Pandemie Worauf sich Bund und Länder geeinigt haben – Merkel spricht von „Akt der nationalen Solidarität“

Hendrik Wüst, Michael Müller, Angela Merkel und Olaf Scholz und Steffen Seibert nach der MPK.
Berlin Trotz der ernsten Coronalage fand Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Bund-Länder-Treffen einige kurze Abschiedsworte. Ihr wäre es wohler gewesen, wenn die Fallzahlen deutlich niedriger seien, sagte sie nach der Ministerpräsidentenkonferenz, die zugleich ihre letzte war. „Dass wir unser Gesundheitssystem noch einmal so fordern, muss uns alle anspornen, diese vierte Welle zu brechen“, sagte sie. Daran werde gearbeitet – „auch wenn ich nicht mehr da bin“.
Ein „Akt der Solidarität“ sei nun nötig, sagte Merkel mit Blick auf die Beschlüsse, die sie gemeinsam mit ihrem möglichen Nachfolger Olaf Scholz (SPD) und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer fasste. Die Kernpunkte im Überblick:
- In Schulen soll die Maskenpflicht für alle Klassen gelten.
- An Silvester und am Neujahrestag soll ein bundesweites Böllerverbot gelten. Dies hatten die von Union und Grünen geführten Bundesländer während des Gipfels gefordert.
- Die 2G-Regel wird auf den Einzelhandel ausgeweitet. Ausgenommen sind Geschäfte des täglichen Bedarfs.
- Zusammenkünfte im öffentlichen und privaten Raum, an denen nicht geimpfte und nicht genesene Personen teilnehmen, sind auf den eigenen Haushalt sowie höchstens zwei Personen eines weiteren Haushalts beschränkt. Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs sind ausgenommen.
- Bundesweit soll der Zugang zu Einrichtungen wie Kinos, Theater und Restaurants nur noch für Geimpfte und Genesene (2G) möglich sein.
- Klubs sollen ab einer Inzidenz von 350 geschlossen werden.
- Bei einer Inzidenz von 350 gilt auch eine Teilnehmerzahl von 50 Geimpften und Genesenen für Veranstaltungen als Obergrenzen in Innenräumen.
- Veranstaltungen im Freien sollen bei der Teilnehmerzahl auf 30 bis 50 Prozent der Kapazitäten und auf maximal 15.000 Zuschauende begrenzt werden. Die Regelung betrifft auch Spiele der Fußball-Bundesliga. Zudem soll eine Maskenpflicht gelten. Zutritt sollen wie auch sonst nur Geimpfte oder Genesene haben (2G). Ergänzend kann demnach ein aktueller Test vorgeschrieben werden (2G plus).
- Der Gesetzgeber will das erst kürzlich durch die Ampelfraktionen entschärfte Infektionsschutzgesetz wieder um weitere Maßnahmen verschärfen. Genannt werden etwa Schließungen von Restaurants.
- Zudem soll der Impfstatus auslaufen, wenn nicht rechtzeitig eine Auffrischimpfung erfolgt. „Bund und Länder werden sich unter der Berücksichtigung der Impfkampagne und der zur Verfügung stehenden Impfstoffe bis zum Jahresende verständigen, ab wann und wie eine entsprechende Regelung Anwendung finden soll.“
- Der Beschluss sieht außerdem vor, dass der Ethikrat bis Jahresende eine Empfehlung für die allgemeine Impfpflicht erarbeiten soll. Durch eine Entscheidung im Bundestag könnte die Pflicht dann ab Februar kommenden Jahres gelten.
„Wir sind in einer sehr, sehr schwierigen Situation“, sagte der designierte Kanzler Olaf Scholz. „Deshalb müssen wir es schaffen, dass sich die Situation ändert – und deswegen noch mal der Appell, dass sich die Bürger impfen lassen.“ Die Impfkampagne sei nun eine große Herausforderung. Bis Ende des Jahres sollten 30 Millionen Impfungen verabreicht werden.
