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Pandemiebekämpfung „Absoluter Fehlstart der Ampel” – So bewerten Experten den Corona-Schlingerkurs der Politik

Während die Infektionszahlen explodieren, ringen die Ampel-Parteien um ihren Kurs. Vorläufiger Stand: Es wird nachgebessert, die Kritik an den Vorschlägen aber wird immer lauter.
15.11.2021 - 18:30 Uhr 1 Kommentar
Viele Händler warten darauf, von den künftigen Ampel-Koalitionären klare Ansagen über die künftigen Corona-Regeln zu bekommen. Quelle: imago images/Robert Poorten
Einlasssperre in einem Düsseldorfer Geschäft

Viele Händler warten darauf, von den künftigen Ampel-Koalitionären klare Ansagen über die künftigen Corona-Regeln zu bekommen.

(Foto: imago images/Robert Poorten)

Berlin Diese Episode illustriert die hektische Betriebsamkeit, mit der die Ampelfraktionen derzeit nach Wegen aus der Coronakrise suchen: Am Montagmittag kündigte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt an, dass eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie etwa Pflegekräfte kommen soll. „Wir werden das auf den Weg bringen“, sagte sie in Berlin und bestätigte auf Nachfrage, dass sich ihre Partei hier mit SPD und FDP einig sei.

Doch ganz so weit war die Einigkeit noch nicht, vor allem die Liberalen waren nicht erfreut über die Äußerung. Und so stellten die Grünen später klar, dass die Ampel über die Impfpflicht erst noch in einem eigenen Verfahren beraten werde, unabhängig von der anstehenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes.

Seit SPD, Grüne und FDP vor knapp drei Wochen angekündigt haben, die epidemische Lage von nationaler Tragweite am 25. November auslaufen zu lassen, ringen sie um die Abfederung unerwünschter Folgen. Denn harte, aber wirkungsvolle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, wie Ausgangssperren oder Lockdowns, wären dann nicht mehr ohne Weiteres möglich. Was in einem gewissen Widerspruch zu den rasant steigenden Infektionszahlen im Land stände.

So sollen die Länder nun doch die Möglichkeit behalten, Kontaktbeschränkungen im ‧öffentlichen und privaten Bereich anzuordnen oder die Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen zu begrenzen. Außerdem wollen SPD, Grüne und FDP eine 3G-Regel, wie sie künftig am Arbeitsplatz gelten soll, künftig auch im Nah- und Fernverkehr einführen. Nur Geimpfte, Genesene und negativ Getestete dürften dann Busse und Bahnen nutzen.

So sieht es ein gemeinsames Papier der Fraktionen für weitere Änderungen am Infektionsschutzgesetz vor, über die der Bundestag schon am Donnerstag abschließend beraten soll. Geplant ist außerdem, die Homeofficepflicht für Bürobeschäftigte wieder einzuführen.

Die Ampelfraktionen bleiben aber dabei, dass es künftig Ausgangsbeschränkungen, Reise- und Beherbergungsverbote oder Lockdowns in der Gastronomie oder im Einzelhandel nicht mehr geben soll. Darauf hatten vor allem die Liberalen gedrängt – mit dem Verweis, dass Ausgangsbeschränkungen bereits von Gerichten als unverhältnismäßig gekippt worden waren.

Ohne Test: „Kein Anspruch auf Bezahlung oder Homeoffice“

Zweifel an der Wirksamkeit dieser Pläne wurden am Montag bei einer Anhörung im Bundestag laut. „Das, was derzeit geplant ist, nur 2G, 3G im öffentlichen Bereich, wird nicht reichen, um die Fallzahlen runterzubringen”, warnte die Physikerin Viola Priesemann vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Das liege etwa daran, dass sich die meisten Kontakte im Privaten abspielten und dass es durch Schulen und Arbeitsplatz Verbindungen zwischen Geimpften und Ungeimpften gebe.

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Montag 23.607 neue Corona-Fälle binnen 24 Stunden – 8094 mehr als vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von einer Woche, hat mit 303 erstmals seit Beginn der Pandemie die 300er-Marke überschritten. Im besonders betroffenen Sachsen ermittelte das RKI eine Inzidenz von 754. Die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen ist auf 3173 gestiegen.

Die Arbeitgebervereinigung BDA kritisierte in der Anhörung, dass viele der Gesetzespläne noch viel zu unklar seien, um sie sinnvoll und substanziell beraten und einschätzen zu können, wie aus ihrer Stellungnahme hervorgeht. Dazu sagte der Präsident des Chemiearbeitgeberverbands BAVC, Kai Beckmann, wenn eine 3G-Regelung im Betrieb komme, müsse sie auch rechtssicher ausgestaltet werden: „Wer sich als Ungeimpfter nicht testen lassen will, hat keinen Anspruch auf Bezahlung oder Homeoffice. Das muss im Gesetz klar geregelt sein“, forderte Beckmann.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gab zu bedenken, es sei offen, nach welchen Parametern künftig auf Landesebene die Gefährdungslage festgestellt werden solle. Er begrüßte in seiner Stellungnahme aber, dass Eltern bis zum 19. März 2022 weiter Anspruch auf Corona-Kinderkrankengeld haben sollen, wenn Kitas oder Schulen pandemiebedingt schließen müssen.

