Pandemiebekämpfung Bundespräsident unterzeichnet Infektionsschutzgesetz – Haseloff: „Tiefpunkt in der föderalen Kultur“

Gesundheitsminister Spahn (2. v. l.) mit den Ministerpräsidentin Bouffier, Haseloff und Laschet (v. l.).
Berlin Nachdem der Bundesrat die Reform des Infektionsschutzgesetzes hat passieren lassen, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz unterzeichnet. Das sagt eine Sprecherin in Berlin. Trotz massiver Kritik hatte der Bundesrat zuvor den Weg für das geänderte Infektionsschutzgesetz mit der Corona-Notbremse frei gemacht. In einer Sondersitzung verzichtete die Länderkammer am Donnerstag darauf, den Vermittlungsausschuss zu dem Gesetz anzurufen, das der Bundestag am Vortag verabschiedet hatte.
Es gab keine förmliche Abstimmung. Das Gesetz bedarf jetzt noch der Unterzeichnung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und muss im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Alle sechs Ministerpräsidenten, die sich in der Aussprache zu Wort meldeten, äußerten erhebliche Bedenken. Sie erkannten aber wegen der anhaltenden Corona-Pandemie den Handlungsbedarf an und wollten das Gesetz daher nicht aufhalten.
Die Ministerpräsidenten sahen durch die Bank verfassungsrechtliche Bedenken – insbesondere wegen der starren Notbremse – und Probleme bei der praktischen Umsetzung. Sie monierten, dass der Bund nicht die Erfahrungen der Länder in der Pandemiebekämpfung berücksichtigt habe.
Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) kritisierte in scharfer Form die Kompetenzverlagerung auf den Bund. „Der heutige Tag ist für mich ein Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland“, sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.
Die Länderkammer berate über ein Gesetz, „dessen Entstehung, Ausgestaltung und Ergebnis unbefriedigend sind“. Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) betonte: „Ob diese Kompetenzverlagerung auf die Bundesebene eine wirkungsvollere Art der Pandemiebekämpfung darstellt, dieser Beweis, der ist noch nicht erbracht. Und der muss erbracht werden.“
Spahn rechtfertigt Notbremse
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb in der Sitzung nochmals für das Gesetz und spielte schon den Ball ins Feld der Länder zurück. „Seit Anfang März sind die Instrumente ja alle benannt, aufgeschrieben, eigentlich vereinbart und geeint, inklusive der Ausgangsbeschränkungen“, sagte er.
„Und da müssen wir uns ehrlich machen: Obwohl Bund und Länder dasselbe wollen, ist bei vielen der Eindruck entstanden, wir würden nicht am selben Strang ziehen in den letzten Wochen.“ Das einheitliche Handeln, so der Eindruck, sei verloren gegangen. Das Gesetz sei „das Ergebnis all dieser Entwicklungen“.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bezeichnete die starren Ausgangsbeschränkungen als „verfassungsrechtlich problematisch“. Es stelle sich auch die Frage, wie zum Beispiel die vorgesehenen Schulschließungen umgesetzt werden sollten.
Bouffier bedauerte es, „dass der Bundestag die Chance hat verstreichen lassen, viele Erfahrungen der Länder, die wir aus einem Jahr praktischem Krisenmanagement gesammelt haben, mehr und intensiver aufzunehmen“. Das hätte die Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich erhöhen können.
Der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil (SPD) sagte, die Neuregelungen seien für den Infektionsschutz „kein großer Wurf“. Bei Ausgangsbeschränkungen sei die verfassungsrechtliche Zulässigkeit fraglich, er sei „sehr gespannt“ auf die Rechtsprechung. Für sein Land bedeute das Gesetz sogar erhebliche Lockerungsmöglichkeiten. Weil fasste seine Bewertung so zusammen: „Für mein Land unnötig, aber ich füge hinzu: auch unschädlich.“
Gezogen werden soll die Notbremse, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. Dann dürfen Menschen ab 22.00 Uhr die eigene Wohnung in der Regel nicht mehr verlassen.
Alleine spazierengehen und joggen ist bis Mitternacht erlaubt. Es darf sich höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenommen sind. Läden dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Präsenzunterricht an Schulen soll ab einer Inzidenz von 165 meist gestoppt werden.
Das vom Bundestag am Mittwoch beschlossene Gesetz ist ein Einspruchsgesetz. Das heißt, eine Zustimmung des Bundesrates war nicht nötig. Die Länderkammer hätte aber den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag anrufen und das Gesetz damit zeitlich aufhalten können.
Mehr: Lesen Sie hier, was die fünf größten Schwächen des Infektionsschutzgesetzes sind.
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Das Handelsblatt könnte auch mal wieder anfangen, die Corona-Politik kritisch zu begleiten. Natürlich werden die Zahlen in den nächsten Wochen deutlich zurückgehen. Das warme Wetter -wie schon im letzten Jahr und das Impfen sind dabei die Ursachen und nicht das einer Demokratie unwürdige Ermächtiugungsgesetz von Frau Merkel.
Allein die Aussage des niedersächsischen Ministerpräsidenten ist ein Armutszeugnis.
Weil fasste seine Bewertung so zusammen: „Für mein Land unnötig, aber ich füge hinzu: auch unschädlich.“
Wenn das Gesetz so schlecht ist, weshalb ist es dann vom Bundesrat durchgewunken worden?
Klage vor dem BVerfG (bitte nicht mit BVG abkürzen - das sind die besonders versifften Berliner Verkehrsbetriebe!) ist hier selbstverständlich erste Bürgerpflicht. Wird sie abgeschmettert, dann weiß man wenigstens, dass der "Rechts-Staat" - im tiefsten Sinne sowieso ein Oxymoron - nicht nur zu 3/4 abgschafft wurde (Legislative, Exekekutive + Kontrollinstanz der öffentlichen Medien), sondern vollständig. Dann stehen wir de facto auf einem "Level" mit China - und jeder, der noch weiter von "westlicher Wertegemeinschaft" oder "Rechtsstaatlichkeit" faselt, ist ein erbärmlicher Heuchler.
Fragen die momentan kein Politiker hören möchte:
Warum hat Freiburg, als eine der jüngsten Städte Deutschlands und ohne Ausgangssperren, eine konstant niedrige Inzidenz von 70-80??? Aber andere Städte mit verschärften Maßnahmen teilweise Inzidenzen von über 400???
Komischerweise werden solche (oder andere kritische) Fragen erst gar nicht beantwortet, da sie angeblich nicht zielführend seien.. Ja klar was soll dann zielführend sein?
Nichts als Lügen was die Politik erzählt. Positive Beispiele werden ignoriert, bei gleichzeitiger Versteifung auf Probleme. Das steht sinnbildlich für die Blase in der sich die Regierung aktuell befindet. Realitäts- und Volksfern!!!
Die einzige Hoffnung sind vorgezogene Neuwahlen nach einem juristischen Scheitern des Infektionsschutzgesetzes.