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Für die geplante Beschleunigung der Coronaimpfungen bis zum Jahresende organisiert der Bund zudem zusätzliche Impfdosen. Nach Verhandlungen mit dem Hersteller Moderna kann eine Lieferung von zehn Millionen Dosen aus dem dritten Quartal 2022 auf Dezember vorgezogen werden, wie aus Informationen des Gesundheitsministeriums für die Bund-Länder-Beratungen am Donnerstag hervorgeht.
Mehr Impfstoff
Dies entspricht 20 Millionen Booster-Dosen, da bei Moderna dafür eine halbe Dosis gespritzt wird. Zudem sollen acht Millionen Moderna-Dosen zusätzlich im Dezember kommen – weil die Abgabe zugesagter Dosen an andere Länder über die internationale Initiative Covax langsamer läuft.
Auf diese neuen Maßnahmen haben sich Bund und Länder geeignet
Nachjustiert werden sollen nun auch Lieferungen des Impfstoffs von Biontech. Nach einer Vereinbarung mit dem Hersteller könne ein Teil der wochenweise aufgeteilten Lieferungen für Dezember vorgezogen werden, erläuterte das Gesundheitsministerium. Nach 2,9 Millionen Dosen in der kommenden Woche könnten die Lieferungen an die Impfstellen in der Woche vom 13. Dezember dadurch auf fünf Millionen Dosen aufgestockt werden. Die Menge der Folgewochen reduziere sich dann entsprechend.
Das Ministerium verhandelt zudem mit anderen EU-Ländern, die ihre Biontech-Dosen aktuell nicht komplett benötigen. Ziel sei es, zwei bis drei Millionen zusätzliche Dosen im Dezember übernehmen zu können, heißt es in den Informationen, die der geschäftsführende Minister Jens Spahn (CDU) an die Ministerpräsidentenkonferenz sandte. Bei vielen Ärzten und anderen Impfstellen hatte es Proteste ausgelöst, dass der Bund für den meistgenutzten Impfstoff von Biontech kürzlich Bestellobergrenzen eingeführt hatte – da sich die Lager sonst zu schnell zu leeren drohten.
Das Ministerium betonte zugleich, dass das bestehende Verteilsystem sich insgesamt bewährt habe – mit „eingespieltem Zusammenwirken“ von Herstellern, Zentrallager bei der Bundeswehr, Pharma-Großhandel und Apotheken. Kein anderes System hätte in so kurzer Zeit diese Mengen bei einem so sensiblen und extrem temperaturabhängigen Produkt binnen vier Wochen ohne Qualitätseinbußen im Handling verzehnfachen können.
Sorgen vor wirtschaftlichen Einbußen
Der Handel warnte mit Blick auf die kommenden Einschränkungen vor wirtschaftlichen Einbußen. „Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz verderben vielen Einzelhändlern das zweite Weihnachtsgeschäft in Folge“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth, dem Handelsblatt. „Die Überbrückungshilfen reichen in der aktuellen Form hinten und vorn nicht, sind auch zu bürokratisch und umständlich.“
Anpassungen bräuchte es insbesondere bei der Umsatzschwelle, ab der Anträge auf Hilfe gestellt werden können. „Wenn ein Händler erst 30 Prozent Umsatzrückgang nachweisen muss, ist es in vielen Fällen schon zu spät“, sagte Genth. „Denn die Margen sind in diesem Wirtschaftsbereich so klein, dass viele hilfsbedürftige Unternehmen dann trotz Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Hilfen hätten.“ Deshalb sollte schon ab 15 Prozent Umsatzverlust ein Anspruch auf Überbrückungshilfe bestehen.
Überbrückungshilfe können Unternehmen bekommen, die mindestens 30 Prozent Umsatzeinbußen aufgrund von Corona-Einschränkungen verzeichnen. Sie bekommen dann je nach Höhe des Einbruchs zwischen 40 und 100 Prozent ihrer Fixkosten vom Staat erstattet. Ab Januar sinkt dieser Ausgleich auf maximal 90 Prozent. Außerdem unterstützt der Staat bei den Personalkosten.
