, halten Juristen eine verpflichtende Immunisierung etwa für das Gesundheits- und Pflegepersonal nicht nur für möglich, sondern sogar für geboten: „Es ist eine Frage der politischen Klugheit und des politischen Mutes, eine Impfpflicht zumindest für bestimmte Berufsgruppen einzuführen“, sagt Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Andere Länder seien dabei vorangegangen.

In eng begrenztem Rahmen sei die Anordnung einer Impfung durch den Arbeitgeber auf Grundlage seines Direktionsrechts möglich, wenn es darum gehe, das Ansteckungsrisiko für Beschäftigte, Patienten und Pflegebedürftige gering zu halten. Für Erzieher, Lehrer, Tagespflegepersonen oder medizinisches Personal gilt beispielsweise bereits eine Masern-Impfpflicht. Auch Gesundheitsdaten seien nicht per se sakrosankt, sagt Thüsing: „Bei der Frage nach dem Impfstatus auf den Datenschutz zu verweisen ist ein Hin- und Herschieben der Verantwortung.“

Lehrerverband gegen Impfpflicht

Überlegungen, ob nicht auch Lehrkräfte in eine Impfpflicht einbezogen werden sollten, weist der Präsident des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, entschieden zurück: „Wir lehnen eine Impfpflicht für Lehrkräfte ab, weil deren Impfquote mit knapp 90 Prozent bereits eine der höchsten aller Berufsgruppen in Deutschland ist“, sagte er dem Handelsblatt. „Da gibt es keinen Handlungsbedarf.“ Natürlich sei der Lehrerverband „dafür, dass sich alle Lehrkräfte impfen lassen, sofern keine medizinischen Indikationen dagegensprechen“, fügte Meidinger hinzu. „Aber eine Impfpflicht zu verfügen bei einem Impfstoff, über den – anders als beim Masernimpfstoff, bei dem es eine Impfpflicht gibt – keine jahrzehntelangen Erfahrungen vorliegen, halten wir für falsch.“

Fachanwältin Bürger weist darauf hin, dass Arbeitgeber auch eine Schutzverpflichtung gegenüber ihren Beschäftigten haben. Die lasse sich in den meisten Fällen aber auch mit milderen Mitteln erreichen als einer Impfung, etwa mit Abstands- und Hygieneregeln oder Tests.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) appellierte erneut an alle Beschäftigten, sich impfen zu lassen: „Wir dürfen das Erreichte nicht verspielen. Wir müssen weiter impfen, impfen, impfen, damit sich die Lage weiter stabilisiert.“ Gut und richtig sei, weiter Anreize fürs Impfen zu setzen. „Hier kann man auch an unkonventionellere Maßnahmen denken, um genau die Menschen zu erreichen, die sich bisher noch nicht impfen lassen wollten.“

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