Die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) warnte vor erneuten flächendeckenden Schulschließungen: „Schulen und Kitas müssen offen bleiben, damit psychische Belastungen, Einsamkeit, Bewegungsmangel und Lernrückstände sich nicht noch weiter vergrößern.“

Auf Kritik stieß die geplante 3G-Regel im Personenverkehr. „Die Auswirkungen wären erheblich. Das Ampelchaos kann zum Verkehrschaos werden“, warnte der geschäftsführende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Der Vize-Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, forderte enge Absprachen mit der Bundespolizei, um die Kontrollen gewährleisten zu können.

Staatsrechtler: Ende der epidemischen Lage ist sinnlos

Generell reißt die Kritik daran, dass die Ampelfraktionen die epidemische Lage von nationaler Tragweite überhaupt auslaufen lassen wollen, nicht ab. „Der neue Entwurf ist zwar besser als der Ursprungsentwurf, bringt aber in der Sache nichts Neues, sondern verkürzt nur die Handlungsmöglichkeiten“, sagte der Bielefelder Staatsrechtler Franz Mayer dem Handelsblatt. Deshalb solle das Infektionsschutzgesetz lieber bleiben, wie es ist.

„Die Feuerwehr wirft mitten im Einsatz Teile ihrer Ausrüstung ins Feuer“, kritisiert Mayer. Es bleibe der Eindruck, dass in einer existenziellen Notlage Parteipolitik und Klientelinteresse vorgingen.

Als „reine Symbolpolitik“ bezeichnete Staatsrechtler Ulrich Battis das Vorgehen der Ampelparteien. „Juristisch ist es unsinnig, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zu verlängern“, sagte er dem Handelsblatt. Die Voraussetzungen dafür seien uneingeschränkt gegeben. Dass Länder künftig beispielsweise keine Restaurantschließungen mehr anordnen dürften, sei mehr als problematisch. „Wir können angesichts der Infektionszahlen doch nicht abrüsten“, warnte Battis – und warf der Ampel einen „absoluten Fehlstart“ vor.

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Der rechtspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), hätte sich ebenfalls eine Verlängerung der epidemischen Lage gewünscht, begrüßt aber die jetzt von SPD, Grünen und FDP geplanten Verschärfungen: „Die Ampel ist nach massivem öffentlichem Druck nun doch noch zur Einsicht gekommen und hat sich von dem falsch verstandenen Freiheitsverständnis der FDP nicht in Geiselhaft nehmen lassen“, sagte Luczak dem Handelsblatt.

63 Prozent der Bürger für Lockdown für Ungeimpfte

Er nannte einen Lockdown für Ungeimpfte, wie ihn Österreich eingeführt hat, konsequent. „Die Mehrheit der Menschen in unserem Land ist geimpft, die Erhaltung ihrer Freiheitsräume muss auch verfassungsrechtlich stärker gewichtet werden als die der Ungeimpften“, betonte der CDU-Politiker.

Wie die Ampel Deutschland aus der Coronakrise führen will Quelle: ddp/Sven Simon
Impfzentrum in Bayern

Der Druck auf jene, die sich nicht impfen lassen wollen, steigt. Die künftige Regierung drängt auf schärfere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.

(Foto: ddp/Sven Simon)

Nach einer Yougov-Umfrage im Auftrag des Handelsblatts empfehlen 63 Prozent der Bundesbürger den österreichischen Schritt zur Nachahmung auch hierzulande. 32 Prozent halten einen temporären Lockdown für Ungeimpfte dagegen für falsch.

Ob nun am Ende auch noch eine Testpflicht für Pflegepersonal oder Kita-Erzieherinnen kommen soll, wird in den nächsten Tagen verhandelt. Verdi-Chef Frank Werneke warnte die Ampelfraktionen vor Aktionismus.

„Die Impfquote in Bereichen wie der Pflege, dem Gesundheitswesen und der Kitas sei im Verhältnis zum Durchschnitt der Bevölkerung sehr hoch, sagte Werneke. „Wenn jetzt über eine Impfpflicht nachgedacht wird, führt das nicht dazu, dass signifikant mehr Menschen geimpft werden, sondern dass noch mehr Betroffene ihren Beruf verlassen werden.“ Das aber werde den Personalmangel in allen betroffenen Bereichen noch verschärfen.

Mehr: Söder fordert verschärfte Gesetzeslage: „Sind wehrlos gegen Corona“.

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1 Kommentar zu "Pandemiebekämpfung: „Absoluter Fehlstart der Ampel” – So bewerten Experten den Corona-Schlingerkurs der Politik"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Zitat "63 Prozent der Bürger für Lockdown für Ungeimpfte" ...
    Frage: Sind das die 63% Geimpften, die sich da aussprechen ?

    Und warum ruft Verdi gerade in diesen Wochen der Notlage zu Warnstreiks in den Kliniken auf ? Regensburg, Erlangen, NRW etc ...

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