Mit den am Donnerstag gefassten Beschlüssen sollen zudem die Härtefallhilfen, der Sonderfonds des Bundes für Messen und Ausstellungen, der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, das Programm Coronahilfen Profisport und das Sonderprogramm der staatlichen KfW-Bank verlängert werden.
Beim KfW-Sonderprogramm, das der Bund auch ohne die Länder ausweiten kann, hatte sich die geschäftsführende Bundesregierung nach Handelsblatt-Informationen bereits im Vorfeld auf eine Verlängerung verständigt. Es wäre zum Jahresende ausgelaufen. Die KfW vergibt über das Programm schnelle und zinsgünstige Kredite an Unternehmen. Mehr als 50 Milliarden Euro hat die Förderbank darüber bislang bereitgestellt.
Für Unternehmer auf Weihnachtsmärkten, deren Geschäft jetzt ausfällt, hat die Bundesregierung besondere Erleichterungen angekündigt. Vorläufige Details dazu finden sich jetzt in einem Papier von Bundesfinanz- und -wirtschaftsministerium, das dem Handelsblatt vorliegt. Neben der Fixkostenerstattung ermöglicht die Überbrückungshilfe einen Eigenkapitalzuschuss.
Über 50 Milliarden durch die KfW
Für die Weihnachtsmarktunternehmer und die Selbstständigen in diesem Bereich wird der Zuschuss voraussichtlich erhöht. Bricht ihnen im laufenden Dezember mindestens die Hälfte des Umsatzes weg, können sie für die Monate Januar bis März 2022 einen Eigenkapitalzuschuss von 50 Prozent erhalten. Bei allen anderen Unternehmen beträgt der Zuschuss 30 Prozent.
„Außerdem werden Ausfall- und Vorbereitungskosten von coronabedingt abgesagten Veranstaltungen im Zeitraum September bis Dezember 2021 förderfähig“, heißt es in dem Papier, das derzeit zwischen den Ministerien final abgestimmt wird.
Bekannt war bereits, dass die Weihnachtsmarktunternehmer grundsätzlich Überbrückungshilfe beantragen können und dabei die Abschreibungen auf verderbliche Ware und Saisonware verlängert werden. Neben den direkten finanziellen Hilfen ist auch die Verlängerung des vereinfachten Zugangs zum Kurzarbeitergeld beschlossen.
So dramatisch wie in den vergangenen Pandemiewellen wird die Lage der Unternehmen wohl nicht wieder werden. Doch die Befürchtungen der Wirtschaftsvertreter sind alles andere als unberechtigt. Das zeigen Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Allein im Dezember würde eine flächendeckende 2G-Regelung im stationären Einzelhandel demnach Umsatzeinbußen von rund 5,3 Milliarden Euro hervorrufen. Im Gastgewerbe würde 2G die Einnahmen zusätzlich um eine Milliarde Euro verringern.
„Rund 20 Prozent der Erwachsenen sind in Deutschland noch immer nicht geimpft. So hoch werden bei 2G auch die durchschnittlichen Umsatzeinbußen sein“, sagte IW-Ökonom Christian Rusche, der die Berechnungen durchgeführt hat, dem Handelsblatt. Einige Geimpfte würden sich bei 2G zwar sicherer fühlen und mehr Geld ausgeben. Aber die immer schwierigere Lage werde generell dazu führen, dass weniger Menschen die Innenstädte aufsuchen. „Beide Effekte werden sich kompensieren“, prognostiziert Rusche.
Schon jetzt nimmt die Mobilität der Bürger ab, wie am Donnerstag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Zahlen auf Basis von Mobilfunkdaten zeigen. Im November waren die Menschen in Deutschland erstmals seit Juni wieder weniger unterwegs als vor der Coronapandemie. Der Rückgang zeigte sich mit einem Minus von neun Prozent vor allem in den Städten.
