Pandemie Reiserückkehrer, Impfunwillige, Inzidenz: Länder wollen neue Corona-Strategie

Hubert Aiwanger (l, Freie Wähler) und sein Chef Markus Söder (r, CSU) stehen nach der Kabinettssitzung, die im Hofgarten des Regierungssitzes stattfand, zusammen.
Berlin Der gelernte Journalist Markus Söder legt immer Wert auf kraftvolle Bilder. Diesmal verlegte der bayerische Ministerpräsident die letzte Kabinettsitzung vor der Sommerpause in den Münchner Hofgarten. Doch die Theaterkulisse aus Bilderbuchwetter und sattem Grün wollte nicht so recht in die Inszenierung passen.
Thematisch war es laut Söder eher ein „Sicherheitskabinett“, das im Hofgarten tagte. Neben Flut- und Katastrophenhilfe ging es vor allem um die Corona-Pandemie. Der bayerische Ministerpräsident forderte eine „klare Linie“, die auf einer Ministerpräsidentenkonferenz Mitte August beschlossen werden solle. Man dürfe „nicht abwarten und in den Herbst hineinstolpern“, sagte Söder.
Der CSU-Chef forderte angesichts steigender Inzidenzzahlen eine Verschärfung der Quarantäneregeln. „Es ist jetzt wichtig, vorausschauend zu agieren“, sagte Söder. Beim Impfen sehe man einen „Strömungsabriss“.
Söder unterstütze deshalb den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Reiserückkehrer aus allen Ländern zu testen. Für den CSU-Chef ist es ein Unding, dass so spät auf die Urlaubssituation reagiert werde. „Ferientermine stehen ja schon lange fest und fallen nicht aus dem Himmel.“
Nach der Kabinettsitzung gab es eine Schalte mit Unions-Länderchefs. Söders Vorpreschen kam in der CDU nicht überall gut an. Manche fühlten sich an das Vorgehen des Bayern zu Hochzeiten der Coronakrise erinnert. Der Mahner Söder contra Armin Laschet, der immer einen vermittelnden Weg suchte.
Anlass für Söders Vorstoß ist zum einen die Sorge, dass es mit den Urlaubern und den Reiserückkehrern einen neuen Schub an Neuinfektionen gibt, weil in vielen europäischen Ländern die Inzidenzen sehr viel höher liegen als in Deutschland.
Zum anderen haben mehrere Ministerpräsidenten sowie auch Minister Spahn betont, dass die Grenzwerte für neue Corona-Beschränkungen neu festgelegt werden müssen. Wegen der steigenden Impfquote sei die Gefahr einer Belastung des Gesundheitswesens geringer geworden. Auch Kanzleramtschef Braun hatte gesagt, dass er nicht mit einem neuen Lockdown rechne.
Söder ist mit seinen Forderungen nicht allein – auch andere Bundesländer machen Druck und ringen um eine Strategie für den Herbst. Länder wie Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg plädieren ebenfalls für schärfere Kontrollen von Reiserückkehrern.
In der Hansestadt gehe bereits jetzt die Hälfte aller Neuinfektionen mittel- oder unmittelbar auf eine Auslandsreise zurück, teilte ein Sprecher der für Gesundheit zuständigen Sozialbehörde dem Handelsblatt mit.
Schärfere Regeln für Reiserückkehrer
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) drängte deswegen bereits in der vergangenen Woche in einem Schreiben an Spahn auf schärfere Quarantäneregeln.
Sinnvoll wäre demnach eine obligatorische Quarantäne, die erst nach dem fünften Tag durch Vorlage eines negativen Tests beendet werden könne. „So kann die Inkubationszeit überbrückt und der unbemerkte Eintrag reduziert werden“, hieß es.
Neben dem Umgang mit Reiserückkehrern beschäftigt die Länder eine ganze Reihe anderer Fragen, die diese möglichst zügig klären wollen. Im Fokus steht auch eine neue Strategie für die Tatsache, dass sowohl Fallzahlen als auch Impfquoten steigen.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) lag der Inzidenzwert am Dienstag bei 14,5. Er gibt an, wie viele Personen sich pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche infiziert haben. Er ist bisher die Grundlage für viele Corona-Einschränkungen, die die Bundesländer in Verordnungen geregelt haben.
Die Werte 10, 35 und 50 gelten darin in vielen Fällen als Schwelle für Einschränkungen. Liegen Kommunen und Landkreise sieben Tage in Folge über dieser Inzidenz, sehen die Corona-Verordnungen der Bundesländer verschärfte Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, strengere Auflagen für Großveranstaltungen und etwa in der Gastronomie vor. Derzeit liegen zehn Regionen über der Schwelle von 35, darunter auch Großstädte wie Düsseldorf und Frankfurt am Main.
Die Schwellenwerte stammen noch aus der dritten Welle, in der deutlich weniger Menschen geimpft und damit gegen einen schweren Verlauf geschützt waren. Steigen die Fallzahlen weiter so rapide an, gelten bald in ganz Deutschland wieder verschärfte Corona-Regeln, die unter anderen Vorzeichen geschrieben wurden.
Ob und wie diese aber mit Blick auf die steigende Impfquote angepasst werden müssen, ist noch völlig offen. Als entscheidend wird ein Gutachten des RKI zu dieser Frage angesehen, das das Institut den Gesundheitsministern von Bund und Ländern im kommenden Monat vorlegen will.
Gleichzeitig laufen bereits Beratungen zwischen Bund und Ländern zu möglichen neuen Kennzahlen – Ergebnisse gibt es aber bis zur Stunde nicht.
Neuer Gradmesser für die Pandemie
„Die alleinige Aussagekraft der sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz wird derzeit bekanntlich hinterfragt und zwischen dem Bund und den Ländern diskutiert, das Ergebnis bleibt abzuwarten“, teilte das hessische Sozialministerium dem Handelsblatt mit. Schleswig-Holstein sagte, es werde intensiv beraten, „welchen Stellenwert die Inzidenz zukünftig hat“. Und aus Baden-Württemberg heißt es, das Ziel sollte ein „ländereinheitliches Konzept mit Steuerungsparametern sein, das die Sieben-Tages-Inzidenz ergänzt, aber trotzdem weiterhin ein verständliches Vorgehen an die Bevölkerung vermitteln“. Die Maßnahmen müssten „zielgruppen- und lagegerecht und zugleich verständlich und nachvollziehbar sein“.
Laut Söder sollen die Inzidenzzahlen auch weiterhin als Gradmesser der Pandemie eine wichtige Rolle spielen. Die Werte könnten aber aufgrund der Fortschritte beim Impfen angepasst werden. Die Frage sei: „Ist das alte 50 das neue 50?“
Viele Länder pochen auf ein einheitliches Vorgehen und wollen einen Flickenteppich an Regeln vermeiden. Im Raum stehen allerdings verschiedene Vorschläge.
Die rheinland-pfälzische Landesregierung setzt sich für ein Ampelsystem mit einer Hospitalisierungsinzidenz ein.
„Das setzt die Zahl der Infektionen in Relation zur Anzahl der Erkrankten in den Krankenhäusern“, teilte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums dem Handelsblatt mit. Auch Schleswig-Holstein pocht auf eine Corona-Ampel nach diesem Muster.
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann plädierte hingegen Mitte Juli für eine „neue Formel“, die weitere Werte berücksichtigt. So müssten auch der Impffortschritt, der R-Faktor, die Krankenhaussituation und regionale Faktoren eine Rolle spielen, sagte Laumann im „Deutschlandfunk“.
Bis dahin fährt Nordrhein-Westfalen allerdings weiter mit dem bisherigen Stufenmodell, das verschärfte Maßnahmen ab einer Inzidenz von 10, 35 und 50 vorsieht. So mussten mancherorts Diskotheken wieder schließen.