In Sachsen, wo seit dem 22. November flächendeckende 2G-Regelungen, Schließungen von Einrichtungen und Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte und Nichtgenesene in Hotspot-Regionen gelten, fiel der Mobilitätsrückgang mit neun Prozentpunkten am stärksten aus.
Der Chef der Warenhauskette Breuninger, Holger Blecker, hält die Einführung der 2G-Regel im Einzelhandel für schädlich. „Pandemiebekämpfung und geöffnete Ladentüren mit guten Hygienekonzepten sind kein Widerspruch“, sagte er dem Handelsblatt. Dafür seien die bisherigen Maßnahmen ausreichend. „Erneute Einschränkungen in der Weihnachtszeit werden für Händler massive Ausfälle in der wichtigsten Zeit des Jahres bedeuten“, prognostiziert er.
„Eine flächendeckende Einführung von 2G würde vor allem kleinere Betriebe sehr hart treffen“, bestätigte IW-Ökonom Rusche. Viele Ladenbesitzer würden ihre Geschäfte aufgrund des Aufwands womöglich gar nicht mehr öffnen. „Es braucht daher eine schnelle Verlängerung der staatlichen Finanzhilfen und vor allem einen einfachen Zugang zu diesen“, sagt er.
Mehr: Spahn sichert Deutschland Covid-Medikament von Merck – Erste Lieferung im Dezember
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Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich eine Impfpflicht als den falschen Weg sehe. Das führt nur noch mehr zu einer 2-Klassengesellschaft bzw. zu einer Schattengesellschaft.. Klar wäre es toll wenn unsere Impfquote höher wäre, aber meiner Meinung nach gibt es dafür bessere bzw. effektivere Wege.
Der indirekte Zwang, der durch die Alltagsbeschränkungen für ungeimpfte Personen entsteht, reicht bei weitem nicht aus. Denn potenzielle Nachteile (Kontaktbeschränkungen etc.) werden sowieso nicht ausreichend geprüft und bestraft.
Neben den ganzen Alltagsbeschränkungen für ungeimpfte Personen sollte darüber hinaus noch das gelten:
Wer sich bewusst gegen eine kostenlose Präventivmaßnahme (Impfung) gegen das Coronavirus entscheidet, der sollte im Krankheitsfall auch seine Arztkosten/Krankenhauskosten selbst bezahlen.
Außerdem sollten bei der Vergabe der Intensivbetten klare Prioritäten gesetzt werden.. geimpfte Personen sollten im Krankheitsfall Priorität gegenüber ungeimpften Personen haben.
Aus Angst vor einer Privatinsolvenz (wegen hoher Krankenhausrechnungen) oder im Notfall alleine zu sterben, (weil man davor sich und seine Mitmenschen bewusst einem höheren Risiko ausgesetzt hat und deshalb keine Priorität für Intensivpflege hat) werden sich die meisten Menschen impfen lassen.
Die bisherigen Maßnahmen sind so gut wie wirkungslos. Das ist Fakt und sollte man sich traurigerweise eingestehen.
Da haben Sie Glück gehabt, Frau Schmitt. In Deutschland wird Ihnen die Impfung verweigert, wenn noch nicht 6 Monate verstrichen sind. So wie es für Unpriorisierte fast unmöglich war, vor Mitte Juli einen Erstimpftermin zu bekommen. Das sorgt natürlich für Frust beim Bürger. Große Worte werden geschwungen in der Politik in Ermangelung großer Taten.
Vielen Dank für diese Informationen!
Ich hoffe, dass alle unsere Bürger über die Impfung noch einmal richtig nachdenken (statt quer). Was ich vermisse sind klare Ansagen zum impfstoffspezifisch zeitlich unterschiedlich nachlassenden Wirkungsgrad. Da ich mich zur Zeit in Spanien aufhalte und meine 2. Astra-Impfung bereits 3 Monate zurücklag, habe ich einfach ein Impfzentrum besucht und nachgefragt. Dort erfuhr ich, dass ich mich sofort mit Pfizer Biontech boostern lassen kann. Das fand ich toll und natürlich nahm ich das Angebot an!