Das sächsische Sozialministerium teilte mit, dass die Corona-Schutzverordnung bereits seit Anfang März die Krankenhausbelegung mit Covid-19-Patienten als Indikator vorsieht. Liegt diese über 1300 Betten, müssen sämtliche vorherige Lockerungen aufgehoben werden.
Ergänzend dazu sei mit der Verordnung, die Mitte Juni 2021 in Kraft trat, die Auslastung der Intensivstationen als Indikator hinzugekommen. Hier gilt die Marke von 420 mit Covid-19-Patienten belegten Betten auf den sächsischen Intensivstationen als Schwellenwert für die Rücknahme von Lockerungen.
Und das Bundesland Thüringen passte seine Strategie ebenfalls an. Das Gesundheitsministerium veröffentlichte in der vergangenen Woche einen Eindämmungserlass. Demnach sollen Thüringer Landkreise und kreisfreie Städte beim Einführen von Corona-Schutzmaßnahmen nicht nur die Inzidenz, sondern unter anderem auch die Krankenhausbelegung beachten.
Umgang mit Ungeimpften
Fraglich ist auch, welche Corona-Maßnahmen im Herbst überhaupt noch fortbestehen sollen. Dass diese ganz aufgehoben werden wie etwa in Großbritannien, ist bislang bei den meisten Bundesländern kein Thema.
Eher im Gegenteil. Hessen nennt etwa Maßnahmen wie Kontakte reduzieren, Abstand einhalten, Masken und Tests, die Nachverfolgung von Kontakten „nach wie vor als wichtiges Instrument des Infektionsschutzes“. Auch Hamburg bezeichnet die Maßnahmen als einen „wichtigen Baustein“.
Ein weiteres Thema bei den anstehenden Bund-Länder-Beratungen könnte sein, ob es Einschränkungen für Ungeimpfte geben könnte. Um mehr Menschen zum Impfen zu bewegen, sollten die Geimpften ihre Rechte und Freiheiten wieder zurückbekommen, sagte Söder auf seiner Pressekonferenz. Dies soll keine Impfpflicht durch die Hintertür sein, aber ein Anreiz, sich impfen zu lassen. „Freiheit ja, aber Sicherheit gleichermaßen“, sagte Söder.
„Das wird die spannende Frage: Gibt es noch exklusiv mehr Rechte für Geimpfte? Nicht weniger Rechte für Ungeimpfte, sondern mehr Rechte für Geimpfte“, so Söder. Der CSU-Chef beantwortete die Frage gleich: Aus seiner Sicht sei „relativ klar“, dass man „relativ bald“ dazu kommen müsse, dass Geimpfte unbeschränkten Zugang zu Fußball, Kultur oder Messen haben müssten. „Das ist der entscheidende Impfanreiz.“
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte bereits am Wochenende erklärt, er wolle „eine Impfpflicht nicht für alle Zeiten ausschließen“. Aus dem zuständigen Sozialministerium verlautete, dass in künftigen Regelungen Corona-Maßnahmen für geimpfte Personen reduziert werden könnten. Ein Datum nennt das Ministerium auch, nämlich den 15. September. Bis dahin habe jeder die Möglichkeit gehabt, sich vollständig impfen zu lassen.
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"unbeschränkter Zugang zu Fußball ... das ist der entscheidende Impfanreiz.“
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über Herrn Söder nur noch lachen. Welche "exklusiven Rechte" will er denn verteilen?
Wenn man sich die Zahlen aus den anderen Ländern (England, Israel etc.) anschaut, dann müsste Sicher-Ist-Sicher-Söder doch eher Quarantäne und Testpflicht auch für Geimpfte fordern!? Mal schauen wann er das merkt und wie er aus der Sackgasse dann rauskommt. Im übrigen schon interessant wie immer nur Reiserückkehrer aus anderen Ländern das Virus verteilen. Bayern stecken sich nicht in Berlin an? Nur in Österreich?